Darum gehts
Die Tourismus-Direktorin spricht von einem Jahrhundertereignis. Seit Wochen wird in Basel geplant und gehämmert, damit Mitte Mai mit dem Eurovision Song Contest (ESC) eine der weltgrössten Musikveranstaltungen über die Bühne gehen kann. Rund 35 Millionen Franken lässt sich das der Stadtkanton kosten. Halle und Fussballstadion müssen aufgemotzt werden, in der Stadt entstehen grosse Fanzonen, ÖV-Fahrpläne werden verdichtet, und nicht zuletzt investiert die Stadt viel in die Sicherheit.
Vorfreude herrscht. «Es war von Anfang an klar, dass wir das wollen», sagt Basel-Tourismus-Chefin Letizia Elia und verweist auf die in Basel stets kurzen Drähte, die schnell heissliefen, als absehbar wurde, dass der ESC in die Schweiz kommen würde. Tourismus, Gewerbe, Regierung, Messe: In solchen Momenten funktioniert der Stadtstaat, parteipolitische Grenzen verschwinden. Regierungspräsident Conradin Cramer (LDP) spricht von einer «gigantischen Sache» und davon, dass die Bevölkerung «stolz auf ihre Stadt» sein könne. Doch lohnt sich das Ganze auch finanziell?
ESC, Radweltmeisterschaften, Skirennen, Fussball-EM, Schwingfeste, aber auch grosse Konferenzen wie jene auf dem Bürgenstock oder das WEF – immer wieder buhlen Städte und Gemeinden darum, Austragungsorte grosser Veranstaltungen zu sein. Und nicht selten herrscht danach Katzenjammer über Defizite in der Schlussabrechnung. Das Eidgenössische Schwingfest in Pratteln 2022 entging nur knapp einem Millionenkonkurs. In Zürich sorgte letztes Jahr die Rad-WM für rote Köpfe und Zahlen. Und man denke auch an das lange Hin und Her um die Expo 2002, die sogar um ein Jahr verschoben werden musste und dann doch ein Loch von über 500 Millionen Franken hinterliess.
Schlechte Erinnerungen an die Rad-WM
In Basel will man von solchen Relativierungen nichts wissen. Der Business-Case scheint klar: Die Rechnung geht auf. Der kurzfristige Nutzen sei deutlich absehbar, sagt Tourismus-Direktorin Elia, «die Hotels sind gut gebucht». Bereits Anfang April hätten die Buchungen angezogen aufgrund der zahlreichen Fachkräfte, die für den ESC vor Ort gebraucht werden. Auch Regierungspräsident Cramer verweist auf die direkten Auswirkungen auf Tourismus und Gewerbe.
Wie immer, wenn in Basel etwas läuft, sieht man das auch auf dem Rhein, wo die Kreuzfahrtreedereien ihre Schiffe als zusätzliche Hotels fest verankern. Man werde das auch mit Blick auf den ESC tun, teilt Daniel Pauli, CEO von Thurgau Travel, mit. Seine Firma betreibt zahlreiche solche Schiffe und will vom ESC profitieren.
Gerne wird bei der Nutzenfrage auf den 67. ESC in Liverpool verwiesen. Eine Studie schreibt ihm eine lokale Wertschöpfung von umgerechnet rund 60 Millionen Franken zu, und diese 60 Millionen werden nun auch in Basel den 35 Millionen Franken Kosten gegenübergestellt. Fazit: Alles gut, die Rechnung geht auf.
Wie schwer die Rechnung effektiv zu führen ist, zeigt allerdings bereits der Blick auf den Stadtplan. Denn Basel stösst schnell an seine Grenzen – oder darüber hinaus. Ein grosser Teil der Wertschöpfung entstehe ausserhalb des Kantons, sagt Cramer. In den Nachbarkantonen, aber auch im angrenzenden Ausland. Zum Beispiel der Austragungsort der grossen Shows: Die Joggeli-Halle liegt bereits auf Baselbieter Boden.
Die Zusammenarbeit mit den auswärtigen Partnern laufe bestens, sagt Regierungspräsident Cramer. Auch vom Bund erhalte man Unterstützung, etwa bei der Sicherheit. Doch gerade bei diesem Thema wurden unschöne Zwischentöne laut. Wie immer bei Grossanlässen werden beim ESC auch ausserkantonale Polizeikorps zum Einsatz kommen. Doch der Kanton Zürich hat Basel eine Absage erteilt. Ist da jemand nachhaltig verstimmt, weil er bei der ESC-Vergabe den Kürzeren gezogen hat? Auch Zürich hatte sich für den Contest beworben.
Oder vielleicht ist in Zürich der Rückhalt für Grossveranstaltungen im Moment grundsätzlich etwas gering. Die Rad-WM, die im vergangenen September ausgetragen wurde, hat zahlreiche Stadtzürcher erzürnt. Der Anlass war bereits vor der Durchführung umstritten gewesen. Zu gigantisch sei er, zu viele Rennen wolle man unterbringen, zu gross seien die Einschränkungen für die Öffentlichkeit. Während des Anlasses riss die Kritik nicht ab, auch wenn die Besucherzahl die Erwartungen übertraf. Nach dem Anlass folgte die Bilanz: ein Defizit von 4,5 Millionen Franken – statt 16 Millionen zahlt die öffentliche Hand 20,5 Millionen. Der Verein hinter der WM befindet sich in Nachlassstundung. Und dann kommt auch noch vonseiten des Gewerbes Kritik: Neun Tage lang habe es Umsatzeinbussen hinnehmen müssen. Frust, Ärger und rund 20 Prozent weniger Einnahmen seien die Folge gewesen, bilanzierte Dominique Zygmont, Geschäftsleiter der City Vereinigung Zürich.
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Wertschöpfung geht über Ticketeinkünfte hinaus
Die Rad-WM ist nicht der einzige Schweizer Grossanlass, der vor allem Geld und Nerven kostete. Zweimal probierten es die Zermatter mit den Weltcupskirennen auf der Gran Becca, beide Male spielte das Wetter nicht mit. Zusätzlich sah sich der Anlass mit viel Kritik konfrontiert; Bedenken bezüglich der Sicherheit, der Umwelt und des Zeitpunkts der Rennen im Oktober. Und wegen der Absage der Rennen endeten die Bemühungen in einem finanziellen Minus, das eine Versicherung trägt.
Auch die zehnmal grössere Landesausstellung im Jahr 2002 benötigte viel mehr Geld als geplant. Sie verzeichnete zwar 10,3 Millionen Eintritte, doch das deckte nur gerade 12 Prozent der Kosten von insgesamt 1600 Millionen Franken. Entsprechend war die Expo 02 ein finanzielles Desaster: Der Bund hatte sie mit einem ursprünglichen Kredit von 130 Millionen budgetiert, am Ende zahlte er mit 930 Millionen das Siebenfache davon.
Den Kosten von solchen Grossveranstaltungen stehen Einnahmen und ein volkswirtschaftlicher Nutzen gegenüber. Gemäss einer Studie der Uni Neuenburg generierte die Expo über den Tourismus und den Aufbau der Anlagen zusätzliche Einkünfte in der Höhe von 2,5 Milliarden Franken. Rund die Hälfte fiel auf die Drei-Seen-Region, wo kumulierte 11000 Jahresarbeitsplätze geschaffen wurden. Die geschätzten Steuereinnahmen beliefen sich auf insgesamt 460 Millionen Franken über acht Jahre verteilt. Auch die zwei Konzerte der US-Popsängerin Taylor Swift im Letzigrund im vergangenen Sommer sollen gemäss einer Studie der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) eine Wertschöpfung von über 90 Millionen ausgelöst haben. Die über 90’000 Fans haben rund 50 Millionen Franken ausgegeben – exklusive Tickets und Anreise aus dem Ausland.
Wiederkehrende Anlässe sind weniger riskant
Aber eine exakte Wissenschaft sind solche Wertschöpfungsstudien nicht. Kaum einer weiss das besser als Jürg Stettler. Der Professor für Tourismus an der Hochschule Luzern beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren mit der Ökonomie und der Nachhaltigkeit von Grossanlässen. Er lieferte auch eine ungefähre Schätzung, wie viel Wertschöpfung eine Rad-WM generieren könnte. Rund 60 Millionen Franken hätten Hotels, Restaurants und Transportunternehmen demnach zusätzlich einnehmen sollen. Das war zu optimistisch. Stettler aber stellt klar, dass die Schätzung unabhängig vom Standort Zürich und dem damals noch fehlenden Kandidaturkonzept erfolgte. Und spricht dabei ein Problem an, mit dem Grossanlässe konfrontiert sind: «Die unbekannten Faktoren eines solchen Anlasses sind im Vorhinein unglaublich schwer einzuschätzen.» So habe die Rad-WM zum ersten Mal in Zürich stattgefunden. Auch war es die erste inklusive WM, bei der auch Para-Cycling-Wettbewerbe stattfanden. Und zusätzlich hatte Zürich Wetterpech.
Das ist der Nachteil einer einmaligen Veranstaltung. «Wegen der Unbekannten hat es jeder Grossanlass schwieriger als wiederkehrende Anlässe», sagt Stettler. Denn bei wiederkehrenden Anlässen könne man die Risiken auf mehrere Jahre abwälzen und allfällige Fehler bei der nächsten Durchführung vermeiden. Das illustriert das Beispiel der Skirennen in Adelboden und Wengen: Eine Absage in zehn Jahren können diese Rennen verkraften. Erst ab zwei wird es wacklig.
Das Volk muss früh abgeholt werden
In Basel fühlt man sich diesbezüglich sicher. Wetterrisiken? Die Shows des ESC finden in einer Halle statt. Sie werden durchgeführt, «auch wenn es Katzen hagelt», betont Regierungsrat Cramer. Bei einer Fussballendrunde ist das Wetterrisiko dank moderner Stadien ebenfalls gering. Die Schweiz weiss das aus eigener Erfahrung: Trotz mehrheitlich schlechtem Wetter waren bei der Fussball-EM 2008 selbst die Fanzonen gut besucht.
Damit Grossanlässe ein Erfolg werden, sollten die Risiken also überschaubar sein. Das ist bei wiederkehrenden Anlässen eher gegeben als bei einmaligen – und bei Events mit überdachten Tribünen eher als bei Outdoor-Veranstaltungen. Ebenso entscheidend sind die finanzielle Beteiligung der öffentlichen Hand und deren Legitimation.
«Je höher der Anteil öffentlicher Gelder, desto schwieriger wird es mit der Akzeptanz», sagt Stettler. Am lautesten ist die Kritik, wenn Defizite mit öffentlichen Geldern gestopft werden müssen und der Anlass umstritten war. Die Rad-WM ist dafür ein Paradebeispiel. Zum Thema Legitimation sagt Stettler, dass die Organisationskomitees zu oft den Austausch mit dem Volk scheuten. «Sie mogeln einen Durchführungsentscheid durch und sind dann erstaunt, wenn die Bevölkerung den Grossanlass nicht mitträgt.» Ein wiederkehrendes Beispiel dafür seien die Olympischen Spiele. Ein kleiner Zirkel möchte kandidieren, aber dann scheitert das Projekt an der Urne. Die Bündner sagten 2013 Nein zu den Winterspielen 2022, im Jahr 2018 stimmten die Walliser gegen eine Kandidatur für Olympia 2026.
Basel hat beim ESC früh und schnell die Volksabstimmung gesucht, um Klarheit zu haben. Drei Monate nachdem der Kanton den Zuschlag erhalten hatte, wurde über die 35 Millionen Franken abgestimmt. Eine Zweidrittelmehrheit stützte die Politik der Regierung – und legitimierte so das Projekt. Man ist sich bewusst, was auf die Stadt zukommt. Es ist ja nicht nur der ESC. Binnen weniger Monate erlebt Basel gleich mehrere grosse Veranstaltungen, die sich stark auf die Bevölkerung auswirken. Nebst der Fasnacht sind das nach dem ESC die Messewoche rund um die Art Basel und im Juli die Fussball-EM der Frauen, bei der wichtige Spiele in Basel stattfinden. Fürchtet man sich da nicht vor einem Overkill, der Geschäft verdrängen und Bewohner mürbe machen könnte?
Andere Anlässe und Aktivitäten werden verdrängt
Die wirtschaftlichen Verdrängungseffekte seien gering, da die Periode in diesem Jahr nicht stark ausgelastet war und für die meisten Veranstaltungen ein Alternativdatum gefunden werden konnte, sagt Tourismus-Direktorin Elia. Bloss die Generalversammlung der UBS musste dieses Jahr nach Luzern verschoben werden.
Wie gross die Verdrängungseffekte sein können, mussten die Hotels während der Fussball-EM 2008 erfahren. So kamen zwar aus den Teilnehmerländern im Juni massiv mehr Touristen in die Städte, aber insgesamt ging die Zahl der Hotellogiernächte in den Austragungsregionen Genf, Zürich und Bern sogar zurück, weil andere Gäste ausblieben. Im Schnitt jedoch konnten die Hotels dafür höhere Preise verlangen. Dieser Preiseffekt war zuletzt auch bei den Taylor-Swift-Konzerten in Zürich sehr ausgeprägt.
Neben diesen Verdrängungseffekten muss bei der Schätzung der Bruttowertschöpfung auch berücksichtigt werden, dass ein Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten, die im Rahmen des Events stattfinden, andere ersetzen. Ein Stadionbesucher wäre an diesem Tag vielleicht ins Kino gegangen. Bei der Fussball-EM 2008 betrug die Bruttowertschöpfung deswegen 40 Prozent weniger als die gesamten ausgelösten Nettoumsätze von 1,7 Milliarden Franken.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass das Fussballfest bis heute wirtschaftlich als Erfolg gewertet wird. Es trug 0,18 Prozent zum BIP bei. Auch für die öffentliche Hand ging die Rechnung fast auf: Sie gab insgesamt 150 Millionen Franken aus, rund 140 Millionen flossen über Steuern zurück, wobei die Quellensteuern der Fussballer nur einen kleinen Teil ausmachten.
Reputationseffekt ist schwierig zu quantifizieren
Neben den Mehreinnahmen während des Events erhoffen sich die Austragungsorte auch längerfristige Gewinne durch die erhöhte Bekanntheit und das bessere Image. Dazu sagt Tourismusexperte Stettler: «Man überschätzt die Wirkung einmaliger Anlässe und unterschätzt die Wirkung der Wiederholung.» Auf den ESC bezogen heisst das: An Malmö, den letztjährigen Austragungsort, können sich die meisten noch erinnern, an Turin im Jahr 2022 nur die wenigsten.
Für Städte sei es schwierig, einen einmaligen Anlass als langfristigen Tourismusmagneten zu installieren, sagt Stettler. Ihnen hilft einzig die «Kraft der grossen Zahl»: Schauen sich erwartungsgemäss mehr als 150 Millionen Menschen das ESC-Finale an und nur 1 Prozent erinnern sich an den Ort, sind das immerhin mindestens 1,5 Millionen.
Auf diesen Werbeeffekt schielt auch Basel. Tourismus-Direktorin Elia spricht davon, die Stadt «auf die Weltkarte» zu setzen. Insbesondere erlaubten es ESC und Fussball-EM, ein jüngeres Publikum anzusprechen. Nicht zuletzt erhofft man sich in Basel eine Vitaminspritze für den zuletzt kriselnden Messestandort, sind doch in den letzten Jahren gleich zwei grosse Messen eingegangen: die Publikumsmesse Muba und die Uhrenmesse Baselworld.
Mit Grossanlässen wie dem ESC könne man sich im Veranstaltungsbereich beweisen, sagt Elia. Man wolle das gezielt nutzen und habe daher auch Exponenten aus der Veranstaltungsbranche eingeladen. Denn auch Elia weiss: In ein paar Jahren werden die meisten den ESC in Basel vergessen haben. Wenn sie aber neue Grossanlässe akquirieren kann, könnte die Rechnung mittelfristig aufgehen. An die 35 Millionen Franken aus der Basler Staatskasse denkt dann niemand mehr.
Zürich klotzt bei Frauenfussball-EM
In Zürich können sich die Kritiker von Grossveranstaltungen nach der Niederlage bei der ESC-Vergabe voll auf die Uefa-Frauenfussball-EM konzentrieren. Anlass dazu bietet in erster Linie die starke Beteiligung der öffentlichen Hand. Stadt und Kanton haben insgesamt 20 Millionen Franken bereitgestellt, etwa so viel wie für die Rad-WM, aber fünfmal mehr als London, wo bei der Women’s Euro 2021 ebenfalls fünf Spiele stattfanden, wie die NZZ feststellt.
Immerhin rechnet die Stadt mittlerweile damit, dass sie nur knapp die Hälfte des Kredits benötigen wird. Dies vor allem deshalb, weil das Stadion nicht wie ursprünglich geplant auf 30’000 Plätze aufgestockt werden musste. Stimmt die Schätzung eines Nettoaufwands von 9 Millionen Franken, könnte die Rechnung wirtschaftlich sogar aufgehen. Aufgrund einer Studie zur Endrunde in England wird mit einer erhöhten wirtschaftlichen Aktivität im Umfang von 60 bis 75 Millionen gerechnet, verteilt auf acht Städte. Auf Zürich, wo 5 der 33 Spiele stattfinden, dürften rund 10 Millionen fallen.
Über fehlendes Publikumsinteresse kann sich indes niemand beklagen. Ausser den teuren VIP-Tickets sind die Karten für die fünf Spiele im Letzigrund seit Februar ausverkauft. Auch weitreichende Verkehrseinschränkungen wie bei der Rad-WM sind im Vorfeld kein Aufreger. Die Stadt erwartet ein erhöhtes Verkehrsaufkommen um das Letzigrund-Stadion. Das sind sich die Anwohner dort von anderen Fussballspielen gewohnt.
Die Chancen stehen also gut, dass der ESC in Basel und die Frauenfussball-EM für die Austragungsorte zumindest kein Verlustgeschäft werden. Mehr als eine schwarze Null sollte man aber in finanzieller Hinsicht auch nicht erwarten.