Mein Vater, Jahrgang 1918, war Inspektor bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung, Sektion Verrechnungssteuer und Stempelabgaben. Er reiste in der Schweiz herum, um Banken zu kontrollieren. Seine Aufgabe bestand unter anderem darin zu überprüfen, ob die Banken die Verrechnungssteuer richtig abrechnen.
Nicht selten sagte er nach dem Nachhausekommen: «Ou, ou, ou, was ich wieder alles gesehen habe!» Damals gab es noch die Nummernkonti. Und wenn der Steuerinspektor aus Bern wissen wollte, wer hinter dem Nummernkonto steckt, hiess es nicht selten: «Bankgeheimnis.» Doch in seiner Funktion musste er wissen, ob das geheimnisvolle Geld Inländern oder Ausländern gehört. Ausländer waren damals von der Verrechnungssteuer befreit, glaube ich. So ungefähr hat er mir das vor über 50 Jahren erklärt.
In den 60- und 70-Jahren, als ich mich eben fürs Weltgeschehen zu interessieren begann, hätte ich gerne gewusst, was er wieder alles gesehen hat.
Gewiss, dass der Schah von Persien bei Schweizer Banken Millionen lagerte, war schon immer ein offenes Geheimnis. Vielleicht war es auch mehr; das Wort Milliarden ging einem damals noch nicht so leicht über die Lippen. Mein Vater sagte mir so ungefähr: «Du kannst davon ausgehen, dass all die Herrscher, Diktatoren, Machthaber und andere Multimillionäre ihr Geld in der Schweiz lagern.» Namen brauchte er also keine zu nennen.
Und jetzt sind also dank eines internationalen Recherchenetzwerks «Suisse Secrets» die Namen von Personen bekannt geworden, die ihr Geld bei der Credit Suisse lagerten.
Wenn ich das richtig verstanden habe, handelt es sich dabei um Daten ab den 1940er-Jahren. Viele, der jetzt bekannt gewordenen Namen hätte mein Vater wohl auch nennen können. Das mag ein Grund sein, weshalb mich die Nachricht nicht aus den Socken haute.
Gewiss, mit dem Geldwäschereigesetz und dem automatischen Informationsaustausch ist vieles besser geworden. Aber haben deshalb all die Herrscherfamilien und zugewandten Orte ihr Geld aus der Schweiz abgezogen? Die Statistik der verwalteten Vermögen in der Schweiz verrät eher das Gegenteil.
Doch das wirkliche Problem sind eh nicht die Kontoinhaber; ist nicht die Tatsache, dass der amtierende jordanische König Abdullah (60) ein Konto bei der Credit Suisse hatte. Das wirkliche Problem ist das Datenleck bei der Credit Suisse.
Wenn also mein Vater sagte: «Ou, ou, ou, was ich wieder alles gesehen habe!», schwang auch ein bisschen Stolz mit. Er sah mehr als andere. Er wusste mehr als andere. Doch das Gesehene bedrückte ihn mehr, als dass es ihn beglückte. Er wusste sehr wohl, dass das nicht in Ordnung ist, dass das eigentlich nicht geht, was da die Schweiz und ihre Banken so machen.
Schade, konnte er nicht mehr erleben, dass sich in dieser Beziehung doch vieles gebessert hat – «Suisse Secrets» hin oder her.