Darum gehts
- Unfaires Verhalten auf den Zuschauertribünen an Schwingfesten nimmt zu
- Der Schwingboom zieht Leute an, welche die Werte des Nationalsports nicht kennen
- Der Innerschweizer Schwing-Boss fordert deshalb, dass man diese erziehen muss
Die heile Welt der Schwinger bröckelt. Längst werden auf den Tribünen nicht mehr nur Speck, Käse und Weisswein verteilt. Immer öfter werden Schimpfwörter ausgetauscht. Schwinger und Kampfrichter müssen Pfiffe über sich ergehen lassen. Die Stimmung erinnert teilweise an ein Fussballspiel. «Diese Entwicklung macht mir Sorgen. In den letzten Jahren wurde es immer schlimmer», sagt Stefan Muff, der Technische Leiter der Innerschweizer.
Als Negativbeispiel nennt der Landwirt das letztjährige Oberländische Schwingfest. Schwingerkönig Joel Wicki wurde vom Berner Publikum mehrfach wüst beschimpft. «Diese Reaktionen haben mich im ersten Moment ziemlich getroffen», erklärte Wicki einige Monate später. Auch Muff selbst musste sich schon unangebrachte Kommentare anhören. «So etwas hat auf dem Schwingplatz nichts zu suchen. Genauso wenig wie Pfiffe oder Buhrufe.»
Mehrfache Kritik am Berner Publikum
Die Häufung solcher Vorfälle in den letzten Jahren erklärt er sich mit dem Schwingboom. Seit dem Königstitel von Kilian Wenger (34) in Frauenfeld 2010 erfreut sich der Nationalsport immer grösserer Beliebtheit. An einem Eidgenössischen Schwingfest sitzen über 50'000 Zuschauer in der Arena. «Heutzutage ist es cool, ein Schwingfest zu besuchen. Das zieht viele Leute an, die unsere Werte nicht kennen.» Für Muff sind das vor allem «Ehrlichkeit, Brauchtum und Fairness».
Letzteres droht immer wie stärker verloren zu gehen. Teilweise wurden auch Familienmitglieder von Schwingern beleidigt. Zu einem viel diskutierten Eklat kam es am Mittelländischen Schwingfest im vergangenen Sommer. Nach einer strittigen Kampfrichterentscheidung waren vereinzelte Pfiffe zu hören. «So ein Verhalten gehört sich nicht», sagte Festsieger Fabian Staudenmann (24) danach.
Auch das frenetische Bejubeln von Gestellten wurde kritisiert. Das sei nicht Schwinger-Art hiess es von verschiedenen Seiten. Gleich zweimal war der Berner Fabian Aebersold (21) involviert. Am Oberländischen Schwingfest brachte der Defensivkünstler Wicki zur Verzweiflung. Danach feierte ihn das Publikum mit einer Welle. Zwei Monate später nahm der Hobby-Hornusser am Oberaargauischen Schwingfest Domenic Schneider (30) aus dem Schlussgang-Rennen.
Der Nordostschweizer zeigte dem Berner Publikum nach dem Gang die Scheibenwischer-Geste. Noch während des Kampfs freuten sich die Zuschauer lautstark über jede Verteidigungsaktion des Einheimischen. Und sei es nur, dass er sich aus dem Sägemehlring retten konnte.
Schwing-Boss konfrontiert Zuschauer
Alle diese Vorfälle spielten sich im Bernbiet ab. Sind die Mutzen besonders unfair? «Nein», sagt Muff. «Wir in der Innerschweiz sind nicht besser.» Damit sich das in Zukunft ändert, nimmt der Eidgenosse alle in die Pflicht. «Wir müssen die Mode-Fans erziehen. Entscheidend ist dabei die Kommunikation.»
Auf den Zuschauerrängen funktioniere das bereits ganz gut. «Sie weisen jemanden, der pfeift, daraufhin, dass das hier nicht gemacht wird. Darauf bin ich stolz.» Auch Muff selbst konfrontiert Leute, die ihn beleidigen – auf freundliche Art und Weise. «Ich frage sie jeweils, weshalb sie das tun. Meist wissen sie es selbst nicht. Solche Dinge kommen aber glücklicherweise nur sehr selten vor.»
Kampf um Einzigartigkeit
Das wirksamste Mittel für eine friedlichere Stimmung ist laut Muff das Vorleben der Schwingerwerte. An Rangschwinget, Kranzfesten und vor allem am Eidgenössischen Schwingfest Ende August in Mollis GL. Passiert das nicht, droht der Nationalsport seine Einzigartigkeit zu verlieren.
Noch dürfen die Zuschauer mit dem Messer in die Arena spazieren und ihre mitgebrachten Esswaren selbst schneiden. «Wenn der Hass zu gross wird, ist das kaum mehr möglich. Das wäre eine Katastrophe.»