Darum gehts
Wladimir Putin (72) schnäuzt sich die Nase zweihändig. Diese Erkenntnis ist nach der Moskauer Militärparade vom Freitagmorgen gesichert. Viel anderes, was der russische Machthaber seinen Gästen auf dem Roten Platz vorgaukelte, hatte weniger Hand und Fuss.
Ein genauer Blick auf die Show anlässlich des «Siegestages» über die Nazis zeigt: Russland steht 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und drei Jahre nach seinem Überfall auf die Ukraine ganz und gar nicht da, wo Putin es haben will.
Fangen wir an bei der Gästeliste: Aus der westlichen Hemisphäre haben sich nur gerade die Staatschefs von Venezuela, Brasilien, Serbien und der Slowakei blicken lassen. Der slowakische Premier Robert Fico (60) und der serbische Präsident Aleksandar Vucic (55) mussten auf ihrem Weg nach Moskau Umwege fliegen, weil Polen und die baltischen Staaten ihnen das Überflugsrecht verweigert hatten.
China nimmt sich selbst aus dem Spiel
Der chinesische Präsident Xi Jinping (71) hübschte Putins Gästeliste allerdings zünftig auf. Umso mehr, als er eine Delegation chinesischer Soldaten bei der Militärparade mitmarschieren liess. Durch diese klare Parteinahme fällt China als glaubwürdiger Vermittler im Ukraine-Krieg endgültig weg.
Zweiter Schwachpunkt: die aufgefahrenen Waffensysteme. Nebst den schier endlosen Kolonnen russischer Regimente liess Putin Panzer, Artillerieträger, Interkontinentalraketen und Drohnen an der Ehrentribüne vorbeichauffieren.
ETH-Militärexperte Marcel Berni (36) sagt zu Blick: «Die Inszenierung sollte Überlegenheit suggerieren, doch an der Kriegsfront zeigt sich ein mühsamer Abnutzungskrieg. Die Parade überdeckte eher Defizite, als dass sie tatsächliche militärische Stärke demonstrierte.» Der Glanz der Parade stehe im starken Kontrast zur militärischen Leistung der Russen in der Ukraine.
Putins Fake-Waffen in Ostrussland
Vor allem gepanzerte Transportfahrzeuge sind Mangelware, weshalb russische Soldaten immer häufiger in Zivilautos durch die Todeszonen gekarrt werden. Japanische Satellitenbild-Analysten haben zudem aufgedeckt, dass Russland im Osten Flugabwehr-Attrappen aufstellt, weil man alle realen Flugabwehrsysteme im Westen dringend brauche.
Dritter Schwachpunkt: Putins Blendungsversuche. In seiner Ansprache verdrehte der Kriegsverbrecher die Fakten derart krude, dass selbst Propaganda-betäubte Ohren ihre Zweifel haben dürften. Wenn der Kreml-Chef, auf dessen Konto Hunderttausende Tote und Millionen traumatisierte Familien gehen, von seinem «Kampf für Humanismus und Gerechtigkeit» fabuliert, dann kann man nur noch weghören.
Selenski putzt Putin mit Gegenrede ab
Der sowjetische Beitrag zur Beseitigung der Nazis (an der auch das ukrainische Volk mitgewirkt hat) ist lobenswert. Putin aber missbraucht die Geschichte, um seine Taten zu rechtfertigen. Gulnaz Partschefeld (43), Lehrbeauftragte für Kulturgeschichte Russlands an der Uni St. Gallen, sagt zu Blick: «Der Kreml instrumentalisiert den Opfermythos des Grossen Vaterländischen Krieges, um den Krieg gegen die Ukraine als existenzielle Verteidigungsschlacht zu präsentieren.» Von den Weltkriegsveteranen lebten nur noch wenige Dutzend. Deshalb habe der Kreml Veteranen des Ukraine-Krieges aufgeboten. «Damit wird eine Kontinuität des Kampfes gegen einen angeblich fortbestehenden Faschismus in der Ukraine konstruiert.»
Wolodimir Selenski (47) hielt anlässlich des 80. Jahrestags der Nazi-Kapitulation (welche die Ukraine und Europa am 8. Mai feiern) eine eigene Rede. Der ukrainische Präsident filmte sich selbst auf seinem Spaziergang entlang der Kiewer Prachtstrasse Chreschtschatyk, auf die er vor drei Jahren noch ausgebrannte russische Panzer stellen liess. Selenski brandmarkte die «marschierenden Mörder» in Moskau und dankte der Geschichte, dass «die Ukraine diesem Sumpf entkommen» sei.
Seine Erkenntnis: «Das Böse kann man nicht beschwichtigen. Man muss es bekämpfen.» Das tut Selenski mit seiner Armee. Nicht beim Defilee in Kiew, sondern beim Frontkampf gegen Putins Schergen – ganz ohne TV-Kameras und Marschmusik.