Darum gehts
- 2025 wird Spanien voraussichtlich die meistbesuchte Nation der Welt, mit über 100 Millionen Touristen
- In Málaga protestieren Einheimische gegen die steigenden Mieten und den unkontrollierten Massentourismus
- Experten ordnen die Folgen von Massentourismus für die einheimische Bevölkerung ein und erläutern Schwierigkeiten bei der Regulierung
Spanien ist als Reiseziel so beliebt wie nie – auch bei Schweizerinnen und Schweizern: 2025 dürfte das Land am Mittelmeer den Nachbarn Frankreich als meistbesuchte Nation der Welt ablösen. Mehr als 100 Millionen Touristen werden erwartet, berichtet die Nachrichtenagentur AP.
Die enormen Besucherzahlen stossen bei Einheimischen zunehmend auf Kritik: Hunderttausende Spanier gingen Anfang April auf die Strassen, um gegen die akute Wohnungskrise zu demonstrieren. So auch im südlich gelegenen Málaga, das Blick während einer Pressereise mit dem Reiseveranstalter Hotelplan besuchte. Am 5. April protestierten 30'000 Einheimische unter dem Motto «Málaga zum Leben, nicht zum Überleben» für mehr bezahlbaren Wohnraum.
Darunter war auch die 76-jährige Blanca R.*, die seit Jahren im stark touristischen Stadtteil Soho lebt. «In meinem Wohnblock mit 20 Wohnungen sind jetzt 16 für Touristen reserviert», sagt sie im Gespräch mit Blick. «Auch mein Sohn musste kürzlich mit seiner Familie aus seinem Haus ausziehen, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte», erklärt die Rentnerin. Freundin Lola H.* (78) ergänzt: «Der Tourismus hat mittlerweile ein exzessives Ausmass erreicht. Das kann die lokale Bevölkerung bald nicht mehr tragen.» Dennoch betont sie: «Die Malagueños wissen, dass ihre Stadt vom Tourismus lebt. Die positiven Auswirkungen des Tourismus sind unbestritten.» Es sei nur eine Frage der Menge.
Jürg Stettler (60), der an der Hochschule Luzern zu Tourismus forscht, weiss um die starken Verdrängungseffekte, die der Massentourismus mit sich bringt: «Diese tragen massgeblich zum Unmut der Einheimischen bei», sagt er. «Tourismus findet dort statt, wo die Einheimischen leben und wohnen.» So würden sich Airbnbs oft in Wohngegenden mit vielen Sehenswürdigkeiten oder guter Lage konzentrieren. Einheimische werden also aus den schönsten Quartieren verdrängt. «Wer bleibt, büsst durch die Touristenmassen an Lebensqualität ein», so Stettler.
Die Regierung sei schuld
Auch Inma P.* (40) erfuhr die Folgen des Massentourismus in Form einer erschwerten Wohnungssuche. Bis sie 30 Jahre alt war, lebte sie noch bei ihrer Mutter Charo P.* (67), die ein Eigenheim besitzt. Dass der Nachwuchs bis Anfang 30 im Elternhaus bleibt, ist in Spanien keine Seltenheit.
«Die Leute können sich diese Mietpreise einfach nicht mehr leisten», sagt Inma. «Das ist aber nicht unbedingt die Schuld des einzelnen Touristen», meint sie. Es sei die Schuld der Regierung, die nichts dagegen unternehme. «Wenn die Menschen in Málaga einfacheren Zugang zu Wohnraum hätten, gäbe es keine Probleme.»
Paco L.* (81) sieht das anders. Er stört sich nicht nur an der akuten Wohnungskrise, sondern auch am Partytourismus. «Manche Leute kommen für zwei Tage hierher, buchen nicht einmal ein Hotel und schlafen irgendwo am Strand», sagt er. «Sie trinken zu viel, sind zu laut und stören die Einheimischen. Es ist furchtbar.»
Antonio G.* (63) fügt hinzu: «Viele respektieren die Regeln unserer Gemeinschaft nicht. Es ist ihnen egal, wie laut sie die Musik aufdrehen, oder ob sie um 7 Uhr morgens durch die Strassen schreien.»
Massentourismus als Teufelskreis für die Einheimischen
Christian Laesser (62), Tourismus-Experte an der Universität St. Gallen, weiss: «Der Massentourismus ist kein neues Phänomen. Aber in Regionen wie Barcelona, Mallorca oder Málaga erscheint er besonders extrem, weil es im Verhältnis zur Anzahl der Einheimischen viele Touristen gibt.»
Billigflieger hätten mit ihren Angeboten ganz neue Märkte aufgetan, die den Massentourismus weiter befeuern, so der Experte. «Jetzt können sich auch Personen mit kleinerem Budget Reisen ins Ausland leisten. Dazu kommen Kreuzfahrtschiffe, die auf einen Schlag bis zu 5000 Touristen in einen Küstenort befördern. Und Wohnungen werden lieber als Airbnb-Unterkünfte vermietet.»
Lösungsmassnahmen haben «unerwünschte Nebenwirkungen»
Die beiden Experten sind sich einig: Eine Lösung für das Problem zu finden, ist schwierig. «Einige Regionen wie Dubrovnik in Kroatien haben bereits Kapazitätsgrenzen für Kreuzfahrtschiffe eingeführt», sagt Stettler. «Seit 2019 dürfen nur noch zwei Schiffe pro Tag anlegen.» Doch solche Kontingente können die wirtschaftlichen Erträge schmälern.
Eine Eintrittsgebühr für Touristen, wie sie Venedig vergangenes Jahr testweise eingeführt hatte, ist laut Laesser nur dann sinnvoll, wenn die Einnahmen den Menschen vor Ort zugutekommen. «So erkauft man sich das Wohlwollen der Bevölkerung», sagt er. Was aber definitiv hilft: in beliebten Ferienzielen im Hotel statt im Airbnb übernachten.
* Nachname geändert