Deals von Pfizer, Novartis und Roche
Hat die Pharmaindustrie das System Trump geknackt?

Milliardeninvestitionen und Medikamente zu Schleuderpreisen: Die Pharmaindustrie kommt mit Trump ins Geschäft. Ob sie damit durchkommt?
Publiziert: 22.10.2025 um 19:48 Uhr
|
Aktualisiert: 22.10.2025 um 19:49 Uhr
Teilen
Schenken
Anhören
Kommentieren
Trump liebt die grosse Geste – und Pfizer-Chef Albert Bourla liefert: Fototermin zum Abschluss des Abkommens im Weissen Haus.
Foto: Getty Images

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
seraina_gross_handelszeitung.jpg
Seraina Gross
Handelszeitung

Es war ein Auftritt ganz nach dem Gusto von Donald Trump. Ende September besiegelte der US-Präsident mit Pfizer-Chef Albert Bourla ein «historisches Agreement zur Senkung der Medikamentenpreise in den USA», wie es der US-Pharmakonzern auf seiner Website nennt; publikumswirksam mit einem medientauglichen Handschlag im Weissen Haus. Eine grosse Geste und eine klare Message: Dealmaker Donald hat es geschafft, Big Pharma spurt, das Problem Medikamentenpreise ist gelöst.

Die Realität ist wie immer bei Trump etwas weniger glamourös. Herzstück der Vereinbarung zwischen dem US-Präsidenten und Pfizer ist «TrumpRx.gov», eine regierungseigene Plattform für den Vertrieb von Medikamenten, auf der Pfizer künftig einen Teil seines Portfolios mit Rabatten von bis zu 85 Prozent den amerikanischen Patienten direkt anbietet. Ausverkaufsstimmung – und das ausgerechnet bei Pfizer, der wohl am besten geölten Marketingmaschine der Pharmaindustrie. Das Unternehmen hat mit dem Potenzmittel Viagra einst das erste Lifestyle-Medikament der Medizingeschichte erfolgreich in den Markt gedrückt, und Lipidor – der Cholesterinsenker spülte mehr als 150 Milliarden Dollar in die Kasse – führte lange die Liste der umsatzstärksten Medikamente aller Zeiten an.

Black Friday bei Pfizer? Nicht wirklich

Doch wie bei den Dumpingpreisen am Black Friday ist auch bei den Preissenkungen à la Pfizer vieles mehr Schein als Sein. Die trumpsche Plattform richtet sich ausdrücklich nur an Selbstzahler – und davon gibt es bei Medikamenten, mit denen eine Behandlung mehrere hundert bis tausend Dollar pro Jahr kostet, auch in den USA nicht viele; zumal diejenigen Patienten, die solche Beträge aus dem eigenen Sack stemmen könnten, meist über reguläre Einkommen verfügen, damit also angestellt und auch versichert sind. Die Preissenkungen dürften somit nur einem kleinen Kreis zugutekommen. Bessergestellten Rentnern vielleicht, die aus irgendwelchen Gründen nicht versichert sind. Oder sozial Benachteiligten, deren Behandlungen von Angehörigen oder sozialen Organisationen übernommen werden. «Historisch» klingt anders – Hauptsache, Trump kann sich als Bändiger der in den USA viel gehassten Pharmaindustrie inszenieren und damit bei seiner Klientel punkten.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

Auch bei der Auswahl der Medikamente zeigt sich, dass sich die kommerziellen Risiken für Pfizer in Grenzen halten. Umsatzrenner wie den Blutverdünner Apixaban (7,3 Milliarden Dollar 2024) oder das Covid-Medikament Paxlovid (5,7 Milliarden) werden die Patientinnen auf TrumpRx.gov nämlich vergeblich suchen, der Direktvertrieb beschränkt sich auf Zweitligisten im Pfizer-Portfolio wie Eucrisa, eine Salbe gegen Dermatitis, und Duavee, ein Medikament zur Behandlung von Osteoporose bei Frauen in der Menopause.

Auch die Konzessionen bei Medicaid, der staatlichen Versicherung für Geringverdienende, werden Pfizer kaum zu schaffen machen. Die Exposition ist gering, der Anteil der Pfizer-Umsätze, die über die staatliche Versicherung laufen, dürften bei gerade mal 5 Prozent liegen. Wenn hier künftig nach dem «Most Favoured Nations»-Prinzip (MFN) fakturiert wird – die Medikamente also zu dem Preis abgegeben werden, den Pfizer in einem vergleichbaren Land verlangt – und so ein paar Abstriche bei den Margen gemacht werden müssen, dann ist das verkraftbar für einen Pharmakonzern, der 2024 trotz Umsatzeinbussen noch immer 8 Milliarden Dollar Gewinn machte. Zumal Medicaid bereits heute ein Low-Cost-Channel ist, über den die Medikamente von der Pharmaindustrie mit Rabatten von bis zu 80 Prozent auf die Listenpreise unters Volk gebracht werden. Die Auswirkungen seien «vernachlässigbar», so das Fazit von US-Analysten.

Trump braucht Wins

Dafür hat das, was der Pfizer-Chef für seine Konzessionen kriegt, Gewicht. Der einheimische Pharmagigant bekommt eine Schonfrist von drei Jahren bei den Zöllen. 100 Prozent will der US-Präsident bei der Pharmaindustrie draufladen – ein Zollhammer, der wie ein Damoklesschwert über den anderen Pharmafirmen hängt. Drei Jahre Auszeit ist genug, um die Produktion, die Pfizer wie so viele Pharmafirmen in den vergangenen Jahren nach Irland disloziert hat, zurück in die USA zu holen. Und vielleicht sitzt im Weissen Haus dann ohnehin wieder ein demokratischer Präsident, der die Nerven von Konzernchefs und Aktionären etwas weniger strapaziert.

Ernster wird es bei der Bestimmung, wonach sich Pfizer dazu verpflichtet, neue Medikamente in reichen OECD-Ländern nicht mehr zu tieferen Preisen als in den USA anzubieten («not to undercut prices»). Das kommt der Anwendung des MFN-Prinzips auf neue, hochmargige Produkte gleich und hat deshalb das Potenzial, wirklich wehzutun. Nur: Die Pharmaindustrie wird wohl kaum tatenlos zusehen, wie ihr in den USA die Felle davonschwimmen, während die Europäer mit Verweis auf die hohen Gesundheitskosten bei den Medikamentenpreisen auf die Bremse treten. Stattdessen wird sie das «landmark agreement» von Washington dazu nutzen, in den europäischen Hauptstädten und in Brüssel mehr Druck zu machen.

Mehr Druck auf Europa

Wohin die Reise ihrer Meinung nach gehen sollte, haben Novartis-Konzernchef Vas Narasimhan und sein ehemaliger Pharmachef Paul Hudson, der heute bei Sanofi in Paris das Zepter führt, kürzlich in der «Financial Times» skizziert. Der Tenor, auch wenn das so nicht gesagt wird: Die Medikamentenpreise in Europa sind zu niedrig.

Geht den Konflikt mit der US-Regierung um Medikamentenpreise und Zölle offensiv an: Novartis-CEO Vas Narasimhan.
Foto: Keystone

Der US-Pharmamarkt sei doppelt so gross wie der europäische, obwohl die Bevölkerung kleiner sei, heisst es da. Und: Europas grösstes Problem sei, dass es Innovation nicht angemessen honoriere. Aufschlussreich ist der Verweis auf China als dritten Player, das ebenfalls zunehmend Wege finde, Innovation zu belohnen. Subtext: Wenn Europa weiterhin einen schlanken Fuss macht bei der Vergütung, dann gibt es auch noch China als möglichen Markt.

Und so kommt es, dass das als Meilenstein zur Preissenkung gefeierte Abkommen mit Pfizer bis jetzt vor allem den europäischen Regierungen zu denken geben sollte. Sie werden sich entscheiden müssen, was sie wollen: eine gute Gesundheitsversorgung mit einer möglichst umfassenden Medikamentenversorgung – 30 Prozent der in den USA zugelassenen Therapien schaffen es in Europa gar nie auf den Markt – oder tiefe Medikamentenpreise mit entsprechenden Abstrichen bei der Versorgung.

Derweil zeichnet sich für die Industrie ein Ausweg aus dem seit Monaten dauernden Trump-Theater mit ständig neuen Schreckensmeldungen, das wie Blei auf den Aktienkursen lastete, ab. «Es sieht ganz danach aus, als ob die Industrie den Schlüssel gefunden hat, um das System Trump zu knacken», sagt Stefan Schneider, Analyst von Vontobel. «Man gibt ihm die Wins, die er braucht, um seine Klientel zufriedenzustellen, ohne substanzielle Konzessionen zu machen.»

Pfizer hat bereits erste Nachahmer gefunden

Einen ersten Nachahmer hat der Deal von Washington bereits gefunden. Dieser Tage kam der britische Pharmakonzern Astrazeneca mit Trump zum Abschluss. Im offiziellen Faktenblatt des Weissen Hauses ist gar von Rabatten von «654 Prozent» die Rede – wie das gehen soll, bleibt Trumps Geheimnis. Schon vorgelegt hat Novartis. Der Basler Pharmakonzern wird ab November eine eigene Plattform in Betrieb nehmen, auf der die Patientinnen und Patienten Cosentyx direkt beziehen können. Cosentyx ist ein Medikament zur Behandlung von Schuppenflechte und anderen Autoimmunerkrankungen, die damit verbunden sind. Der Discount liegt bei 55 Prozent, doch auch hier gilt: Die Risiken halten sich in Grenzen, da Rabatte von 50 Prozent auf die Listenpreise keine Seltenheit sind.

Pfizer ist die Blaupause, der auch Roche folgen dürfte: begrenzte Rabatte, die nicht weh tun, in Verbindung mit Milliardeninvestitionen in den USA – welche der Konzern auch schon vor Trump getätigt hatte. Big Pharma macht mit bei Trumps Preis-Show.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen
      Externe Inhalte
      Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
      Meistgelesen