Entlassungswelle bei Expats
Gekommen, um zu gehen

Wirtschaftsschwäche, Jobverlagerungen und CS-Kollaps: Der Schweizer Arbeitsmarkt steht unter Druck. Das einstige Jobwunderland verliert an Strahlkraft – vielen Expats bleibt nur der Wegzug.
Publiziert: 08:05 Uhr
|
Aktualisiert: 10:48 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/6
Seit dem Kollaps der Credit Suisse steigt die Zahl arbeitsloser Banker unablässig an.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Expats in der Schweiz kämpfen mit Arbeitslosigkeit und Sprachbarrieren
  • Viele Expats leben in englischsprachiger Parallelwelt und haben Schwierigkeiten, neue Jobs zu finden
  • Arbeitslosenquote bei EU-/Efta-Bürgern 4,3 %, bei Drittstaatenangehörigen 6,1 % in der Schweiz
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
221216_STUDIOSESSION_TOBIAS-STAHEL_648-Bearbeitet Kopie (1).jpg
Beat SchmidFester Mitarbeiter Blick

Sarah T.* bezeichnet sich selbst als Expat – ein Begriff für höher Qualifizierte, die aus Karrieregründen die Heimat verlassen, ohne ihre Nationalität aufzugeben. Die Engländerin lebt seit mehr als sieben Jahren in der Schweiz, arbeitete bei der Credit Suisse im Marketing und steht nun vor dem Aus. Weil die UBS sie nicht weiterbeschäftigen will, kam sie in ein mehrmonatiges Coaching-Programm, eine Art Zwischenstation, bevor ihr Arbeitsvertrag ausläuft. Sollte sie bis März keine neue Stelle finden, wird ihr gekündigt, und sie landet beim RAV.

«Wir glaubten, hier könnten wir sesshaft werden», sagt die Mittvierzigerin. Jetzt aber denkt sie daran, die Schweiz zu verlassen. Ihr Mann arbeitet ebenfalls im Finanzwesen, die Kinder gehen in eine internationale Schule. Sie spricht kaum Deutsch. Und das macht die Arbeitssuche schwierig: Es reicht zwar, um beim Metzger Vitello tonnato zu bestellen, aber um einen Job zu bekommen, reicht es nicht.

«Der Markt ist ausgetrocknet. Dass ich die Sprache nicht kann, war bisher kein Problem. Jetzt ist es eines.» Sarah T. und ihr Mann leben wie viele Expats in einer englischsprachigen Parallelwelt – beruflich, sozial und kulturell. Doch ausserhalb der Finanzwelt ist der Arbeitsmarkt ein anderer, wie sie feststellen musste: Die meisten Unternehmen verlangen Deutschkenntnisse. Wem diese Hürde zu hoch ist, fällt durch das Raster.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

In den Personalabteilungen stapeln sich Anfragen dieser Art. Die Personalchefin eines grossen Finanzunternehmens erhält Tausende Bewerbungen pro Monat, wie sie im vertraulichen Gespräch berichtet. Die Zahl der Dossiers habe sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Sie beantragte eine zusätzliche Stelle, um die Flut zu bewältigen und Absagen zu schreiben. Da die Stelle nicht bewilligt wurde, erhalten Interessenten nicht einmal mehr Absagen. Blindbewerbungen, wie sie Stellensuchende oft verschicken, schauen die Sachbearbeitenden erst gar nicht mehr an.

Community voller Verzweiflung

In den sozialen Netzwerken häufen sich die Berichte von Expats, die ihre Arbeit verloren haben und über einen Wegzug nachdenken. «Ich wurde depressiv und habe meinen Job gekündigt. Jetzt finde ich keine neue Stelle. Und beim RAV kann ich mich auch nicht melden», schreibt das Mitglied einer Onlinecommunity. Das Risiko ist gross, dass er das Land verlassen muss. Womöglich lebt er bereits illegal in der Schweiz – denn wer «freiwillig arbeitslos» wird, verliert mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Regel auch das Aufenthaltsrecht, wie das Staatssekretariat für Migration auf Anfrage mitteilt. Wer entlassen wird, muss mit der Aussteuerung das Land verlassen – spätestens ein paar Monate später.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Die Statistiken verheissen nichts Gutes. Im September waren in der Schweiz rund 133’000 Personen arbeitslos gemeldet. Die Quote liegt bei 2,8 Prozent. Innerhalb von zwei Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen um fast 50 Prozent gestiegen. Von den Registrierten sind 66’000 Schweizer und 67’000 Ausländer. Davon stammen 41’000 aus EU- oder Efta-Staaten, knapp 26’000 aus sogenannten Drittstaaten. Die Arbeitslosenquote liegt bei Schweizerinnen und Schweizern bei 2 Prozent, bei Bürgerinnen und Bürgern aus EU- oder Efta-Staaten bei 4,3 und bei Personen aus Drittstaaten bei 6,1 Prozent.

Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit: Nach internationalen Standards wird Arbeitslosigkeit breiter definiert und umfasst auch Stellensuchende. So berechnet, liegt die Arbeitslosigkeit in der Schweiz bereits jetzt bei 4,7 Prozent – vor einem Jahr waren es noch 4,1 Prozent. Wie hoch die Zahl stellensuchender Ausländer ist, wird vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) nicht gesondert ausgewiesen. Vermutlich liegt auch diese Quote deutlich höher. Auffällig ist, dass Dienstleistungsjobs tendenziell stärker betroffen sind als klassische Berufe wie im Baugewerbe. Die Arbeitslosenquote dort beträgt 2,9 Prozent – in der Finanzbranche dagegen schweizweit etwa 3,1 Prozent.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Besonders ausgeprägt ist die Entwicklung im Kanton Zürich, dem Zentrum der Finanzbranche. Seit die Credit Suisse im Jahr 2022 in die Krise schlitterte, nimmt die Arbeitslosenzahl im Finanzsektor Monat für Monat zu. Im September 2025 waren im Kanton Zürich 2259 Personen aus dem Finanzbereich beim RAV gemeldet, davon über 1200 ehemalige Bankangestellte. Seit Ende 2022 entspricht dies einem Anstieg von 75 Prozent.

In Zürich stammt mittlerweile jede zehnte arbeitslose Person aus dem Finanzsektor – ein Indiz dafür, dass die entlassenen Bankerinnen und Banker immer schlechter vom Arbeitsmarkt absorbiert werden. Hinzu kommt, dass auch andere Finanzfirmen Stellenreduktionen angekündigt haben – darunter auch Julius Bär oder die Börsenbetreiberin SIX. Zudem nimmt die Zahl der ausgeschriebenen Stellen ab. Das verschärft die Lage zusätzlich.

Weil die Integration der Credit Suisse in die UBS allmählich zu einem Ende kommt, dürften in den nächsten Monaten nochmals grössere Entlassungswellen folgen. Im ersten Quartal 2026 sollen die letzten CS-Kunden in die Systeme der UBS migrieren. Dann werden die alten Computer sukzessive abgeschaltet. Der Sozialplan der UBS sieht vor, dass den betroffenen Mitarbeitenden viel Zeit gegeben wird, um Anschlusslösungen zu finden. Das mehrmonatige Coaching-Programm soll Arbeitslosigkeit verhindern oder wenigstens verzögern – wie im Fall von Sarah T.

Die Koffer packen

Inzwischen packen immer mehr ausländische Arbeitskräfte tatsächlich die Koffer und verlassen die Schweiz. Das zeigt sich auch in den Zahlen: Zwar wandern weiterhin ausländische Arbeitskräfte zu, gleichzeitig verlassen jedoch immer mehr von ihnen das Land. Unter dem Strich nahm die Nettozuwanderung in die ständige ausländische Wohnbevölkerung im ersten Halbjahr 2025 um 6792 Personen auf 34’171 Personen ab. Der Wanderungssaldo sank bei Staatsangehörigen von EU-/Efta-Ländern um 3391 Personen auf 23’553 und bei den Drittstaatsangehörigen um 3401 Personen auf 10’618.

Ob Sarah T. und ihre Familie in der Schweiz bleiben können, ist ungewiss. Allein mit dem Salär ihres Mannes gehe es nicht, sagt sie. Sie müssten die Ansprüche deutlich herunterschrauben und die Kinder in eine öffentliche Schule schicken. Wie viele Bewerbungen sie bereits verschickt hat, weiss sie nicht. Sie schaut sich derzeit auch nach Jobs im Ausland um – in Spanien etwa, wo die Wirtschaft derzeit gut laufe, sagt sie. Zurück in ihre alte Heimat Grossbritannien zu gehen, sei momentan keine Option.

* Name geändert

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen
      Externe Inhalte
      Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
      Meistgelesen