ADHS bei Erwachsenen
«Meine Krankenkasse wollte das Medikament nicht zahlen»

Die Krankenkasse weigert sich, die ADHS-Medikamente einer jungen Frau zu bezahlen. Begründung: Die Diagnose hätte im Kindesalter gestellt werden müssen. Stimmt das? Dazu: Beobachter-Tipps für Betroffene.
Publiziert: 11:13 Uhr
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Aktualisiert: 11:21 Uhr
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Seit 2012 müssen Schweizer Krankenkassen ADHS-Medikamente auch für Erwachsene bezahlen (Symbolbild).
Foto: Tobias Nicolai/Connected Archive

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Chantal Hebeisen und Fabienne Niederer
Beobachter

Mara Odermatt kauft Ende Januar zwei Packungen ihres ADHS-Medikaments Concerta, eines Ersatzpräparats für Ritalin. Sie reicht den Beleg über die 284 Franken ihrer Krankenkasse ein. Doch dann die Überraschung: Die Concordia könne die Kosten nicht vergüten. «Ein Mitarbeiter sagte mir am Telefon, dass die Krankenkasse das Medikament in meinem Fall nicht zahlt», erzählt die 26-Jährige dem Beobachter. Grund: Die ADHS-Diagnose sei nicht im Kindesalter erfolgt.

Odermatt, die ihren richtigen Namen aus Angst vor Stigmatisierung hier nicht genannt haben möchte, war 23, als ihr das Studium plötzlich zu viel wurde. Sie hatte Angstzustände, kämpfte mit leichten Depressionen. Im Herbst 2023 bekam sie die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS. Ihr Gehirn kann nicht filtern, welche Information gerade relevant ist, und Impulse schwer kontrollieren.

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ADHS-Symptome hatte sie schon im Kindesalter

Früher ging die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davon aus, dass ADHS nur Kinder betrifft. Darum vergüteten Krankenkassen ADHS-Medikamente wie Ritalin nur für Kinder. 1992 hat die WHO die Diagnosestellung ADHS auch für Erwachsene zugelassen. Seit 2012 müssen Schweizer Krankenkassen ADHS-Medikamente auch für Erwachsene bezahlen. Voraussetzung ist, dass sie eine Diagnose durch einen Facharzt erhalten haben. Ausserdem müssen die ADHS-Symptome schon im Kindesalter bestanden haben.

Bundesamt korrigiert Krankenkasse

Bedeutet dieser Zusatz, dass Krankenkassen die Medikamente nur bezahlen müssen, wenn die Diagnose vor dem 19. Lebensjahr gestellt wurde? Nein, antwortet das Bundesamt für Gesundheit auf Anfrage. «Um die Diagnose ADHS zu stellen, klärt der Facharzt in der Anamnese mit dem Patienten und allenfalls auch seinen Angehörigen, ob die Symptome in der Kindheit aufgetreten sind.» Mit anderen Worten: Die Diagnose wird ohnehin nur gestellt, wenn schon in der Kindheit Anzeichen für ADHS erkennbar waren. Bei Mara Odermatt war das der Fall.

Die 26-Jährige erfährt durch den Beobachter, dass der Concordia-Mitarbeiter falsch liegt. Vier Mal kontaktiert Odermatt die Concordia per E-Mail und über die Concordia-App und bittet um eine schriftliche Begründung für die Kostenablehnung. Die Nachrichten blieben alle unbeantwortet. Erst als sie die Krankenkasse nach drei Wochen auf ihre Informationspflicht hinweist, meldet sich eine Mitarbeiterin telefonisch und teilt ihr mit, dass die Versicherung die Medikamente zahlt. 

Der Mediensprecher der Concordia schreibt auf Anfrage, in Odermatts Dossier sei kein ablehnender Kostengutsprache-Entscheid dokumentiert. Auch die telefonische Auskunft sei nicht notiert. Im Juni 2024 sei die Abrechnung über den Facharzt gelaufen, der ihr die Medikamente abgegeben hatte. «Die Concordia hat sich nie geweigert, die Kosten zu übernehmen.»

Dass Odermatt die Tabletten in der Apotheke selbst bezahlen musste, kann sich der Concordia-Sprecher nicht erklären. «Das widerspricht dem üblichen Vorgehen, darum haben wir die betreffenden zwei Apotheken explizit auf die Kostenübernahme aufmerksam gemacht.»

ADHS-Abklärungen kosten viel Zeit

Odermatt ist nicht die Einzige, die dafür kämpfen muss, dass ADHS-Medikamente bezahlt werden. «Immer wieder melden sich Betroffene oder Fachpersonen bei uns, weil es Probleme bei der Kostenübernahme durch die Krankenkassen gibt», sagt Susanne Kempf, Geschäftsleiterin bei der Schweizerischen Fachgesellschaft ADHS.

Einzelne Versicherungen lehnten die Kostenübernahme vorerst komplett ab, andere verlangten von den Ärzten schriftliche Berichte, um zu klären, ob die Gutsprachekriterien erfüllt sind. Bei Patienten entstünden so Unsicherheiten und bei Fachpersonen erheblicher Mehraufwand. «Inmitten der aktuellen Versorgungskrise werden so unnötig Ressourcen gebunden», sagt Kempf.

900 Franken rückerstattet

Mara Odermatt hat die 900 Franken zurückbekommen, die sie bisher für ihre ADHS-Medikamente aus dem eigenen Sack bezahlt hat. Sie fragt sich aber: «Wären mir die Medikamente auch vergütet worden, wenn ich nicht mehrmals aktiv nachgehakt hätte?»

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