Darum gehts
In den Friedensprozess im Nahen Osten kommt Bewegung. Auf einmal will Frankreich Palästina als eigenständigen Staat anerkennen. Es ist eine Absichtserklärung, die einerseits Hoffnung auf Frieden nährt, aber auf der anderen Seite die wichtigsten Partner Frankreichs verärgert. So verurteilt das Weisse Haus den Entscheid von Emmanuel Macron (47) als «Hamas-Propaganda».
Was bezweckt Macron mit seiner überraschenden Aussage? Wie realistisch ist ein palästinensischer Staat? Sicher ist: Macron hat mit seinem unkoordinierten Vorpreschen nicht nur das Leid der Gaza-Bevölkerung im Blick. Es geht ihm auch um etwas ganz anderes.
Warum propagiert Macron gerade jetzt einen palästinensischen Staat?
Kurz vor dem Nahostgipfel, der in diesen Tagen in New York stattfindet und von Frankreich und Saudi-Arabien aufgegleist worden ist, sagte Macron: «Ich habe entschieden, dass Frankreich den Palästinenserstaat anerkennen wird. So werden wir den Frieden gewinnen.» Am Gipfel erwarten die Franzosen, dass arabische Staaten die Terrororganisation Hamas zum ersten Mal verurteilen.
Frankreich ist das erste Land der mächtigen G7-Staaten, das Palästina anerkennen will. Macron tut dies nicht nur wegen des traditionsreichen französischen Humanismus. Der Präsident steht im eigenen Land unter Druck und muss sich von den Extrempolen auf linker und rechter Seite abgrenzen. Frankreich-Experte Gilbert Casasus erklärt: «Er ist innenpolitisch geschwächt und nutzt die Aussenpolitik, um sich international zu profilieren – insbesondere als Gegenspieler zu Trump und als Signal an zögerliche Verbündete.»
Wie gross sind die Chancen auf einen eigenständigen Staat?
Sehr gering. Zwar erkennen bisher 147 Staaten – darunter China, Russland, Indien, Brasilien, viele arabische, afrikanische und lateinamerikanische Länder – einen palästinensischen Staat an. Aber das ist symbolischer Natur. Der Schlüssel liegt bei Israel. Nahostexperte Reinhard Schulze: «Einen funktionstüchtigen Staat kann es nur geben, wenn seine Souveränität nicht bestritten wird, also auch Israel zustimmt.»
Die Voraussetzungen für bilaterale Verhandlungen wurden eigentlich in den Oslo-Abkommen vor 30 Jahren geschaffen. Doch Israel blockiert sich seither selber. «Israel hat sich durch Knesset-Entscheidungen gegen einen palästinensischen Staat die Hände selbst gebunden», sagt Schulze.
Experten dämpfen daher auch die Erwartungen an die Konferenz in New York. Die vielen offenen Fragen zur Zwei-Staaten-Lösung würden nicht plötzlich in drei Tagen geklärt sein, sagt Richard Gowan, Direktor der Denkfabrik International Crisis Group. Trotzdem sei die Konferenz wichtig: «Es geht darum, Palästinensern Hoffnung zu geben, dass sie auf diplomatischem Weg und durch Zusammenarbeit mit der Uno die Chance auf einen eigenen Staat erhalten.»
Was würde eine Anerkennung bedeuten?
Macron hat eine Anerkennung an Bedingungen geknüpft: Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) muss dafür garantieren, dass alle Geiseln, die am 7. Oktober 2023 aus Israel entführt wurden, befreit werden, die Hamas entwaffnet und eine demokratische Staatsreform eingeleitet wird.
Wenn sich die PA auf eigene Sicherheitskräfte und sogar auf israelische Polizeikräfte stützen könne, stünden die Chancen auf eine Beruhigung gut. Schulze: «Das könnte zu einer Befriedung führen.»
Sorgt Macron in Europa nun für Streit?
Macrons Vorstoss ist höchst brisant. Sein Kalkül: Er bringt den britischen Premier Keir Starmer (62) auf seine Linie, was möglicherweise weitere Staaten zum Umlenken bewegen könnte. Damit nimmt er eine Spaltung der G7-Staaten in Kauf.
Vor allem das Verhältnis zu Deutschland, das geschichtlich bedingt die Haltung Israels unterstützt, dürfte getrübt werden. «Der Nahostkonflikt trägt zur Vertiefung des europapolitischen Grabens bei, was möglicherweise zu einer gewissen Isolierung Frankreichs führt», meint Casasus.
Was braucht es für einen funktionierenden palästinensischen Staat?
Damit der Staat Palästina auf Dauer funktioniert, müsste er laut Schulze über ein einheitliches Staatsgebiet verfügen, in dem für die Bevölkerung interne Freizügigkeit besteht. Das heisst, die bislang bestehenden internen Grenzen müssten verschwinden. Zudem müsste Palästina mit Israel Kooperationsmöglichkeiten aushandeln.
Vor allem aber braucht es für eine umfassende Staatsreform laut Schulze nebst der Zustimmung Israels vor allem eines: den Willen der Palästinenser selber, aus dem chaotischen Gebilde einen demokratischen Staat zu formen.