Normalerweise verliert Roger Federer die Fassung bei Interviews nie. Doch bei CNN schüttelt es den 37-Jährigen durch. Bei der Erinnerung an seinen 2002 viel zu früh verstorbenen Trainer Peter Carter (†37) kann Federer die Tränen nicht mehr zurück halten. Später meint er zu seinem Weinanfall: «Meine Güte, so bin ich noch nie zusammengebrochen.»
Solche Emotionen kennen die Fans von Federer in der Tat nur von früher – vom Court. Egal, ob nach einem Sieg oder nach einer Niederlage. Roger wurde beispielsweise von Gefühlen überwältigt, als er 2003 in Wimbledon seinen ersten Grand-Slam-Titel gewann. Ein Triumph, den er damals Carter widmete.
Legendär ist auch die Szene nach dem verlorenen Fünf-Satz-Final an den Australian Open 2009, als Sieger Rafael Nadal bei der Pokalübergabe seinen Arm um den untröstlichen Federer legte. Dieser war knapp sieben Monate zuvor im Wimbledon-Final ebenfalls in einem epischen Match dem Spanier unterlegen gewesen.
Zuletzt überkommen die Emotionen Federer auf einer grossen Bühne vor Jahresfrist in Australien. Nach seinem 20. Grand-Slam-Titel bricht er bei der Dankesrede – «Leute, ich liebe euch» – in Tränen aus. Seine Familie mit Ehefrau Mirka (40), den neunjährigen Zwillingen Myla und Charlene sowie den vierjährigen Zwillingen Lenny und Leo ist oft Zeuge von solchen Momenten.
«Ich werde emotional, wenn ich Filme schaue»
Auch ganz privat erlebt Federer gefühlsmässige Augenblicke, wie er bei CNN weiter ausführt. «Ich werde manchmal auch emotional, wenn ich Filme schaue. Ich wusste nicht, dass ich diesen ‹happy cry› habe, wie wir es in unserer Familie bezeichnen.»
Roger gibt ein weiteres Beispiel. «Sagen wir, wir hatten einen wunderbaren Urlaub. Und wir verlassen den Ort, aber die Kinder wollen nicht gehen, weil sie in Australien so eine wundervolle Zeit verbracht haben. Das nennen wir dann Freudentränen», sagt Federer.
An seine ersten Freudentränen erinnert er sich noch gut. «Es passierte zum ersten Mal, glaube ich, im Davis Cup in Basel, als ich 2001 ein tolles Wochenende gegen die USA spielte», blickt er zurück. Damit ein Tränenmeer entsteht, braucht es nur einen kleinen Auslöser. Zum Beispiel eine entsprechende Frage bei einem Platz-Interview wie in Wimbledon 2003.
«Es ist wie ein kompletter Zusammenbruch»
«Du wirst gefragt, wie du dich fühlst. Dann denkst du: ‹Ja, wie fühle ich mich jetzt?› So fühle ich mich. Es ist wie ein kompletter Zusammenbruch», sagt Federer. In Momenten von grossen Siegen denkt ein Sportler oft an die Strapazen im Training und im Fitnessraum. Dann realisiere man, dass sich die Anstrengungen ausbezahlt haben.
«Es ist schwer zu sagen, dass es keine grosse Sache sei. Denn es ist eine grosse Sache für mich, weil ich diese Karriere nicht für selbstverständlich halte», bilanziert Roger. Vielleicht kullern am Sonntag, 27. Januar, gegen Mittag Schweizer Zeit wieder Tränen über die Wangen des Maestros – wenn er seiner Trophäen-Sammlung an den Australian Open mit dem 100. Karriere-Titel die Krone aufsetzt. (rib)