Darum gehts
Seit vier Jahren prasselt Kritik vonseiten des Parlaments auf den Post-Verwaltungsrat ein. Das Gewerbe stört sich an der Expansionsstrategie – der Staatsbetrieb hat viele private Firmen aufgekauft. Mit Vorstössen will eine rechte Mehrheit der Post dieses Geschäft verbieten. Gleichzeitig opponieren die SVP, die Mitte und die Linke gegen den Abbau des Filialnetzes. Und schliesslich durchkreuzt der Preisüberwacher die Pläne der Post, die ihre Preise für Briefe und Pakete offensiv erhöhen will. Wie das für die Post ausgehen soll, erklärt der angriffige Post-Verwaltungsrat Christian Levrat im Gespräch.
Die Post sei «ein alter Zopf», sagt mir mein 25-jähriger Sohn. Mit ihr habe er nur Kontakt, wenn ihm die Steuererklärung und die Stimmzettel zugestellt werden. Wozu brauchts die Post noch?
Christian Levrat: Auch ich beobachte meine erwachsenen Kinder. Sie erhalten Pakete und versenden Retouren. Sie nutzen Twint oder das E-Banking von Postfinance, obwohl sie die Wahl hätten, auch andere Banken zu nutzen. Sie stimmen wie Ihr Sohn brieflich ab und nutzen das Postauto. Anders gesagt: Die Post ist für sie relevant im Alltag. Einfach anders als für unsere Generation. Unsere Kundinnen und Kunden wählen, ob sie die Post physisch oder digital nutzen.
Sie nennen es hybride Post. Wie stark schrumpft die physische Post?
Die Veränderungen sind markant, und die digitale Transformation wird die Entwicklung nicht bremsen. Seit 2010 hat das Volumen von Briefen und Zeitungen um 40 Prozent abgenommen. Die Einzahlungen am Postschalter gingen in dieser Zeit um drei Viertel zurück. Wir schätzen, dass wir bis ins Jahr 2040 zwei Drittel des heutigen Brief- und Zeitungsvolumen verlieren werden. Bei den Einzahlungen am Schalter wird es ein winziger Bruchteil der heutigen Einzahlungen sein.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
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Um neue Einnahmen zu generieren, expandieren Sie in die Privatwirtschaft. Die Post kaufte Dutzende kleinerer und grösserer Firmen. Bürgerliche kritisieren dies heftig. Ein Beispiel: Wozu braucht die Schweizerische Post die Tochterfirma Unblu, eine Softwarefirma?
Solche Investitionen sind wichtig, um neue Technologien zu nutzen. Unblu bietet unter anderem digitale Beratungstools an. Aber das Übergeordnete ist zentral. Wenn die klassische Dienstleistung zurückgeht – die Paketmenge steigt zwar, aber die Gewinnmargen sind sehr klein, und wir gehen davon aus, dass niemand wirklich Geld damit verdient –, müssen wir gemäss vier Pfeilern handeln. Erstens muss die Post die Preise nach oben anpassen. Zweitens muss die Post an ihrer Effizienz arbeiten. Wir haben Hunderte von Millionen Franken Kosten aus dem System herausgenommen …
... eingespart.
Ja, eingespart. Wegen rückläufiger Mengen mussten wir Effizienzmassnahmen umsetzen. Der dritte Pfeiler: Wir müssen neue Geschäfte entwickeln. Nicht per se, aber um das Bedürfnis unserer Kundschaft zu befriedigen, das sich fortentwickelt.
Zum Beispiel?
E-Voting ist ein gutes Beispiel. Noch immer stimmen wir brieflich ab. Das müsste nicht sein. Wir sind mit unserem System bereit und wollen E-Voting baldmöglichst flächendeckend anbieten. Dieser Entscheid liegt jedoch nicht bei uns, sondern beim Bund und bei den Kantonen.
Doch da gab es Probleme, oder?
Die sind seit 2019 gelöst. Unser E-Voting ist – das zeigen regelmässige Tests – nicht manipulierbar, und es ist in vier Kantonen testweise in Betrieb. Ein weiteres Beispiel ist das Elektronische Patientendossier (EPD). Ihren Kindern geht es wahrscheinlich ähnlich wie meinen: Wenn sie im Ausland sind und einen Notfall haben, fehlt ihnen etwa das Impfbüchlein mit den notwendigen Angaben. Mit dem EPD könnte man die Daten vom Ausland abrufen.
Das EPD ist seit 2014 nicht zum Fliegen gekommen …
Die heutige Situation liegt vor allem am damaligen Entscheid des Parlaments: Es verzichtete nach grossem Widerstand der Ärzte darauf, das EPD als verbindlich zu definieren. Jetzt muss das bisherige Gesetz geändert werden.
Und die vierte strategische Säule?
Die vierte Säule ist die Anpassung des gesetzlichen Rahmens. Zusammengefasst lautet unsere Strategie: höhere Preise, mehr Effizienz, neue Geschäftsfelder und die Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Letzteres sind Themen wie der A-Brief, der Zustellschluss, Leistungsziele, die umgesetzt werden. Heute sind wir im Geschäftszweck stark eingeschränkt. Uns sind Tätigkeiten in nur vier Branchen erlaubt: in der Logistik, in der Kommunikation, im Zahlungsverkehr – physisch und digital – und im Personentransport. That’s it. Wenn wir im Ausland investieren, muss ein enger Zusammenhang zum Kerngeschäft bestehen. Der Verwaltungsrat prüft sehr genau, ob bei einer Akquisition der Zweckartikel eingehalten ist.
Wie kommt es, dass dennoch so viel Kritik aus Gewerbekreisen auf die Post einprasselt? Es heisst, Sie würden wahllos Firmen aufkaufen ...
In der letzten Strategieperiode von 2021 bis 2024 haben wir relativ viele Akquisitionen gemacht. Letztes Jahr war es eine, und das Jahr davor waren es zwei. Dieses Jahr haben wir kein Unternehmen gekauft.
Haben Sie auf die Kritik aus dem Parlament reagiert?
Nein, wir befinden uns in einer Konsolidierungsphase. Natürlich haben wir die Kritik gehört und sehr früh darauf reagiert: mit einer viel genaueren Überprüfung der Kriterien der geplanten Firmenzukäufe.
Können Sie ein Beispiel geben?
Aus Rücksicht auf andere mögliche Interessenten möchte ich nicht darauf eingehen.
Was heisst bei Ihnen Konsolidierung?
Wir haben zum Beispiel Logistikfirmen gekauft, in der Schweiz und im grenznahen Ausland. Solche werden zusammengeführt, um Synergien zu erzeugen und ihre Effizienz zu erhöhen. Es ist ein natürlicher unternehmerischer Vorgang: akquirieren, konsolidieren und schliesslich weiterentwickeln.
Diese Tätigkeit – Firmen kaufen und integrieren – will die Wirtschaftskommission des Nationalrats einschränken?
Die vorgeschlagenen Anpassungen hätten eine starke Schrumpfung der Post und quasi ein Verbot ihrer unternehmerischen Entwicklung in allen Bereichen zur Folge. Die Grundversorgung wäre nicht mehr eigenwirtschaftlich zu finanzieren.
Doch Zweifel bestehen: Die Post grase über den Zaun hinweg. Was macht etwa Ihre Tochterfirma Steriplus?
Sie betreibt Logistik. Wir holen Gebrauchtmaterial bei Spitälern ab, lassen es sterilisieren und liefern es zurück. Das ist spezialisierte Logistik. Wir transportieren Waren, wie wir das schon immer gemacht haben. Die Kundschaft lagert gewisse Arbeiten aus, weil es günstiger ist. Das sind keine erfundenen Bedürfnisse.
Dieses Geschäft könnte von jedem privaten grösseren Logistiker betrieben werden. Doch abgesehen vom Einzelfall: Das übergeordnete Problem aus der Sicht der Privatwirtschaft ist, dass ein Bundesbetrieb keine Geschäfte betreiben soll, die nicht auch Private betreiben könnten.
Das ist keine Erfindung der Post. Das ist politisch so gewollt. Als man den Postbetrieb 1998 aus der Verwaltung ausgelagert und die Post in der heutigen Form geschaffen hatte, wollte die Politik sie bewusst in den Wettbewerb zu Privaten stellen. Heute erwirtschaften wir rund 85 Prozent des Umsatzes im freien Wettbewerb. Das Monopol macht umsatzmässig nur noch rund 15 Prozent aus. Die Erträge aus dem Markt decken also das Defizit der postalischen Grundversorgung. Derzeit sind es 370 Millionen Franken. Unsere Eigenwirtschaftlichkeit ist kein Selbstläufer. Zudem erhält der Bund jährlich eine Dividende.
Die Kritik beginnt bei den ungleichen Spiessen. Die Post kann sich als Bundesbetrieb günstig refinanzieren. Privatfirmen können das nicht. Die Post kann aus einer Position der Stärke heraus mehr bieten und mehr Firmen kaufen als Private.
Ich bestreite die ungleichen Spiesse zugunsten der Post weitgehend. Im Vergleich zu einem Privatunternehmen haben wir einen gesetzlichen Auftrag und regulatorische Vorgaben. Es gibt sehr viele lukrative Tätigkeiten, denen wir nicht nachgehen, weil wir das gesetzlich nicht tun dürfen.
Zum Beispiel?
Wir kaufen keine Firmen, die reinen Warenhandel betreiben. Wir kümmern uns um die Lagerung und den Transport.
Und das billigere Kapital?
Sie müssen Gleiches mit Gleichem vergleichen. Unsere Bonität ist sicher besser als die von KMU. Aber im Vergleich zu Konzernen mit gleicher Bonität sind wir nicht besser unterwegs. Es gibt keine explizite Staatsgarantie des Bundes für die Post. Ganz anders die rund zwanzig Kantonalbanken, die von der Staatsgarantie der Kantone profitieren – geschweige denn die Grossbanken mit der implizierten Staatsgarantie des Bundes.
Haben Sie keine explizite oder implizite Staatsgarantie?
Implizit? Das wissen wir nicht, denn wir sind noch nie gerettet worden, im Gegensatz zu Grossbanken. Unsere Bonität ist tiefer als die des Bundes. Doch die Debatte ist müssig, derzeit haben wir Nettokapital und keine Schulden.
Doch jetzt fürchten Sie wegen der Vernehmlassung, dass Ihnen die Felle im freien Markt davonschwimmen.
Sollte die Wirtschaftskommission sich durchsetzen, hätte es grosse Konsequenzen für die Post. Dann muss uns jemand erklären, wer die jährlichen Kosten der Grundversorgung trägt. Heute sind es wie erwähnt 370 Millionen Franken, bald einmal 500 Millionen Franken. Das sind keine Peanuts!
Sie haben unseren Bericht vor einem halben Jahr gelesen. Bürgerliche sagen, dass der Bund das Defizit der Grundversorgung tragen sollte, statt die Post im Markt «wildern» zu lassen.
Was die Post machen soll, ist eine Debatte, die geführt werden muss. Sie ist dann fair, wenn man auch über die Folgen spricht und eine Gesamtperspektive einnimmt. Unsere Grundversorgung ist hervorragend. Dies zeigen internationale Vergleiche des Weltpostvereins. Wir sind zum neunten Mal in Folge die beste Post der Welt. Und jetzt will man uns ein engeres Korsett anlegen.
Ich höre, das nervt Sie.
Im Vergleich mit anderen Postgesellschaften haben wir die strengsten Vorgaben beim Grundversorgungsauftrag, und gleichzeitig wollen uns gewisse Politiker den Handlungsspielraum im Markt stark eingrenzen. Sie verlangen von uns eine hohe Eigenwirtschaftlichkeit und zugleich eine hohe Dividende zugunsten der Staatskasse. Diese Rechnung geht nicht auf. Ich halte der Politik nur den Spiegel vor. Sie muss sich fragen, ob der jetzige Weg nicht der klügere ist: ein System, das ohne Steuergelder funktioniert.
Könnte man die Grundversorgung einschränken?
Das stelle ich ebenfalls zur Diskussion.
Beispiel Filialnetz: Diese Infrastruktur ist teuer. Es gibt zwar noch immer Leute, die nicht auf E-Banking umstellen. Doch viele Ältere schaffen es. Irgendwann sollte Schluss sein mit der Einzahlung am Schalter.
Vor kurzem schlossen wir 21 Filialen in Regionen mit wenig Kundschaft. Darauf wurden wir im Parlament stark kritisiert. Paradoxerweise kommen solche Forderungen von den gleichen Leuten. Ich plädiere für Ehrlichkeit. Das heisst, zu sagen, dass wir entweder die Grundversorgung verkleinern – oder aber, dass die Post in den Bereichen arbeiten darf, die ihr vor dreissig Jahren zugewiesen wurden.
Doch stimmt Ihre Behauptung, die Schweizerische Post arbeite innerhalb des gesetzlichen Rahmens? Nehmen wir als Beispiel Tilbago, eine Tochterfirma der Post. Sie bietet online Betreibungen an. Haben Sie davon schon gehört?
Nein. Ich habe die Vermutung, dass es um ein Start-up geht, in das wir Venture Capital gesteckt haben.
Die Postfinance ist daran mit rund 25 Prozent beteiligt. Warum muss die Postfinance das tun?
Für die nachhaltige Profitabilität der Postfinance ist es entscheidend, die Ertragsstruktur zu diversifizieren, indem zinsunabhängige Ertragsquellen erschlossen werden. Die Beteiligung an Tilbago unterstützt sie seit vielen Jahren dabei.
Wer entscheidet über Zukäufe? Die Konzernleitung, der Verwaltungsrat oder die Bundesvertreter?
Das regelt die Geschäfts- und Zuständigkeitsordnung: ab 10 Millionen Franken der Verwaltungsrat, und darüber, ab einer gewissen Limite, konsultieren wir auch die Eignervertreterdepartemente beziehungsweise den Bundesrat.
Mit dem bundesrätlichen Gesetzesvorschlag zur Postreform fordert Albert Rösti, dass eine externe Kommission Zukäufe beurteilt. Kam das von Ihnen?
Nein. Der Verwaltungsrat ist verantwortlich dafür, dass der Zweckartikel eingehalten wird.
Uns erschien diese Prüfbehörde merkwürdig.
Diese sogenannt unabhängige Prüfbehörde kommt nicht von uns, auch nicht von Bundesrat Rösti, sondern vom Parlament.
Bürokratisch und schwerfällig …
Man kann sich zu Recht fragen, welcher Mehrwert sich ergeben würde. Bereits wir überprüfen jedes Mal sehr genau, ob eine Akquisition rechtskonform ist.
Warum können die Eignervertreter – das sind Karin Keller-Sutters Finanzdepartement und Röstis Uvek – einen solchen Entscheid nicht fällen? Beide sind bürgerlich, so wie die Kritiker.
Der Bundesrat führt die Post über die strategischen Ziele. Diese kann der Eigner anpassen. Operative Entscheide obliegen nicht dem Bundesrat. Es ist unbestritten, dass wir nach den strategischen Zielen des Bundes handeln.
Die Post betreibt die Swiss-ID. Ende September nahm das Volk die Einführung der E-ID an. Will die Post vom Bund die Lizenz, um die E-ID zu betreiben?
Nein, das sind zwei Dinge, die komplementär sind. Jetzt, da die E-ID – wenn auch sehr knapp – angenommen ist, würden wir sie gerne für die Identifikation unserer Services nutzen.
Mir würde dies Sorgen machen, denn die Swiss-ID erscheint, wie fast alle digitalen Post-Plattformen mit Log-in, schwerfällig im Handling. Moderne Bankplattformen wie Revolut haben hohe Standards und erlauben dennoch ein Onboarding innert Minuten. Ich bin mir nicht sicher, dass die Post mit dem Aufpfropfen der E-ID auf die Swiss-ID einen Preis gewinnen würde.
Nun, über drei Millionen Kunden nutzen via Swiss-ID-Log-in Onlinedienste der Post …
Letztes Thema: Welche Legitimation hat die Postfinance? Sie wurde 1906 als Postcheckdienst gegründet. Dann kam der Zahlungsverkehr. Seit Jahren versucht sie sich als Universal- oder Beraterbank. Wo ist die Kernkompetenz?
Zwei Dinge dazu. Erstens: Bei der Postfinance sind 100 Milliarden Franken Kundengelder angelegt. Davon muss sie einen Drittel im Ausland anlegen, weil ihr die inländische Kreditvergabe verboten ist. Man kann sich fragen, wie volkswirtschaftlich sinnvoll das ist. Wir haben 2,4 Millionen Kundinnen und Kunden. Und trotzdem dürfen wir keine Kredite anbieten. Gleichzeitig verteidigen andere Banken ihr Interesse. Die Debatte ist politisch. Zweitens ist aus der Perspektive der Grundversorgung zu sagen: Die Postfinance stellt den Zahlungsverkehr sicher und finanziert die Grundversorgung mit. Weil wir ein relativ grosses Filialnetz haben, stellen wir diese Räume auch der Konkurrenz zur Verfügung.
Und zwar den Versicherern, Banken, Handyanbietern, Krankenkassen – und die Post verkauft Papeteriewaren.
Mit welchen weiteren Partnern wir in unserem Filialnetz zusammenarbeiten, ist eine laufende Diskussion. Meine Einschätzung ist, dass wir uns in Zukunft noch stärker als Post positionieren sollten und weniger als Vertriebskanal für andere.