Der gigantische Atombunker von Helsinki hat ein Hallenbad
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Eine Stadt unter der Stadt:Der gigantische Atombunker von Helsinki hat ein Hallenbad

Bereit für russische Angriffe
Das sind die Mega-Bunker von Finnland

Die Finnen sind gebrannt. Aus Angst vor neuen Angriffen der Russen haben sie ein weit verzweigtes Bunkersystem aufgebaut, dessen Anlagen heute unter anderem als Sportplätze dienen. Blick hat vier der in Fels gehauenen Schutzbauten besucht.
Publiziert: 17.04.2023 um 01:14 Uhr
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Aktualisiert: 17.04.2023 um 14:34 Uhr
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Guido FelderAusland-Redaktor

Kreischende Kinder im Anfänger-Pool, lachende Jugendliche auf der Rutschbahn, Leistungssportler im 50-Meter-Becken: Das 1993 erbaute Hallenbad in Helsinkis Stadtteil Itäkeskus ist eine ganz normale Sportanlage. Jedenfalls zu Friedenszeiten. Bei Kriegsgefahr hingegen würde das Wasser aus den Becken gepumpt und die warmfeuchte Luft herunter gekühlt werden. 3900 Menschen fänden hier einen atom- und giftgassicheren Schutzraum, falls in der finnischen Hauptstadt Bomben detonierten.

Die Finnen sind – wie die Schweizer – Weltmeister im Bauen von Schutzbunkern. Der Zweite Weltkrieg, in dem das Land zweimal gegen die Sowjets kämpfen und dabei einen Teil des Staatsgebietes im Osten des Landes seinem Feind abtreten musste, hat sie gelehrt. Jari Markkanen (56), Planungsoffizier beim städtischen Zivilschutz von Helsinki, sagt: «Wir haben einen mächtigen Nachbarn, der unberechenbar ist, wie der Krieg in der Ukraine zeigt.» Am 4. April ist Finnland der Schutzmacht Nato beigetreten.

Finnland hat 1939 das erste Zivilschutzgesetz eingeführt. Heute sind alle Besitzer öffentlicher Bauten – etwa Einkaufszentren, Hotels und Schulen – sowie auch Bauherren privater Gebäude mit einer Fläche von über 1200 Quadratmetern verpflichtet, Schutzbunker zu erstellen. Allein in Helsinki stehen für die 650’000 Einwohner und Besucher 900’000 Schutzplätze zur Verfügung. 180’000 davon befinden sich in den 60 grossen öffentlichen Bunkern. Alarmiert wird per App oder über Sirenen, die jeden ersten Montag im Monat getestet werden. Innerhalb 72 Stunden muss jede Anlage geräumt und in Bereitschaft gestellt werden können.

Tief unter der Erde: das Nichtschwimmer-Becken im Hallenbad Itäkeskus.
Foto: JoonasNieminen.fi
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Spielplatz im Boden

Nach dem Besuch im Hallenbad führt Markkanen Blick weiter in den Schutzbunker Merihaka im Hakaniemi-Quartier. 25 Meter unter dem Boden spielt hier eine Schulklasse Nordic Floorball, was unserem Unihockey entspricht. In einem anderen Raum tummeln sich Kleinkinder auf einem Spielplatz, beobachtet von ihren Eltern, die in einem Café an einer Tasse nippen. Der 230 Meter lange Schutzbunker, zu dem auch ein Parkhaus gehört, wurde 2003 erstellt.

Nebst der Feuchtigkeit nennt Markkanen im Krisenfall den Abfall als ein grosses Problem. Er rechnet: «Eine Person verursacht täglich rund ein halbes Kilo Ausscheidungen. Das macht bei 6000 Menschen, die hier Schutz fänden, rund drei Tonnen. All dieser Dreck müsste in Säcke abgefüllt werden, falls das fliessende Wasser ausfällt und wir die Trockentoiletten benützen müssten.»

Im Stadtteil Maunula schliesst Markkanen die Türen zu unterirdischen Sportanlagen auf, in denen Volleyball-, Kampfsport- und Schiessclubs ein Zuhause gefunden haben. Zurzeit herrscht Stille. Wegen der eindringenden Feuchtigkeit muss der Boden saniert werden. 4000 Menschen fänden hier Platz. Gar 9000 Schutzsuchende fasst der Bunker in Kontula, der Jugendlichen als Skaterpark dient. Jari Markkanen sagt, nicht ohne Stolz: «Hier haben wir die dicksten Schutztore in ganz Helsinki.»

Keine «Ameisen»-Übung

Vom Autobahntunnel im Luzerner Sonnenberg, der im Notfall mit je 350 Tonnen schweren Toren verriegelt worden wäre und 20’000 Menschen Schutz geboten hätte, hat Markkanen nie gehört. Diese einst grösste Schutzanlage der Schweiz wurde nach der missglückten Übung «Ameise» 2006 geschlossen und rückgebaut. Markkanen lauscht interessiert und erwidert dann: «Im Zentrum von Helsinki können wir jede der sechs Metrostationen verriegeln und als Schutzanlage einsetzen.» Eins-zu-eins-Übungen mit Tausenden Figuranten wie bei «Ameise» gebe es in Finnland nicht. Lediglich die Bunker-Manager würden den Notfall regelmässig trainieren.

Viele der Schutzanlagen bohren und sprengen die Finnen direkt in den 1,8 Milliarden Jahre alten Felsen aus Granit und Gneis, auf dem Helsinki gebaut ist. Die Zugänge zu den Bunkern sind verwinkelt, damit der Druck einer Atombombe mehrere Male umgeleitet und somit abgeschwächt wird. Nirgends ist glatter Putz zu sehen. «Die natürliche, raue Felsenstruktur hilft mit, Druckwellen zu absorbieren», sagt Jari Markkanen.

Tiere verboten

Die meisten Anlagen sind mit zwei Türsystemen gesichert: Die äusseren Portale halten den Druck auf, die inneren Tore stoppen gefährliche Gase. Die Anlagen können unter Überdruck gesetzt werden, damit allenfalls kontaminierte Aussenluft nicht eindringen kann. Markkanen: «In der Schutzanlage Merihaka könnten die Menschen etwa sechs Stunden ohne Luftaustausch überleben. Danach beginnt der Sauerstoffgehalt abzunehmen.» Daher gibts in den Bunkern Lüftungssysteme. Falls der Strom ausfällt, werden Dieselmotoren eingesetzt. Sie stehen auf schwingenden Federn, damit sie Erschütterungen standhalten.

Ausgerichtet sind die Schutzanlagen und die Vorräte auf eine Benützung von bis zu 14 Tagen. Zur Ausrüstung der öffentlichen Anlagen gehören Betten – anzahlmässig jeweils ein Drittel der schutzsuchenden Personen. «So können wir in jeweils Acht-Stunden-Schichten schlafen», sagt Markkanen. Essen sowie Medikamente müssen die Leute selber mitnehmen. Verboten sind Alkohol, Drogen und wärmeproduzierende Geräte wie Gaskocher. Auch Tiere müssen draussen bleiben oder in einem privaten Bunker Unterschlupf finden.

Mit den Bunkern vertraut

Bunker, die als Sportanlagen benützt werden, sind Jari Markkanen am liebsten. «Sie sind nicht überstellt und werden täglich gereinigt», sagt er. Zudem mache es die Benützung bei drohender Gefahr um einiges einfacher. Markkanen: «Weil die Anlagen heute für viele zum Alltag gehören und mit positiven Erlebnissen verknüpft sind, sinkt die Schwellenangst im Ernstfall.»

Seit die russischen Truppen in die Ukraine einmarschiert sind, sei das Bewusstsein gegenüber dem Zivilschutz gestiegen, sagt Markkanen. «Ich arbeite seit über 20 Jahren in diesem Job. Lange wurde unsere Abteilung stiefmütterlich behandelt.» Nun stelle er fest, dass den Anlagen eine weit grössere Beachtung geschenkt werde. Markkanen: «Wir haben gemerkt, dass der Feind real ist.»

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