Darum gehts
Gut dreissig Kilometer ausserhalb von Reykjavík, mitten in der rauen Natur von Island, befinden sich zwei Fokuspunkte der technischen Klimapolitik. Dort, im Niemandsland der kaum besiedelten Gemeinde Ölfus, stehen die zwei Kohlendioxidsauger des Schweizer Unternehmens Climeworks mit Sitz in Zürich-Oerlikon. Orca und Mammoth heissen die Anlagen. Sie sind die global fortschrittlichsten und grössten Werke zum Abscheiden von CO₂ aus der Luft. Auf ihnen ruhen die Hoffnungen unzähliger Unternehmen und Privatleute, ihren Klimafussabdruck zu kompensieren.
Doch es gibt Zweifel daran, ob diese Hoffnungen berechtigt sind. Knapp 16 Jahre nach der Gründung von Climeworks sind die Zweifel so gross wie nie zuvor. Das Unternehmen steckt in der Krise. In einer doppelten Krise. Erstens bekommt das Vertrauen in das Unternehmen Risse, weil es bis heute mehr versprochen als abgeliefert hat. Zweitens werden Fragen laut, welche die Überlebensfähigkeit von Climeworks an sich auf den Prüfstand stellen. Und natürlich hängen die beiden Aspekte zusammen. Jetzt müssen die beiden Gründer Christoph Gebald und Jan Wurzbacher unter Beweis stellen, dass ihre ambitionierten Visionen nicht bloss ein Luftschloss sind. Ihr ETH-Spin-off, das mit einiger Leichtigkeit rund 800 Millionen Franken an Investorengeldern aus teils sehr prominenten Schatullen eingesammelt hat, muss die unternehmerische Pubertät überwinden – und erwachsen werden.
Die Climeworks-Sauger saugen nicht, wie sie sollten
An sich ist die Sache klar, auch wenn selbst renommierte Forscher grundsätzliche Bedenken äussern: Die Klimaziele, die sich die Staatengemeinschaft in Paris gegeben hat, lassen sich nur dann vollständig erreichen, wenn es gelingt, in der Atmosphäre bereits vorhandenes CO₂ aus der Luft zu entfernen – zusätzlich zu den Bemühungen, den Ausstoss wo immer möglich zu vermeiden respektive stark einzudämmen. Und klar ist auch: Es gibt viele Unternehmen, welche die sogenannte Direct-Air-Capture-Technologie vorantreiben. Aber keines ist dabei so weit wie Climeworks mit seinen zwei grossen Werken in Island und seiner Pionieranlage im zürcherischen Hinwil.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
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Das Problem ist nur: Noch funktionieren die CO₂-Sauger nicht so, wie sie sollten; sie entfernen viel weniger CO₂ aus der Luft, als in Aussicht gestellt. Mehr noch: Climeworks selbst produziert durch seine Operation zurzeit mehr CO₂, als es selbst entfernt. Das Unternehmen trägt bislang also zur Klimaerwärmung bei, anstatt sie zu bekämpfen. Und das wiegt schwer: Es untergräbt einerseits das Vertrauen in die Technologie. Anderseits gefährdet es – zumindest potenziell – den langfristigen Weiterbestand des Unternehmens.
Mega-Stellenabbau
Doch just das scheint bei der Unternehmensführung rund um die zwei Gründer noch nicht richtig angekommen zu sein. In einem Interview mit Bloomberg jedenfalls gab sich Wurzbacher vor wenigen Tagen auffallend gelassen: «Wir müssen uns ein wenig konsolidieren. Wir müssen auf Effizienz achten», sagte er. Und ergänzte: «In der heutigen Marktsituation ist ein zweiter Aspekt sehr wichtig, nämlich die Konzentration auf die Rentabilität.» Der Tenor der Aussage klingt wie bei jedem Unternehmen, das nach Jahren des Wachstums zum ersten Mal auf Probleme zusteuert: Wir müssen ein bisschen justieren, aber wir haben alles im Griff.
Doch das darf bezweifelt werden. Nicht, weil Climeworks auf einen Schlag mehr als 20 Prozent der knapp 500 Angestellten auf die Strasse stellt. Solche Anpassungen gehören zum Alltag von Firmen, die von öffentlichem Goodwill und Geld abhängen und nun – zumindest in den USA – gegen eine politische Mauer zusteuern. Das kaum zu managende Thema ist die Dynamik der öffentlichen Wahrnehmung des Unternehmens. Wenn in Foren und sozialen Medien mit Bezug auf Climeworks von «Scam» – also Betrug – die Rede ist, wenn Climeworks mit der grandios gescheiterten Firma Theranos in eine Reihe gesetzt wird, dann ist da ein Problem vorhanden, das es zu adressieren gilt. Eine Vertrauenskrise, die tief geht.
Wenn Transparenz Zweifel nährt
Climeworks versucht der Krise mit Transparenz zu begegnen. Das ist zwar richtig und löblich, hilft aber nicht wirklich. Weil erstens nur eine Teiltransparenz hergestellt wird, zweitens die offengelegten Fakten die Zweifel eher nähren als ausräumen – und drittens nicht immer glücklich kommuniziert wird. Wenn Wurzbacher gegenüber Bloomberg sagt, das «Geschäftsmodell von Climeworks» basiere darauf, «dass wir mit unseren Kunden Abnahmeverträge abschliessen, die dann zur Finanzierung künftiger Anlagen verwendet werden», lässt das aufhorchen. Zumal Climeworks – wie Wurzbacher ebenfalls offenlegt – bislang erst Kompensationszertifikate für etwas über 1100 Tonnen CO₂ an Kunden geliefert hat, aber die 345-mal grössere Menge – also 380'000 Tonnen – vertraglich schon versprochen hat.
Klar: Die Verträge mit Grosskunden wie Swiss Re oder Swiss, Microsoft oder Tiktok sind, wie Experten übereinstimmend erklären, in der Regel so ausgestaltet, dass erst dann Geld zu Climeworks fliesst, wenn tatsächlich CO₂-Zertifikate ausgestellt werden – vereinbarte Anzahlungen ausgenommen. Privatkunden allerdings, die ihren Fussabdruck ebenfalls mit Climeworks kompensieren können, zahlen bereits jetzt dafür, was sie künftig – bis in maximal sechs Jahren – bekommen werden. Diese Verbindlichkeiten muss Climeworks bilanzieren. Und da schlummert ein Risiko. Wie gross es momentan ist, legt das private Unternehmen nicht im Detail offen. Climeworks zählt rund 21'000 private Kunden. Eine Sprecherin sagt: «Wir können heute alle vertraglich zugesicherten Lieferungen an Privatkundinnen und Privatkunden im vorgesehenen Zeitraum erfüllen. Die Vorauszahlungen werden nicht zur Deckung unserer laufenden Geschäftsaktivitäten verwendet. Bis jetzt sind diese Gelder nicht verwendet.» Stand heute hätten über dreihundert Private eine zertifizierte CO₂-Entfernung erhalten; die nächsten Lieferungen würden im Juni erfolgen.
Lieferversprechen können nicht erfüllt werden
Gegenüber Bloomberg sagt Wurzbacher mit Bezug auf die Solidität von Climeworks, man sei «finanziell sehr stabil aufgestellt» und könne «auch weiterhin auf die starke Unterstützung unserer bestehenden Investoren zählen, um die Finanzierung voranzutreiben». Bislang hat Climeworks rund 800 Millionen Franken eingesammelt. In der Schweiz unter anderem bei der Partners Group, bei der Zürcher Kantonalbank und bei Amag-Milliardär Martin Haefner. International gehört wohl Bill Gates zu den bekanntesten Investoren. Diese Investoren wollen mittelfristig Rendite sehen. Und diese muss sich aus den CO₂-Tonnen speisen, die tatsächlich abgesaugt werden.
Doch just das funktioniert eben längst noch nicht so, wie es sollte. Weder im Orca-Werk noch bei der technisch ausgefeilteren Mammoth-Anlage. Will heissen: Zurzeit ist Climeworks akut im Rückstand, das zu liefern, wofür viele Kunden bereits Verträge abgeschlossen haben. Mittelfristig ist dieser Rückstand nicht aufzuholen. Wenn das Orca-Werk bislang nie mehr als 1000 Tonnen CO₂ abgesaugt hat, obwohl 4000 Tonnen von Climeworks selbst versprochen worden sind und obwohl das Unternehmen das Werk technisch schon mehrfach optimiert hat, dann hat Climeworks ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Firmensprecherin hält dagegen: «Climeworks ist mit seinen gelieferten Tonnen global führend im Direct-Air-Capture-Bereich.»
Doch auch Climeworks weiss, dass man mit den eigenen Anlagen die Lieferversprechen nicht wird erfüllen können. Ergo hat das Unternehmen begonnen, den eigenen Kunden auch Kompensationslösungen von Dritten zu vermitteln. Sie stammen weder aus dem Orca- noch aus dem Mammoth-Werk, sondern aus Projekten, die zum Beispiel Moore rehabilitieren oder Wälder aufforsten. «Sie müssen das tun, weil sie zu viel versprochen haben», sagt einer, der den Zertifikatemarkt bestens kennt. «Ihre Lösung ist technisch toll, liefert aber nur in homöopathischen Mengen.» Und genau da liegt das Problem: «Das wird niemals reichen, um die Zertifikate zu liefern, die bereits verkauft wurden.»