Auf Nawalny wartet die Hölle
So brutal sind Russlands Straflager

Für mindestens zwei Jahre und acht Monate muss Alexej Nawalny in ein russisches Straflager. Auf den Oppositionellen warten sadistische Aufseher, Seuchen und Ausbeutung.
Publiziert: 22.02.2021 um 11:00 Uhr
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Aktualisiert: 29.04.2021 um 14:11 Uhr
Alexej Nawalny drohen nach dem Mordanschlag auf ihn mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok neue Gefahren im Straflager.
Foto: DUKAS
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Alexej Nawalny drohen nach dem Mordanschlag auf ihn mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok neue Gefahren im Straflager. Mindestens zwei Jahre und acht Monate soll der prominente Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin in einer dieser gefürchteten Haftanstalten verbringen.

Sie habe Angst um das Leben des 44-Jährigen, sagte die Menschenrechtlerin Olga Romanowa von der Gefangenen-Hilfsorganisation Russland hinter Gittern (Rus Sidjaschtschaja) nach dem Richterspruch. Russlands Straflager sind berüchtigt für rohe Gewalt, Folter und auch Todesfälle.

Sogar Teile der russischen Staatsführung verglichen die «unmenschlichen» Zustände schon mit dem Gulag – den Straflagern zu Zeiten des Sowjetdiktators Josef Stalin (1879-1953).

Folter, Schläge, Todesfälle

Viele Prominente haben von ihren Erfahrungen dort berichtet, der Putin-Gegner Michail Chodorkowski etwa, der viele Jahre in einer Strafkolonie zubrachte und sich einsetzt für Nawalnys Freilassung. Er bezeichnete es als mutigen Schritt, dass der Oppositionelle trotz drohender Haft nach Russland zurückkehrte, nachdem er sich in Deutschland von dem Giftanschlag erholt hatte. Der frühere Oligarch, der sich einst mit Putin überwarf, meinte aber auch, dass auf Nawalny durch weitere Strafverfahren immer noch Haftjahre dazukommen könnten.

«Folter, Schläge und Todesfälle» gehörten zum Alltag in den Straflagern, berichtete die Aktionskünstlerin Nadeschda Tolokonnikowa von der Moskauer Punkband Pussy Riot. Sie wurde mit ihrer Bandkollegin Maria Aljochina 2012 zu zwei Jahren Straflager verurteilt, weil sie in einem Punkgebet in einer Kirche gegen Putin protestiert hatte. In ihrem Buch «Anleitung für eine Revolution» erzählte Tolokonnikowa nüchtern und in eindringlichen Bildern von der sklavenähnlichen Ausbeutung im Strafvollzug.

Rund 500'000 Menschen in Haftanstalten

Nach Behördenangaben sitzen rund eine halbe Million Menschen in Russland in Haftanstalten. Nirgends sonst in Europa gibt es laut Gefangenen-Statistiken des Europarats, in dem Russland Mitglied ist, mehr Menschen hinter Gittern, wenn es um die Zahl der Inhaftierten je 100 000 Einwohner geht. Anklagen bedeuten im flächenmässig grössten Land der Erde fast immer auch ein Schuldspruch.

Auch politische Gefangene wie Nawalny kommen in diese Straflager – aus Sicht von Menschenrechtlern oftmals nicht wegen echter Verbrechen, sondern wegen ihrer regierungskritischen Haltung. Die Aktivistin Tolokonnikowa etwa erlebte im Lager «IK-14» in Mordwinien als Näherin von Polizeiuniformen Arbeitstage von 7.30 Uhr bis 0.30 Uhr – bei nur einem freien Tag im Monat. Systematischer Schlafmangel, schlechtes Essen, kalte und schmutzige Zellen sollen die Gefangenen möglichst rasch brechen, wie sie festhielt. Die Arbeitslöhne liegen nach offiziellen Angaben bei unter vier Euro pro Tag.

«Hunderte HIV-Kranke arbeiteten 16 Stunden am Tag und richteten die Reste ihres Immunsystems damit zugrunde. Zum Sterben brachte man sie ins Lagerkrankenhaus, damit sie mit ihren Leichen nicht die Koloniestatistik verdarben», notierte Tolokonnikowa.

Wie brutal es zugehen kann in den Straflagern, beschrieb schon früh der Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn (1918-2008) in seinem Werk «Der Archipel Gulag». Aber auch 30 Jahre nach dem Ende der kommunistischen Gewaltherrschaft hat sich nach Meinung von Menschenrechtlern nichts grundlegend geändert. Die Organisation Memorial sammelt Berichte von Augenzeugen. Überlebende erzählen auch in Dokumentationen oft unter Tränen von Willkür und drakonischen Strafen, von Vergewaltigungen, Hunger und Seuchen.

«Im Lager gibt es keine Sicherheit mehr für ihn»

Die kremlkritische Zeitung «Nowaja Gaseta» berichtete mehrfach, dass Angehörige brutal misshandelter oder sogar getöteter Gefangener immer wieder flehend an Präsident Putin schrieben, er möge gegen «sadistische Knastaufseher» vorgehen. Doch Anwälte, Menschenrechtler, die Organisation Russland ohne Folter (Rossija bes Pytok) und Russland hinter Gittern beklagen, diese Beschwerden blieben meist folgenlos für die genannten Peiniger.

So oder so kommen auf den Putin-Gegner Nawalny harte Zeiten zu – er ist von seiner Frau Julia und den beiden Kindern auf Jahre getrennt. Das Strafvollzugsrecht erlaubt ihm in einem «Lager allgemeinen Regimes» etwa sechs kurze und vier längere Besuche pro Jahr. Doch wegen der Coronavirus-Pandemie gab es aus vielen Lagern zuletzt Berichte über Einschränkungen der Rechte.

Nawalny muss mehrere Jahre ins Straflager
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Die Gefahr im Lager sei auch deshalb gross, weil dort wegen eines Systems korrupter und krimineller Geflechte und wegen fehlender Überwachung Verbrechen schwerer aufzuklären seien, meinen Experten. Die Menschenrechtlerin Romanowa sagte nach dem umstrittenen Urteil gegen Nawalny, dass er im Untersuchungsgefängnis immerhin noch unter starker Beobachtung von Personal und Videokameras stehe. Aber bei einer Überstellung ins Lager gebe es keine Sicherheit mehr für ihn. (SDA)

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