Darum gehts
Es waren keine 24 Stunden, auch keine sieben Monate: Donald Trump (79) ist es seit seinem Amtsantritt nicht gelungen, sein Wahlversprechen auf einen Frieden in der Ukraine einzulösen. Wohl enttäuscht über den russischen Präsidenten Wladimir Putin (72), dem es um alles andere als um Frieden geht, will er sich vorderhand aus Friedensverhandlungen zurückziehen.
Ein Waffenstillstand in der Ukraine scheint ihn plötzlich weniger zu interessieren. Im Gegenteil: Der Ukraine gibt er mit «Play offensive» sogar den Rat, sich nicht mehr nur auf die Verteidigung zu beschränken, sondern Russland anzugreifen. Schon werden die neusten Waffen gewetzt!
Trump hatte am Donnerstag auf seiner Plattform Truth Social geschrieben: «Es ist sehr schwer, wenn nicht unmöglich, einen Krieg zu gewinnen, ohne das Land des Invasors anzugreifen.» Er zog dabei einen Vergleich zum Sport, wo ein Team auch mit fantastischer Abwehr keine Chance auf den Sieg habe, wenn es nicht über eine starke Offensive verfüge.
«Müssen Druck ausüben»
Diese indirekte Aufforderung zum Angriff auf Russland hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (47) dankend angenommen. «Der amerikanische Präsident hat völlig recht», meinte er in einer Reaktion. Die Ukraine müsse sich aus dem Dauerzustand der ständigen Verteidigung lösen und selber zum Angriff übergehen, da Putin «nichts ausser Macht und Druck» verstehe. Selenski: «Dieser Krieg muss beendet werden, wir müssen Druck auf Russland ausüben.»
Standen die Zeichen vor den Gipfeln mit Putin in Alaska sowie mit Selenski und europäischen Staats- und Regierungschefs in Washington noch auf Hoffnung, ist die Zuversicht nun verflogen. Sowohl die russische als auch die ukrainische Seite hat ihre Bombardements intensiviert.
Neues Geschoss reicht weiter als Moskau
Es ist davon auszugehen, dass die Ukraine dem Rat Trumps folgen und die Angriffe auf Russland intensivieren wird. Dabei dürfte sie auf ein neues, in nur neun Monaten selber entwickeltes Supergeschoss setzen: den bodengestützten Marschflugkörper Flamingo.
Hinter dem harmlosen Namen steckt eine lenkbare Rakete, die einen 1150 Kilo schweren Sprengkopf bis 3000 Kilometer weit tragen kann. Das ist viel weiter als die 500 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernte Hauptstadt Moskau. Die Serienproduktion ist eben angelaufen, bald sollen monatlich 200 Stück hergestellt werden.
Allerdings gibt es da einen Haken: Das «Wall Street Journal» berichtete kürzlich, dass im Pentagon offenbar eine gegenteilige Linie verfolgt wird. Seit Frühjahr seien keine Genehmigungen mehr erteilt worden – weder für US-Systeme noch für Raketen aus anderen Ländern, deren Nutzung von US-Unterstützung abhängt.
Es fehlt an Soldaten
Und überhaupt: mit einem Marschflugkörper allein gewinnt man keinen Krieg. Die Ukraine ist weiterhin auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. «Bei den Waffen sind vor allem Ersatzteile, Munition und schweres Gerät vonnöten – besser gestern als morgen», meint Marcel Berni, Strategieexperte an der ETH-Militärakademie. Die USA haben sich bereit erklärt, Waffen an Europa zu verkaufen, von wo sie an die Ukraine weitergeleitet würden.
Ebenfalls wichtig sind die amerikanischen Geheimdienstinformationen sowie die Lagebilder, die die ukrainischen Raketen genau ins Ziel lenken. Ob Trump diese Informationen weiterhin zur Verfügung stellen wird, steht in den Sternen.
Das grosse Problem der Ukraine liegt beim Personalengpass. Um die Truppen aufstocken zu können, wird darüber diskutiert, das vor kurzem von 27 auf 25 Jahre gesenkte Mobilisierungsalter noch weiter zu senken.
Erfolg mit Überraschungsangriffen
An der Front sieht es für die Ukraine zurzeit eher schlecht aus. Klemens Fischer, Professor für internationale Beziehungen und Geopolitik an der Universität Köln, sagt: «Zum einen steht die Ukraine an allen Frontabschnitten mit dem Rücken zur Wand und kann gerade noch die Stellungen halten, zum anderen zieht Russland bei Saporischschja einen enormen Angriffsverband zusammen. Für eine ukrainische Gegenoffensive am Boden scheint also nicht gerade der geeignete Zeitpunkt zu sein.»
Dennoch gibt es für die Ukraine eine strategische Möglichkeit, dem Gegner massiven Schaden zuzufügen – so wie sie es bei der Eroberung von russischem Gebiet bei Kursk vor einem Jahr oder beim koordinierten Drohnenangriff auf russische Basen am 1. Juni geschafft hatte. Die Taktik heisst Überraschung.
Stratege Berni sagt: «Ein Angriff müsste aus heiterem Himmel kommen. Am erfolgreichsten wäre er, wenn er asymmetrisch mit überraschenden technologischen Innovationen sowie gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen wie Luft, Boden und im Cyberbereich erfolgen würde. Das würde die Besatzer paralysieren.»
Putin will die ganze Ukraine
Putins Ziel bleibt laut Trumps ehemaligem nationalem Sicherheitsberater John R. Bolton (76) die Wiederherstellung des Russischen Reiches. «Er will daher auf irgendeine Weise die ganze Ukraine wieder Russland einverleiben», sagte Bolton im Blick-Interview.
Vorderhand dürfte der Krieg daher wie gewohnt weitergehen. Berni: «Russland sieht sich auf der Gewinnerseite. Es wird weiterhin seine Vorteile in Bezug auf Masse und strategische Geduld ausspielen.» Auf Verhandlungen werde sich Putin nur einlassen, um Trump zu besänftigen und schmerzhafte Sanktionen abzuwehren. Berni: «Möglich, dass einmal eine Seite einknickt. Aber im Moment befinden wir uns noch nicht an diesem Punkt.»