Darum gehts
- Viertagewoche bei vollem Lohn: Kreative Lösung gegen Fachkräftemangel in der Schweiz
 - Migros, Coop und Raiffeisen bieten flexible Arbeitszeitmodelle für bestimmte Mitarbeitergruppen an
 - 4 von 14 Arbeitgebern, die zu den grössten der Schweiz gehören, bieten Viertagewoche-Modelle an
 
Vier Tage arbeiten bei 100 Prozent Lohn: So sieht eine normale Arbeitswoche von Trinidad Sagredo und Julianne Honegger aus. Blick hat die beiden Frauen besucht und mit ihnen über das Arbeitszeitmodell, die freiwillige Viertagewoche, gesprochen.
Der Fachkräftemangel zwingt Firmen dazu, ihre Arbeitsbedingungen immer kreativer zu gestalten. «Mich würde es deshalb nicht erstaunen, wenn sich dieses Modell in Zukunft vermehrt durchsetzt», sagt Beatrix Eugster (42), Arbeitsökonomin der Universität St. Gallen. Die Datenlage und Erfahrungswerte sind sowohl weltweit als auch in der Schweiz noch sehr dünn.
Allerdings zeigt sich bereits: Wer das Arbeitszeitmodell ausprobiert, bleibt oft dabei. «Viele Unternehmen, die eine Viertagewoche ‹auf Probe› eingeführt haben, wollen diese beibehalten», sagt Eugster weiter. Gleichzeitig betont die Expertin: «In der Schweiz stecken die Bestrebungen aber noch in den Kinderschuhen.»
Das bestätigt auch eine breite Umfrage von Blick bei den grössten Schweizer Arbeitgebern. Von den 14 Firmen, die antworteten, bieten 4 die Viertagewoche auf die eine oder andere Art an. 5 bekannte, schweizweit tätige Unternehmen haben trotz mehrfachem Nachfragen nicht reagiert.
Im Detailhandel ...
Unter anderem setzt die Genossenschaft Migros Zürich auf die Viertagewoche. Angestellte dürfen hier seit März entscheiden, ob sie ihr 100- oder 90-Prozent-Pensum in vier oder fünf Tagen absolvieren wollen. «Supermarktmitarbeitende ohne Kadervertrag können dieses neue Arbeitszeitmodell frei wählen», so eine Sprecherin. Schlussendlich liege der Entscheid bei der Verkaufsleitung der Filiale, ob die freiwillige Viertagewoche angeboten wird.
«Von den knapp 2000 Mitarbeitenden, die in diesem Modell arbeiten könnten, haben sich rund 2 Prozent dafür entschieden», heisst es weiter. Sie arbeiten in 22 Filialen verteilt, wie am Zürcher Kreuzplatz, in Reichenburg SZ oder im Parkside Rüschlikon ZH. Generell entscheidet bei der Migros-Gruppe jedes Unternehmen eigenständig, welche Arbeitszeitmodelle angeboten werden.
Auch Konkurrent Coop bietet die freiwillige Viertagewoche an, wenn auch hauptsächlich für Chauffeurinnen und Chauffeure. Diese können jeweils wählen, ob sie pro Woche 41 oder 45 Stunden arbeiten. Die Stunden dürfen sie dann auf vier oder fünf Tage pro Woche verteilen. In anderen Fällen beurteile Coop die Situation individuell.
... und im Finanzwesen verbreitet
Aber nicht nur im Detailhandel, sondern auch im Bankwesen findet das Arbeitszeitmodell Anklang. So bei der Raiffeisenbank Appenzeller Hinterland.
«Die Mitarbeitenden können wählen, ob sie 4,5 Tage à 8,4 Stunden oder 4 Tage à 9,5 Stunden pro Tag arbeiten», teilt ein Sprecher mit. Die Angestellten arbeiten also 38 Stunden pro Woche – auch Teilzeitangestellte profitieren von der reduzierten Arbeitszeit. Mit den freien Tagen und Halbtagen wechseln sich die Angestellten ab, damit der Bankbetrieb sowie der Kundenservice fünf Tage die Woche auch zu Randzeiten gewährleistet werden kann.
Die Bankangestellten machen damit gute Erfahrungen: Die Effizienz konnte gesteigert und die Leistungsfähigkeit erhöht werden. Das komme auch bei potenziellen Angestellten gut an: «Es haben sich aufgrund des attraktiven Arbeitszeitmodells deutlich mehr Kandidatinnen und Kandidaten beworben.»
Weniger Burn-outs und stabile Produktivität
Andere Firmen wie der Pharmamulti Roche, die SBB oder der Technologiekonzern ABB setzen gemäss Blick-Umfrage eher auf Modelle wie Teilzeitarbeit, hybrides Arbeiten oder Jahresarbeitszeit.
Die Post bietet das Modell der Viertagewoche ganz bewusst nicht an. «Wir legen grossen Wert auf die Gesundheit unserer Mitarbeitenden und sind überzeugt, dass ein 100-Prozent-Pensum an nur vier Tagen keine sinnvolle Lösung ist, da dies zu sehr langen Arbeitstagen führen würde», teilt ein Sprecher mit.
Doch Studien zeigen, dass Arbeitnehmende von der Viertagewoche profitieren: «Es gibt weniger Burn-outs, eine bessere Arbeitszufriedenheit und Verbesserungen in der psychischen und physischen Gesundheit», so Expertin Eugster von der Universität St. Gallen.
Zudem zeige eine Studie aus Grossbritannien, dass die Produktivität – entgegen den Befürchtungen – nicht sinkt. Doch nicht überall bietet sich die Viertagewoche gleichermassen an. Eugster ergänzt: «So ist die Koordination von Arbeiten schwieriger, insbesondere in Geschäften mit festen Öffnungszeiten.»