Anwohner hörten keine Sirenen, keine Explosionen
Weiterhin keinerlei Beweise für Angriff auf Putins Waldai-Residenz

Aus dem Nichts wirft der Kreml der Ukraine einen massiven Drohnenangriff auf Putins Waldai-Residenz vor. Belege fehlen, Sirenen blieben stumm. Recherchen vor Ort widersprechen der Darstellung – und Putin hat einen Vorwand, den Krieg noch zu verschärfen.
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Der Kreml macht einen ukrainischen Drohnenangriff auf die Waldai-Residenz von Präsident Wladimir Putin in Nowgorod.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Kreml behauptet, Ukraine habe Putins Residenz mit 91 Drohnen angegriffen
  • Keine Sirenen, Drohnengeräusche oder Explosionen in Nowgorod gemeldet
  • Anwohner bestätigen fehlende Vorfälle, keine Beweise von Kreml vorgelegt
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Daniel KestenholzRedaktor Nachtdienst

Aus heiterem Himmel behauptete der Kreml am Montag, die Ukraine habe mit 91 Kampfdrohnen einen Angriff auf die Waldai-Residenz von Präsident Wladimir Putin (73) in der Region Nowgorod verübt. Der russische Präsident nutzt das abgeschiedene Anwesen häufig an Wochenenden.

Umgehend sprach Moskau von «Staatsterrorismus». Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow (75) kündigte harte Vergeltung an – und der angeblich «massive» Angriff könne Auswirkungen auf Russlands Haltung zu Friedensgesprächen mit der Ukraine haben.

US-Präsident Donald Trump (79) äusserte sich bislang nicht zu den Vorwürfen. Der Kreml legte ihm dennoch Worte in den Mund: Trump habe sich gegenüber Putin «sehr wütend» über den angeblichen Angriff gezeigt, hiess es aus Moskau.

Keine Sirenen, keine Warnungen

Deutlich widersprach der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (47). Die Geschichte sei «frei erfunden» und eine weitere «Lüge» des Kremls – ein Vorwand, um Friedensbemühungen zu torpedieren und neue Angriffe auf Regierungsgebäude in Kiew zu rechtfertigen.

Auffällig ist: In der Nacht auf Montag blieben in der Region Nowgorod offenbar sämtliche Luftschutzsirenen stumm. Auch die russische Luftabwehr, sonst bekannt für engmaschige Frühwarnsysteme, meldete keinerlei sichtbare Aktivität.

Recherchen des unabhängigen russischen Medienprojekts «Mozhem Obyasnit» werfen erhebliche Zweifel an der Kreml-Version auf. In der betreffenden Nacht habe es keine Anzeichen eines Angriffs gegeben. Der investigative Telegram-Kanal ist auf die Aufdeckung von Propaganda und Desinformation im Ukrainekrieg spezialisiert – und sprach nach eigenen Angaben mit 14 Einwohnern der Region.

Keine Drohnen, keine Explosionen

Keiner der Befragten habe in jener Nacht Drohnengeräusche oder Explosionen wahrgenommen. Auch offizielle Warnungen vor einem Angriff habe es nicht gegeben.

«Es gab kein Summen, geschweige denn Explosionen», wird ein Anwohner zitiert. «Wenn so etwas passiert wäre, hätte die ganze Stadt darüber gesprochen.» Wenn Putin in der Region sei, wisse das die Bevölkerung üblicherweise – nicht zuletzt wegen des Lärms der Helikopter.

Zum Vergleich verwiesen Anwohner auf einen Drohnenangriff unlängst auf den grossen Düngemittelhersteller Akron in derselben Gegend: «Damals wurde die ganze Stadt von Explosionen geweckt. Alle schrieben darüber in den lokalen Chats.»

Schweiz will vermitteln

Auch der Kreml hat bislang keinerlei Beweise für den angeblichen Waldai-Angriff vorgelegt, der Putin jetzt als neue Ausrede dient.

Mangels überprüfbarer Fakten verzichtete auch die Schweiz auf eine Stellungnahme. Auf Anfrage der russischen Nachrichtenagentur Tass erklärte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA): «Aufgrund der derzeit vorliegenden Informationen gibt das Aussenministerium keine Stellungnahme ab.»

Zugleich bekräftigte Bern seine Bereitschaft, als Vermittler zu fungieren. «Die Schweiz beabsichtigt», so das EDA, «alle Initiativen zu unterstützen oder selbst zu ergreifen, die den Dialog zwischen Russland und der Ukraine fördern können.»

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