Ex-Raiffeisen-Chef wartet noch immer auf Urteilsbegründung
1000 Seiten, um Pierin Vincenz in den Knast zu bringen

Vor sieben Monaten wurden Pierin Vincenz & Co. schuldig gesprochen. Doch die schriftliche Begründung lässt auf sich warten. Der Grund: Das Bezirksgericht will um jeden Preis verhindern, dass das Urteil gekippt wird.
Publiziert: 27.11.2022 um 10:44 Uhr
Blick_Portrait_1606.JPG
Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Drei Jahre und neun Monate Haft – unbedingt: Am 13. April 2022 verkündete das Bezirksgericht Zürich sein Urteil gegen Pierin Vincenz (66). Doch eine schriftliche Begründung, die der vorsitzende Richter Sebastian Aeppli (64) für den Sommer versprochen hatte, liegt bislang nicht vor.

Mehr als sieben Monate nach der Urteilsverkündung im Frühjahr warten der ehemalige Raiffeisen-Chef und seine Mitangeklagten noch immer auf eine detaillierte Erklärung für ihre teilweise drastischen Strafen.

Das Bezirksgericht erklärt die Verzögerung mit der Komplexität des Falls. «Bei solchen Dimensionen – 364 Seiten Anklageschrift, 526 Bundesordner Akten – ist der Aufwand für die Urteilsredaktion im Voraus schlicht nicht abschätzbar», sagt ein Sprecher.

Am 13. April 2022 verkündete das Zürcher Bezirksgericht das Urteil im Fall Vincenz.
Foto: keystone-sda.ch
1/5
Darum müssen Vincenz und Stocker ins Gefängnis
1:10
Betrug und Veruntreuung:Darum müssen Vincenz und Stocker ins Gefängnis

Urteilsbegründung so lange wie «Herr der Ringe»

Die «NZZ am Sonntag» meldete kürzlich, das schriftliche Urteil werde den Parteien nun bis Ende November zugestellt. Gegenüber SonntagsBlick will das Gericht diesen Termin jedoch nicht bestätigen: «Auf Ende November wird es nicht mehr reichen», so der Sprecher. Auf einen neuen Stichtag will sich die Behörde nicht festlegen.

Einige Verteidiger von Vincenz und Co. sehen die monatelange Verzögerung als Indiz dafür, dass am schriftlichen Urteil noch herumgedoktert werden muss, um das bereits verkündete Strafmass zu legitimieren. «Das Gericht hatte bereits zum Zeitpunkt der Urteilseröffnung einen Urteilsentwurf von 500 Seiten vor sich. Vor diesem Hintergrund fragt man sich schon, was denn nun noch alles gemacht wurde», frotzelt ein involvierter Anwalt.

Zu den Details der Urteilsredaktion will das Gericht nichts sagen, der Sprecher lässt sich dann aber doch noch eine Information entlocken: «Die Urteilsbegründung ist von 500 auf 1000 Seiten angewachsen.» 1000 Seiten – das sind fast so viele, wie J. R. R. Tolkien für seine Trilogie «Herr der Ringe» brauchte.

Keine Angriffsläche bieten

Juristen, die nicht in den Fall involviert sind, beeindruckt das allerdings kaum: «Es ist wenig überraschend, dass das Urteil in einem grossen Wirtschaftsprozess 1000 Seiten oder mehr umfassen kann», sagt Adrian Ettwein (59), von 2002 bis 2015 Staatsanwalt des Bundes im Bereich kriminelle Organisationen, Börsen- und Wirtschaftsdelikte.

Die Schreibwut der Bezirksrichter hat einen einfachen Grund: Sie wollen sicherstellen, dass Vincenz und sein Kompagnon Beat Stocker (62) tatsächlich in den Knast müssen. Dazu Adrian Ettwein: «Das Gericht muss sicherstellen, dass das Urteil keine Angriffsfläche bietet – sonst wird es von der nächsten Instanz gekippt.»

Auch das lange Warten auf die Urteilsbegründung erstaunt Ex-Strafverfolger Ettwein nicht. Das sei insbesondere bei komplexen Wirtschaftsfällen nicht ungewöhnlich.

Hier verlässt Pierin Vincenz das Bezirksgericht
0:35
Nach dem Urteil:Hier verlässt Pierin Vincenz das Bezirksgericht
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.