Kann Trump die Wahl überhaupt noch drehen?
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Der Fokus auf Blick TV:US-Rechtsexpertin klärt wichtigste Fragen zu Trump-Klagen

Nach Joe Bidens Sieg
Kann Trump die Wahl überhaupt noch drehen?

Die Weigerung des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump (74), seine Wahlniederlage einzugestehen, hält die Vereinigten Staaten weiter in Atem. Doch kann Trump die Wahl überhaupt noch drehen?
Publiziert: 15.11.2020 um 10:57 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2020 um 14:18 Uhr
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Noch-US-Präsident Donald Trump (74) hat die Präsidentschaftswahlen verloren. Seine Niederlage will er dennoch nicht eingestehen.
Foto: imago images/ZUMA Wire

Leidet Donald Trump an komplettem Realitätsverlust oder ist er ein politisches Genie, das letztlich alle Kritiker überraschen wird? Die Weigerung des amtierenden US-Präsidenten, seine Wahlniederlage einzugestehen, hält die Vereinigten Staaten weiter in Atem. Trump will den Sieg des Demokraten Joe Biden mit Klagen und Forderungen nach Neuauszählungen abwenden, obwohl er dabei nur verschwindend geringe Erfolgsaussichten hat. Pessimisten verweisen daher auf andere finstere Szenarien, wie sich Trump an der Macht halten könnte - doch wirklich fürchten muss Biden wohl keines.

Eine Finte für die Wiederwahl?

Manche seiner Anhänger und Kritiker erklären Trumps Verhalten mit einer Jahreszahl: 2024. Sie spekulieren, dass er das Weisse Haus am 20. Januar grollend verlassen wird - aber nur, um sich auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur 2024 vorzubereiten. Der Republikaner wäre dann 78 Jahre alt - so alt wie Biden beim Amtsantritt am 20. Januar kommenden Jahres.

Diese These stützt sich unter anderem darauf, dass Trump derzeit unter dem Vorwand anfallender Prozesskosten heftig um Spenden wirbt. Mit diesen Geldern, die teils in eine neugegründete Struktur fliessen, könnte er auch künftige politische Ambitionen finanzieren. Eine erneute Kandidatur 2024 wäre rechtlich möglich, politisch aber höchst ungewöhnlich. So oder so ist klar: Trump bekam bei der Wahl am 3. November mehr als 72 Millionen Stimmen und dürfte daher auch in Zukunft bei den Republikanern eine wichtige Rolle spielen.

Der Stand des Rennens

«Friedliche Machtübergänge erfordern politischen Willen. Am Ende müssen die Menschen auf der einen Seite vom Abgrund zurücktreten.» Diese Worte schrieb der Historiker Daniel Larsen in einem Beitrag für die «New York Times», wenige Tage bevor die Befürchtung Wirklichkeit wurde und Trump klarmachte, dass er seine Niederlage nicht einzuräumen gedenkt. Doch die Zahlen sind eindeutig: Biden hat sich Prognosen von US-Medien zufolge 306 Stimmen der Wahlleute gesichert. Das sind genauso viele, wie Trump 2016 bekommen hatte - und deutlich mehr als die nötige Mehrheit von 270 Stimmen. Trump hatte vor vier Jahren von einem «Erdrutschsieg» gesprochen. Jetzt kommt er nur auf 232 Wahlleute.

Hoffnung auf die Gerichte

Die von Trump, den Republikanern und konservativen Gruppen nach der Wahl in mehreren Bundesstaaten angestrengten Klagen blieben bislang weitgehend erfolglos. Dabei geht es unter anderem um angebliche Betrugsvorwürfe, um die Gültigkeit bestimmter Briefwahlstimmen und um eine Verzögerung der Beglaubigung der Ergebnisse. Keine der Klagen dürfte den Ausgang der Wahl in einem Bundesstaat beeinflussen können, geschweige denn Bidens Wahlsieg insgesamt gefährden. Am Freitag blitzten die Konservativen bei einem Richter im Bundesstaat Michigan ab, genauso erging es ihnen mit mehreren Klagen in Pennsylvania. In einem Verfahren in Arizona machten Trumps Anwälte einen Rückzieher. Eine wichtige Anwaltsfirma in Pennsylvania ging von Bord.

Juristisches «Theater»?

Bidens Team stuft die Klagen als «Theater» ein. Trump wiederum hat mehrfach davon gesprochen, dass die Wahl letztlich vom Obersten Gericht der USA, dem Supreme Court, entschieden werden könnte. Sechs der neun Richter dort gelten als konservativ, drei von ihnen hat Trump selbst nominiert. Unabhängige Juristen halten es aber - auch angesichts von Bidens Vorsprung - für fast unmöglich, dass das Gericht aufgrund einzelner Klagen das Wahlergebnis kippt.

Trumps Republikaner nutzen die laufenden Prozesse, um Bidens Wahlsieg weiterhin als ungesichert darzustellen. Die faktisch abgewählte Regierung verweigert Biden mit Blick auf die Klagen bisher auch die vom Gesetz vorgesehene Unterstützung für eine Amtsübergabe («transition»). Trump gewinnt durch die Verfahren also Zeit, die er nutzen kann, um seine nächsten Schritte zu planen. Trumps Kritiker werfen ihm vor, mit seiner Taktik das Vertrauen in die Integrität der Wahl und die Demokratie als Ganzes zu untergraben.

Neuauszählungen der Stimmen

Die von Trump gewünschten Neuauszählungen dürften das Ergebnis nicht grundsätzlich verändern. Im Bundesstaat Wisconsin liegt Biden mit rund 20 000 Stimmen vor Trump, in Georgia sind es rund 14 000 Stimmen. In der Vergangenheit haben sich Ergebnisse bei Neuauszählungen nur minimal verändert. So wurden bereits vor vier Jahren in Wisconsin alle Stimmen neu gezählt: Dabei vergrösserte Wahlsieger Trump seinen Vorsprung auf die Demokratin Hillary Clinton um 131 Stimmen.

Wie verhält sich das Militär?

Trump entliess nach der Wahl Verteidigungsminister Mark Esper und weitere Führungskräfte im Pentagon. Das dürfte jedoch mehr mit seinem Wunsch zu tun haben, offene Rechnungen zu begleichen, als mit finsteren Plänen, das Militär zum Machterhalt einzusetzen. Die juristischen Hürden für einen Einsatz des Militärs im Inland sind hoch. Zudem hat die Führung der Streitkräfte erklärt, das Militär werde auch bei einem umstrittenen Wahlausgang nicht aktiv werden.

Das betonte diese Woche nochmals der vor gut einem Jahr von Trump ernannte Generalstabschef Mark Milley. «Wir legen keinen Eid auf einen König oder eine Königin, einen Tyrannen oder einen Diktator ab. Wir legen keinen Eid auf eine Einzelperson ab», sagte Milley. «Wir legen einen Eid auf die Verfassung ab.»

Der weitere Fahrplan

Die Bundesstaaten sollen ihre Wahl-Endergebnisse bis zum 8. Dezember beglaubigen und nach Washington melden. Am 14. Dezember sollen dann die 538 Wahlleute abstimmen, die den Präsidenten und dessen Vize wählen. Das Ergebnis der Abstimmung wird am 6. Januar im Kongress verlesen, dann herrscht Rechtssicherheit. Am 20. Januar wird der neue Präsident in Washington feierlich vereidigt.

Unwahrscheinliche Katastrophenszenarien

Theoretisch könnte bei der Beglaubigung der Ergebnisse und der Ernennung der Wahlleute in den Bundesstaaten noch etwas schiefgehen. In Pennsylvania und Michigan zum Beispiel hat Biden die Wahl gewonnen, aber die Republikaner kontrollieren dort das lokale Parlament. Die Abgeordneten könnten bei der Beglaubigung der Ergebnisse, zum Beispiel unter dem Vorwand des Wahlbetrugs, Trump zum Wahlsieger erklären. Der in beiden Fällen demokratische Gouverneur müsste das Ergebnis aber noch abzeichnen. Er könnte ein anderes Ergebnis nach Washington schicken - dann wäre Chaos programmiert. Eine ähnlich umstrittene Wahl konnte 1877 nur mit einem politischen Kuhhandel gelöst werden.

So ein Szenario ist nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich: Die republikanischen Abgeordneten müssten sich dafür gegen den Willen der Mehrheit der Wähler in ihrem Bundesstaat stellen, zumal Biden auch landesweit die meisten Stimmen geholt hat. Zudem müsste das Manöver auch noch vor Gericht Bestand haben.

Die Rolle der Wahlleute

Auch beim Abstimmungsverhalten der Wahlleute könnte es noch Überraschungen geben. Sie sollen sich an das Wahlergebnis aus ihren Bundesstaaten halten, mancherorts gibt es dazu Vorschriften und Strafandrohungen, aber nicht überall. Die Wahl könnte also von Überläufern beeinflusst werden. Bidens Vorsprung ist aber inzwischen so gross, dass auch einige Abweichler nichts ausmachen würden. Dem Parlament zufolge gab es in der Geschichte bislang bei neun Wahlen Überläufer. Dadurch wurde aber noch nie das Wahlergebnis verändert.

Falls das Wahlkollegium keinen Präsidenten wählen könnte, fiele diese Rolle dem Repräsentantenhaus zu. Dort würde sich dann alles nach den Delegationen der Bundesstaaten richten - bei denen Trumps Republikaner die Mehrheit haben. Auch ein solches Gedankenspiel gilt angesichts von Bidens Mehrheit als extrem unwahrscheinlich.

Das einzig plausible Szenario klingt so: Biden wird am 20. Januar vor dem Kapitol vereidigt - und zieht noch am Nachmittag ins Weisse Haus ein. (SDA/rad)

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