Darum gehts
- UBS-Drama: Hochriskante Derivate führen zu Verlusten für Kunden
- Anwalt kritisiert asymmetrische Risikoverteilung bei strukturierten Produkten
- Kunden riskieren Verluste von 2,9 Millionen Franken bei 43,8 % Wahrscheinlichkeit
In der UBS spielt sich ein Drama ab. Genauer: in der weltweiten Vermögensverwaltung der Grossbank, dem sogenannten Global Wealth Management (GWM).
Die riesige Abteilung, zu der rund 10’000 Kundenberater gehören, berät Reiche aus der ganzen Welt, eine gut betuchte Kundschaft, die insgesamt 4,2 Billionen Dollar auf den Konten und in den Depots der Bank angelegt hat. Seit einigen Jahren wird das GWM von Iqbal Khan (49) geleitet, der letztes Jahr die Führung mit dem US-Amerikaner Rob Karofsky (58) teilen musste. Beide gelten als Anwärter für die Nachfolge von CEO Sergio Ermotti (65).
In einigen Depots kam es nun zu einem heftigen Unfall. Auslöser des Crashs waren diverse Zollankündigungen von US-Präsident Donald Trump (78). Damit stiess er nicht nur enge Handelspartner wie die Schweiz vor den Kopf, sondern löste eine Kettenreaktion an den Finanzmärkten aus: Zuerst brachen weltweit die Aktienkurse ein. Dann flüchteten die Anleger aus dem Dollar, wodurch die US-Staatsanleihen unter Druck gerieten. Die US-Währung brach ein und verlor in kurzer Zeit 10 Prozent gegenüber dem Franken.
Das wiederum führte zu einem wilden Gemetzel in einem der dunkelsten Hinterhöfe der Finanzmärkte, dem Derivatemarkt, auf dem mit Finanzinstrumenten wie Optionen, Futures und Swaps gehandelt wird.
Investorenlegende Buffet: «potenziell tödlich»
Derivate sind keine Neuerfindungen: Schon Thomas von Aquin schrieb im 14. Jahrhundert eine Abhandlung über Terminkontrakte, wobei es damals noch um Textilien aus der Toskana ging. In den letzten Jahrzehnten explodierte der Markt, immer komplexere Produkte wurden von der Finanzinnovation ersonnen. Weil in den Instrumenten verborgene Risiken schlummern, bezeichnete Investorenlegende Warren Buffett (94) Derivate einst als finanzielle «Massenvernichtungswaffen», die «potenziell tödlich» sind.
Hochriskante Derivate bot auch die UBS ihren Kunden im Global Wealth Management an – nach heutigem Stand vor allem in der Schweiz. Sie laufen unter verschiedenen Bezeichnungen wie Range Target Profit Forwards oder Conditional Target Redemption Forwards. Die Produkte ermöglichen gehebelte Wetten auf Währungspaare oder Edelmetalle wie Gold oder Palladium.
Die zwischen Bank und Kunden ausgehandelten Wetten sehen den Kauf von Dollarbeträgen zu vordefinierten Zeitpunkten innerhalb eines festgelegten Kursbandes vor. Eine solche Wette wird zum Problem, wenn der Kurs unter die Schwelle fällt – was nach dem «Liberation Day» am 2. April offenbar reihenweise geschah und Nachschussforderungen auslöste, die man auch Margin Calls nennt.
Solche Margin Calls erhielten nun etliche UBS-Kunden, wie Nicolas Ollivier berichtet, Anwalt und Partner der Grosskanzlei Lalive mit Büros in Zürich, Genf und London. Er ist spezialisiert auf die Vertretung von geschädigten Kunden und hat mit dem georgischen Politiker und Milliardär Bidsina Iwanischwili (69) schon eines der berühmtesten Anlageopfer der Credit Suisse vertreten.
Ollivier hat ein halbes Dutzend Fälle auf dem Tisch, bei denen es um spezielle Forward-Derivate geht. Der Jurist liess die Produkte mit einem externen Team von Optionsspezialisten untersuchen. Anhand eines konkreten Falls kann er darlegen, wie gefährlich die Produkte für die Kunden sind – und wie profitabel für die Bank.
Gemäss seinen Analysen kam Ollivier zum Schluss, dass die Bank mindestens so viel einnimmt, wie der Kunde maximal gewinnen kann. Wenn eine Wette – Kontrakt genannt – einen maximalen Gewinn von 50’000 Dollar für den Kunden vorsieht, nimmt die Bank genauso viel ein. «Die Risiken hingegen sind vollkommen asymmetrisch verteilt», sagt der Anwalt.
Kunden mit viel mehr Risiko als die Bank
Im konkreten Fall sah das Produkt vor, dass der Anleger im besten Fall 54’000 Franken gewinnen kann. Ollivier und seine Finanzspezialisten haben ausgerechnet, dass die Chance, diesen Gewinn zu erzielen, bei 56,2 Prozent liegt: «Doch das Problem ist, dass der Kunde viel mehr verlieren kann.» Bei diesem spezifischen Produkt ging der Kunde nämlich das Risiko ein, insgesamt 2,9 Millionen Franken zu verlieren. Die Wahrscheinlichkeit, diesen Verlust einzufahren, lag bei enorm hohen 43,8 Prozent.
Kein professioneller Investor würde ein solches Produkt kaufen, sagt der Anwalt. Der Kunde habe nur deshalb zugegriffen, weil er keine Ahnung hatte, wie ungleich die Risiken verteilt waren. Im Kleingedruckten und in Verkaufsgesprächen werden die Kunden zwar darüber aufgeklärt, dass sie «alles verlieren» können, sagt Ollivier. Doch dafür, wie Chancen und Risiken verteilt sind, gibt es kaum Anhaltspunkte. Meist werden in den Unterlagen Kursverläufe gezeigt, die viel zu kurz sind und zu denen keine Fälle gehörten, in denen Kurs unter die Verlustschwelle fällt.
«Diese strukturierten Produkte basieren auf der Annahme stabiler Marktverhältnisse. Historische Kursdaten zeigen jedoch, dass es regelmässig zu Markteinbrüchen kommt. Solche Rückgänge hätten in der Vergangenheit mehrfach die Verlustschwellen überschritten – mit der Folge von Margin Calls und erheblichen Verlusten für die Kunden», sagt Anwalt Ollivier.
Wie viele Kunden insgesamt betroffen sind, ist unbekannt. Die UBS sagt dazu nichts. Auch die Finanzmarktaufsicht schweigt zum geschilderten Fall. Bekannt ist, dass die Produkte in der Region Ostschweiz mit besonderem Nachdruck vertrieben wurden, zum Teil auch an Kunden, die keine Millionenvermögen besitzen und eher zum Segment der Kleinkunden gehören dürften. Ein Hotspot mit vielen reichen Opfern befindet sich in St. Moritz GR, wo sich der Schweiz-Chef des UBS Wealth Managements, August Hatecke, persönlich um die betroffenen Kunden kümmern soll. Er verfügt über eine direkte Reporting-Line zu Iqbal Khan, dem Co-Chef der globalen Vermögensverwaltung.
Die Bank lotst derzeit Wege aus, um betroffenen Kunden entgegenzukommen. Eine UBS-Sprecherin teilt mit: «Die extreme Marktvolatilität der letzten Wochen hat sich auf bestimmte Anlagen ausgewirkt. Die allermeisten unserer Kunden haben diversifizierte Investmentportfolios und sind damit in dieser volatilen Zeit relativ gut gefahren. Wir prüfen allfällige unerwartete Auswirkungen mit den betroffenen Kunden.»