Darum gehts
- Untersuchungskommission: Britische Regierung reagierte zu spät und unzureichend auf Corona-Pandemie
- Damaliger Premier Boris Johnson förderte laut Bericht eine giftige Kultur in Downing Street
- 23'000 Todesfälle hätten in England durch früheren Lockdown verhindert werden können
«Zu wenig, zu spät»: In ihrem Bericht kommt eine Untersuchungskommission zum Umgang mit der Corona-Pandemie in Grossbritannien zu einem drastischen Fazit. In der damaligen konservativen Regierung habe Chaos geherrscht, und das Virus sei viel zu spät ernst genommen worden, heisst es in dem mehr als 800 Seiten langen Bericht, in dem die Erkenntnisse der öffentlichen Untersuchung erläutert wurden.
Alle Regierungen im Vereinigten Königreich hätten es «versäumt, das Ausmass des Risikos und der Katastrophe» zu erkennen, sagte die Vorsitzende der Untersuchung, Heather Hallett, der Nachrichtenagentur PA zufolge bei der Vorstellung des Berichts. Darin wurden auch mehrere Empfehlungen für künftige Pandemien abgegeben.
Keine Lehren aus Fehlern gezogen
Die Reaktion der damaligen Regierung auf den Beginn der Pandemie im Jahr 2020 war dem Bericht zufolge deutlich zu lasch. Wäre der Lockdown im März 2020 eine Woche früher verhängt worden, hätte es demnach während der ersten Infektionswelle in England etwa 23.000 Todesfälle weniger gegeben.
Die ersten beiden Lockdowns hätten den Angaben zufolge zudem kürzer ausfallen können oder wären gar vermeidbar gewesen, wenn Massnahmen wie Social Distancing früher eingeführt worden wären. Aus anfänglichen Fehlern seien auch im späteren Verlauf keine Lehren gezogen worden.
Boris Johnson und der Partygate-Skandal
Auch mit dem früheren britischen Premierminister Boris Johnson (61) geht Hallett in dem Bericht hart ins Gericht. Damals habe eine «giftige und chaotische Kultur» in der Downing Street geherrscht. Johnsons damaliger Chefberater Dominic Cummings (53) habe «beleidigende, sexualisierte und frauenfeindliche» Sprache verwendet. Dem habe Johnson nicht nur kaum entgegengewirkt, sondern diese Kultur stellenweise «aktiv gefördert».
Johnson, der von 2019 bis 2022 Premierminister seines Landes war, stand wegen seines zögerlichen und teilweise chaotischen Vorgehens in der Corona-Pandemie immer wieder in der Kritik. Besonders kritisiert wurde er auch wegen seiner Rolle im sogenannten Partygate-Skandal, als im Regierungssitz Feste gefeiert wurden, während der Rest des Landes in Lockdowns sass. Johnson hatte bei der öffentlichen Untersuchung ausgesagt.
Im Fazit fordern die Mitglieder der Untersuchungskommission, dass es bei der nächsten Pandemie anders läuft. Gerade in Notfällen sei es unerlässlich, dass Führungskräfte die von ihnen geforderten Regeln des öffentlichen Gesundheitswesens selbst befolgen. «Sie müssen zudem mutmassliche Regelverstösse ihrer Minister und Berater umgehend und entschieden ahnden, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Massnahmen zu gewährleisten», schlussfolgern sie und halten fest: «Während der Pandemie haben Entscheidungsträger und ihre Berater in ganz Grossbritannien offenbar mehrfach gegen die Covid-19-Regeln verstossen.»
Im Vereinigten Königreich starben laut Sterbeurkunden etwa 227'000 Menschen an Covid-19 - das sind trotz geringerer Bevölkerung deutlich mehr als in Deutschland. Viele Hinterbliebene machen Johnson und seine Regierung für den Tod ihrer Angehörigen verantwortlich. Der britische Premierminister Keir Starmer (63) kündigte laut PA an, die im Bericht gewonnenen Erkenntnisse sorgfältig prüfen zu wollen.