Darum gehts
Noch vor einem Jahr wirkte das Geschäftsmodell der Zürcher Softwarefirma wie eine wasserdichte Investition in die Zukunft. Ein kleines Start-up, das mithilfe künstlicher Intelligenz Unternehmen dabei helfen will, ihre Sprache inklusiver zu gestalten. Sei es in Stellenanzeigen, in der Kommunikation mit Angestellten oder in der Werbung: Das Zürcher Start-up Witty Works spürte ungeschickte Formulierungen und unterbewusste Vorurteile auf.
Die Idee war so simpel wie bestechend. «Wenn zum Beispiel eine Stellenanzeige so klingt, dass sie sich genauso an Frauen wie an Männer richtet, dann zieht ein Unternehmen mehr Talente an», sagt Nadia Fischer, die ehemalige CEO.
Trump stellt Inklusion in Frage
Der Erfolg schien Witty Works recht zu geben. Auf dem LinkedIn-Firmenprofil: Preisverleihungen, Bilder von Podiumsdiskussionen an hochrangig besetzten Konferenzen, Stellenanzeigen. «We are super excited!»
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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All diese Postings sind erst ein paar Monate alt – und doch stammen sie aus einer anderen Welt. Die neuste Wasserstandsmeldung der kleinen Zürcher Softwarefirma beginnt mit einem weinenden Emoji: Geschäftsaufgabe. Mit der neuen US-Regierung sei das Bemühen um inklusive Sprache unter Druck geraten. Zahlreiche Kunden seien weggebrochen, das Ergebnis sei «devastating», niederschmetternd.
Firmen geben dem Druck nach
Das kleine Witty Works ist eines von vielen Schweizer Unternehmen, die den Backlash der Inklusions- und Gleichstellungspolitik spüren.
Kaum wieder im Amt, befahl US-Präsident Donald Trump einen Stopp sämtlicher sogenannter DEI-Programme. Der Bemühungen also, die für Diversity, Equity und Inclusion stehen und in Verwaltung und Wirtschaft für ein vielfältiges, gerechtes und inklusives Arbeitsumfeld sorgen sollen.
Das Dekret Nummer 14173 schickte Schockwellen um die Welt. Denn rasch war klar: Nicht nur die US-Verwaltung, sondern sämtliche Unternehmen, die mit den USA geschäften, sind betroffen. Plötzlich erhielt die ETH Zürich einen Brief mit «unangenehmen Fragen» zu Genderprogrammen, berichtete die NZZ. Ähnlich erging es lokalen Zulieferern der US-Botschaft in Bern.
Grosse Schweizer Konzerne mit starkem US-Geschäft reagierten umgehend. Die UBS tilgte die Wörter Diversität, Inklusion und Gleichberechtigung aus dem Geschäftsbericht. Bei Roche löste sich der Zielwert von 38 Prozent Frauen in Führungspositionen in Luft auf. Novartis verzichtet in den USA seit März auf diverse Kandidatenlisten und Auswahlgremien im Einstellungsprozess.
Die grossen Schiffe setzen also ihre Segel neu. Doch auch unter der Wasseroberfläche geriet vieles in Bewegung.
Bemühungen auf der Kippe
Ein Montag im Frühling 2025. Es ist früher Nachmittag, doch Betina Balitzki kommt nicht vom Mittagessen. Sie sei bis vor ein paar Minuten in einem Call gewesen, erzählt die 58-jährige HR-Expertin am Telefon. Und ja, natürlich sei es darin um Trump gegangen.
Die Frage, wie man mit dieser abrupten Politikänderung umgehen soll, überschattet alles. Balitzki war eine der Ersten, die sich um vielfältige Teams und Inklusion bemühte. Schon 2009 wurde sie Head of Diversity bei der Swisscom, eine Jobbezeichnung, die damals noch kaum jemand kannte. Heute nennt sie sich «Dinosaurier» und lacht dabei, ehe sie wieder ernst wird. Denn man könnte auch sagen, dass Balitzki gerade erlebt, wie ihr berufliches Vermächtnis zerstört wird. Doch so will sie es nicht sehen.
«Wir sind jetzt auf dem Stand, dass nur diejenigen Unternehmen, die direkt mit US-Behörden zusammenarbeiten, die neuen Regeln beachten müssen», sagt sie. Als Teamleiterin Diversity and Inclusion bei einer Tochterfirma eines deutschen Unternehmens mit Sitz im Kanton St. Gallen beträfen sie die Erlasse des US-Präsidenten nur indirekt.
Zu spät – der Backlash ist schon da
Mehr ärgert sich Balitzki über die Langsamkeit der Schweizer Behörden und Unternehmen. Dort seien die Bestrebungen, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, erst jetzt richtig angekommen. Zu spät – jetzt, wo der Backlash Quoten für Verwaltungsräte und Unternehmensleitungen wieder in Frage stellt.
Ein Beispiel: Ab 2026 schreibt das Schweizer Aktienrecht börsennotierten Unternehmen einen Frauenanteil von 30 Prozent im Verwaltungsrat vor. Es ist eine weiche Quote, wer sie nicht erfüllt, wird nicht sanktioniert. Er muss nur erklären, warum das so ist. Trotzdem dürfte für die Regierung in Washington schon diese Regelung zu weit gehen.
Wer gewinnt den Kampf?
Anruf bei Lukas Hässig. Der Investigativjournalist betreibt das Portal «Inside Paradeplatz» als angriffslustige One-Man-Show. Wer in Zürich bei einer grossen Bank oder Versicherung arbeitet und sich anonym über seine Vorgesetzten beschweren will, ist bei ihm an der richtigen Adresse.
In den letzten Jahren hat Hässig Dutzende Artikel über woke Personalabteilungen, Cancel Culture und Gaga-Gendern geschrieben. Jetzt hat der Wind gedreht – und Hässig ist sich gar nicht so sicher, was er davon halten soll. Zwar hat er in einem Text pflichtschuldig geschrieben, dass sich die Woke-Culture bei der UBS hartnäckig halte, doch jetzt, am Telefon, wirkt er seltsam unbestimmt.
Er höre vieles, sagt Hässig. Die einen freuten sich, dass sie nun endlich aufhören könnten, so zu tun, als seien sie für die Förderung von Frauen und Regenbogenfahnen am Paradeplatz. Dann gebe es aber auch die, die das anders sähen. Die die Entwicklungen der letzten Jahre nicht zurückdrehen wollten. Und von denen gebe es gar nicht so wenige, meint Hässig.
Kurz darauf hat der Beobachter eine dieser Personen am Telefon. Sie arbeitet bei einem jener grossen Schweizer Konzerne, die in den vergangenen Wochen ankündigten, Diversity künftig rigoros aus den Firmenzielen zu streichen. «In Wirklichkeit hat sich aber gar nichts verändert», sagt sie in bemerkenswerter Offenheit. «Unsere Werte und Ziele sind genau gleich geblieben. Wir haben sie nur etwas anders benannt.»
Und schon dieser Schritt scheint zu schmerzen. «Bei uns hat niemand Luftsprünge gemacht», sagt die Person, die wie viele andere, mit denen wir für diesen Artikel gesprochen haben, anonym bleiben will. Sie persönlich kenne niemanden, der sich über die Trump-Erlasse gefreut habe.
Festhalten an Inklusion und Diversität
Das ist also die eine Seite. Schweizer Unternehmen, die sich Trump beugen – aber nach Wegen suchen, wie sie weiterhin an Inklusion und Diversität festhalten können. Aber es gibt auch Konzerne, die sich in offene Opposition begeben.
Ikea Schweiz scheint sich über die Anfrage regelrecht zu freuen. Eine Pressereferentin, die mit den Pronomen sie/ihr nach dem Nachnamen ihre Solidarität mit trans Personen ausdrückt, antwortet in klaren Worten: «Vielfalt, Inklusion und Gleichberechtigung sind bei Ikea nicht nur Teil der Unternehmenskultur – sie sind Teil unserer Zukunftsstrategie. Wir setzen uns weiterhin dafür ein, einen fairen und gleichberechtigten Alltag für alle zu schaffen, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Herkunft, Nationalität oder Beeinträchtigung.»
Zur Strategie von Ikea gehöre der Einsatz für die Ehe für alle, eine verlängerte Elternzeit für Mütter und Väter (auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren), die Integration geflüchteter Menschen und die aktive Unterstützung von Mitarbeitenden, die ihr Geschlecht ändern wollen. Dass die Trump-Regierung vor diesem Hintergrund wohl kaum auf Ikea-Möbel zurückgreifen wird, nimmt man in Kauf.
Manchmal übers Ziel hinaus
Sicher ist: Nicht alles, was in den vergangenen zehn Jahren eingeführt wurde, hat sich bewährt. Der Beobachter berichtete, wie grosse Schweizer Unternehmen vor einigen Jahren sehr private Informationen von ihren Bewerberinnen und Bewerbern erfragten.
Im Bemühen, möglichst viele Vielfalt-Häkchen setzen zu können, wurden sie zum Beispiel gefragt, ob sie homo- oder bisexuell seien. Eine Information, die viele Angestellte nur ungern mit ihrer Firma teilen – und auch nicht teilen müssen.
Doch um all diese «Auswüchse», wie es Diversity-Expertinnen nennen, geht es heute nicht mehr. Das Bemühen um Vielfalt ist von einem Anliegen, bei dem sich scheinbar alle einig waren, zu einer sehr politischen Frage geworden. «Es geht heute wirklich darum, ob wir unfaire Bewerbungsprozesse tolerieren oder offene Diskriminierung dulden», sagt ein HR-Verantwortlicher, der ebenfalls anonym bleiben möchte. «Und da sind wir uns eigentlich alle einig: Das wollen wir nicht.»
So sieht es auch Betina Balitzki. «Das, was wir heute wollen, ist eigentlich nur: Fairness. Und so sollte man es auch nennen.» Anders gesagt, geht es in vielen Betrieben in erster Linie darum, dass bei Bewerbungsprozessen darauf geachtet wird, nicht nach Geschlecht oder Herkunft zu diskriminieren. Von verlängerter Elternzeit oder aktiver Unterstützung von trans Personen, wie bei Ikea, ist nicht die Rede.
Oft unterschwellige Kritik
Nadia Fischer, die CEO von Witty Works, musste zwar ihr Start-up begraben. «Das schmerzt», sagt sie, «vor allem, weil bestehende Kunden die Verträge sogar ausgeweitet haben.»
Ihr habe jedoch nie jemand offen ins Gesicht gesagt: «Du, das mit eurer Software war nett, aber DEI ist vorbei.» Es war subtiler. Kunden, die sich nach positiver Testphase plötzlich nicht mehr meldeten. Kritische Kommentare auf LinkedIn mit genervtem Unterton: «Wer braucht diese Software? Überflüssig!»
Wenn ein Konzern heute behaupte, sich für Gleichstellung einzusetzen, rät Fischer, genau hinzuschauen, was das bedeutet: «Haben sie messbare Massnahmen ergriffen und Prozesse angepasst? Oder findet da vielleicht einmal im Jahr ein Workshop statt auf Freiwilligenbasis?»
Die Software von Witty Works steht nicht mehr zur Verfügung. Kundinnen wie die Deutsche Bahn oder das Eidgenössische Departement für Verteidigung stehen ohne Sprachassistenz da. Wars das? Fischer gibt sich am Telefon überraschend positiv: «Nein. Diversität und Gleichstellung lassen sich vielleicht temporär ausbremsen. Das sehen wir jetzt. Dauerhaft lässt sich das Rad aber nicht mehr zurückdrehen.»