Darum gehts
- Drogenkartelle nutzen Tiktok zur Selbstdarstellung und Rekrutierung
- Die Arbeit als Drogendealer wird gezielt als «Narco-Marketing» vermarktet
- Viele angebliche Kartellvideos sind Fakes
Stolpert man auf Tiktok über das sogenannte «Carteltok», glaubt man wortwörtlich im falschen Film gelandet zu sein. Die Social-Media-Plattform spuckt Clips von Kokainplantagen, kleinen schwarzen Päckli, Motorflugzeugen, Waffen und Bargeld aus. Ein besonders makabres Beispiel: ein maskierter Mann, der mit einer Leiche in einem Kübel umhertanzt.
Die Inhalte haben teilweise über 22 Millionen Aufrufe und Hunderttausende Likes. Sie erinnern stark an die Netflix-Hitshow «Narcos», die den Aufstieg des mexikanischen Drogenbosses Joaquín Guzmán (68) alias «El Chapo» erzählt.
Doch weshalb kursieren auf der Plattform, die für lustige Fail-Videos, Sketche oder Parodien bekannt ist, solch düstere Inhalte? User haben dem Phänomen schnell den Namen Carteltok gegeben. Zusammengesetzt aus dem englischen Wort für Kartell und Tiktok. Hinter dem Begriff stecken Drogenkartelle aus ganz Lateinamerika, die Wege gefunden haben, junge Fusssoldaten und -soldatinnen über Social Media zu rekrutieren.
Der Glanz des Narco-Lifestyles
Mit den teils perfiden Clips soll die Kultur der Drogenkartelle verherrlicht werden. Eine spanische Universitätsprofessorin, die in diesem Bereich forscht, sprach gegenüber der «New York Times» von «Narco-Marketing». Im Mai dieses Jahres berichtete die Nachrichtenagentur «Associated Press» über ein kolumbianisches Kartell, das Tiktok nutzt, um Kinder und Jugendliche aktiv anzuwerben.
Die Viralität, auf die Plattformen wie Tiktok ausgelegt sind, spielt den Gruppen dabei in die Hände: Je mehr Menschen die Videos schauen, teilen oder liken, desto mehr Usern werden sie angezeigt. In einem Interview mit der Agentur nahm Scott Campbell, oberster Menschenrechtsbeauftragter der Vereinten Nationen, die Plattformen in die Pflicht: Sie würden nicht genug Ressourcen für die Inhaltsmoderation in lateinamerikanischen Ländern einsetzen, so sein Vorwurf.
Tiktok nimmt Stellung
Gegenüber Blick erklärte eine Tiktok-Sprecherin, dass der Konzern kein strafbares Verhalten auf der Plattform dulde und eine Nulltoleranz für die Förderung von Straftaten habe. Ausserdem verweist sie auf den Unternehmensbericht für das Quartal von April bis Juni, der zeigt, dass Tiktok proaktiv 96,6 Prozent der Inhalte entfernte, die gegen die Richtlinien zu gewalttätigem und strafbarem Verhalten verstossen haben.
Werden diese Inhalte der Polizei übermittelt? «Wenn eine spezifische, glaubwürdige und unmittelbare Bedrohung für Menschenleben oder schwere körperliche Verletzungen vorliegt, melden wir dies den zuständigen Strafverfolgungsbehörden», so die Sprecherin. Ob das auch in diesem Fall geschah, bleibt unbeantwortet.
Mittlerweile wurden die Videos, auf denen dieser Artikel basiert, jedoch entfernt. Auch den Hashtag Carteltok hat Tiktok mittlerweile gesperrt. Doch solche Hindernisse lassen sich leicht umgehen: Sucht man nach dem Begriff Carteltok, werden nach wie vor Clips mit ähnlichen Inhalten angezeigt.
Echt oder Fake?
Die Videos erzeugen ordentlich Aufmerksamkeit. Und das machen sich wohl nicht nur Kartelle, sondern auch Trittbrettfahrer und Betrüger zunutze. Bei den Clips kann jeweils nicht unabhängig festgestellt werden, ob tatsächlich Drogenkartelle dahinterstecken. Sogar die Plattformen selbst können das aus Datenschutzgründen oft nicht genau bestimmen.
Auffällig: Immer wieder verlinken die gezeigten Pablo-Accounts auf Telegram-Chatgruppen. Dort werben sie für Kryptowährungen, unter anderem ihren scheinbar eigens erstellten Meme-Coin $Pablo. Dieser ist wohl nicht direkt mit Kartellen verknüpft, sondern eher mit gierigen Anlegerinnen und Anlegern, die schnelles Geld verdienen wollen. Klar ist: Wer undurchsichtige Geschäfte betreiben will, dem spielt dieser Trend auf Tiktok auf jeden Fall in die Karten.