Thomas Jordan über den Mindestkurs und dessen Aufhebung
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Vier Jahre danach:Thomas Jordan über den Mindestkurs und dessen Aufhebung

Mindestkurs-Aus jährt sich nächste Woche zum fünften Mal
Blutspur in der Exportwirtschaft blieb Schweiz erspart

Es war einer der denkwürdigsten Tage für die Schweizer Wirtschaft seit der Finanzkrise: der 15. Januar 2015. Die Nationalbank beendete abrupt den Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken.
Publiziert: 11.01.2020 um 19:50 Uhr
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15. Januar 2015: Die Nationalbank beendete abrupt den Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken.
Foto: Keystone

Sie erwischt am 15. Januar 2015 alle auf dem falschen Fuss: Die am Donnerstagvormittag aus heiterem Himmel eingetroffene Mitteilung der Schweizerischen Nationalbank (SNB), die Untergrenze des Euro von 1,20 Franken nicht mehr zu verteidigen.

Völlig unerwartet. Mindestkurs-Aus. Ein Beben am Schweizer Finanzmarkt, aber auch einen heftigen Schock für die Exportindustrie.

Wirtschaftsverbände wie Gewerkschaften reagierten geschockt und warnten vor einer Rezession in der Folge der jähen Frankenaufwertung.

Dass der im Jahr 2011 eingeführte Euro-Mindestkurs für die SNB immer schwieriger zu verteidigen war, war allerdings bereits vorher klar geworden. Die anhaltenden Devisenkäufe der Nationalbank waren in den Monaten davor bei Wirtschaftsexponenten auf wachsende Kritik gestossen.

Negativzinsen zeigen nicht erwünschte Wirkung

Zwar hatte die SNB im Dezember 2014 zur Unterstützung des Mindestkurses bereits Negativzinsen eingeführt, die das Anlegen in Franken unattraktiver machen sollten. Auch diese Massnahme zeigte allerdings nicht die erhoffte Wirkung: Der Euro-Kurs bewegte sich in den Wochen danach kaum mehr von der 1,20 Franken-Marke weg.

Ob die SNB mit der damaligen Aufhebung des Mindestkurses richtig gehandelt hat, bleibt auch heute umstritten. Grundsätzlich sei es seines Erachtens ein richtiger Entscheid gewesen, aus dem Mindestkurs-Regime auch wieder auszusteigen, sagt der Zürcher Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann im Rückblick. Schlussendlich habe es sich dabei ja um eine temporäre Massnahme als Reaktion auf die Euroschwäche von 2011 gehandelt.

Hat die SNB den richtigen Zeitpunkt verpasst?

Allerdings könnte die Nationalbank Anfang 2015 den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg bereits verpasst haben, meint Straumann: «Wäre die Aufhebung des Mindestkurses bereits ein Jahr früher angegangen worden, hätte die SNB diesen möglicherweise ohne die negativen Konsequenzen durchführen können.»

Zu den heftigsten Kritikern der SNB gehörten damals wie heute die Gewerkschaften. Im Jahr 2014 hätten die SNB-Verantwortlichen die Situation falsch interpretiert und insbesondere zu spät auf die Negativzinsen im Euro-Raum reagiert, meint Daniel Lampart, Chefökonom des schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) heute.

«Hätte die SNB den Negativzins parallel zur EZB bereits 2014 eingeführt, wären Ende 2014 kaum Devisenkäufe nötig gewesen. Ohne Negativzins war der Franken gegenüber dem Euro hingegen zu attraktiv», sagt Lampart.

Tiefe Bremsspuren bei Exportfirmen

In der Schweizer Wirtschaft verursachte die abrupte Frankenaufwertung vor allem bei den exportorientierten Industrieunternehmen in den Jahren 2015 und 2016 tiefe Bremsspuren. In der Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie dürften dem «Frankenschock» laut Ökonomenschätzungen Tausende von Arbeitsplätzen zum Opfer gefallen sein, viele Unternehmen führten Kurzarbeit ein (BLICK berichtete).

Immerhin habe die SNB damals mit Frankenverkäufen dafür gesorgt, dass sich der Euro-Franken-Kurs zunächst zumindest in der Bandbreite von 1,05 bis 1,10 einpendelte, erinnert sich Economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch. «Wäre der Kurs unter die Parität gesunken, dann hätte es sicherlich eine Blutspur in der Exportwirtschaft gegeben.»

Ökonomen loben Exporteuere

Zahlreiche Industriefirmen hätten allerdings während ein bis zwei Jahren keinerlei Gewinnmargen mehr gehabt, sagt Minsch. Zu Hilfe kamen der Exportbranche allerdings einige günstige externe Faktoren: So entwickelte sich die Weltkonjunktur deutlich besser als zunächst befürchtet, dazu kam eine Erstarkung der zweitwichtigsten Exportwährung, des US-Dollar.

Für Economiesuisse-Vertreter Minsch gebührt allerdings vor allem den Unternehmen der Exportindustrie Lob: «Dass sie sich trotz der hohen Löhne und dem wechselkursbedingten Teuerungsschock behaupten konnten, ist eine Riesenleistung.»

Auf gesamtschweizerischer Ebene wurde der heftige Einbruch der Industrie in den Exportstatistiken derweil vor allem durch den äusserst erfolgreichen Pharmasektor übertüncht.

Am Schweizer Arbeitsmarkt fiel der Effekt insgesamt weniger scharf aus als befürchtet. Die Arbeitslosenquote stieg 2015 zwar an und erreichte im Januar 2016 ein «Mehrjahreshoch» von 3,8 Prozent. Während vor allem im Maschinenbau viele Jobs verloren gingen, wurden aber nicht zuletzt im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Verwaltung neue Stellen geschaffen, wie eine Economiesuisse-Zusammenstellung zeigt.

Negativzins ist umstrittener

Das Hauptinstrument der SNB gegen eine zu starke Aufwertung des Frankens ist seit 2015 der politisch ebenfalls immer stärker umstrittene Negativzins. Gleichzeitig ist die Nationalbank am Devisenmarkt aktiv geblieben. Heute habe die SNB eine Art «impliziter Wechselkursgrenze», die ebenso Deviseninterventionen erfordere wie die bis 2015 geltende explizite Grenze, meint Wirtschaftshistoriker Straumann.

Entsprechend haben die Devisenbestände der SNB auch mit dem Ende des Mindestkurses ihr Wachstum fortgesetzt: Per Ende 2019 wies die Nationalbank bereits Devisenreserven von rund 771 Milliarden Franken aus gegenüber 495 Milliarden per Ende 2014.

Für Gewerkschaftsökonom Lampart ist klar: «Weil die SNB die Marktteilnehmer im Unklaren liess, was sie eigentlich will, sind die Devisenreserven seither erst recht in die Höhe geschossen.» (SDA)

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