Er verlor die Lebensfreude und verkündet Liebes-Aus
Schwinger Käser spricht über seine dunkelsten Monate

Nach dem letztjährigen Saisonabbruch fiel Schwinger Remo Käser in ein tiefes Loch. Der Berner kämpfte mit Hirngespinsten und stand kurz vor dem Rücktritt. Dass er noch immer schwingt, hat er einer bestimmten Person zu verdanken.
Foto: Pius Koller
Schwingen: Remo Käser spricht über seine dunkelsten Monate

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
RMS_Portrait_AUTOR_1051.JPG
Nicola AbtReporter Sport
Publiziert: 12:09 Uhr
|
Aktualisiert: 12:12 Uhr

Es heisst, sich gegenseitig zu überraschen, hält eine Beziehung am Leben. Schwinger Remo Käser (28) macht den Test – wenn auch nicht ganz freiwillig. Seit seinem 13. Lebensjahr zählt er auf die Dienste von Athletiktrainer Andreas Lanz. «Das ist mir noch nie passiert», begrüsst er ihn an diesem Nachmittag. «Ich habe meine Schuhe vergessen.»

Der Überraschungseffekt ist da. Lanz schaut Käser erstaunt an, fragt ihn dann nach dessen Schuhgrösse. Käser antwortet «48». Und weil auch Lanz Eidgenosse ist und auf grossem Fuss lebt, beginnt Käser das Training mit Ersatzschuhen seines Trainers.

«Sonst musste man eine Runde zahlen»
2:44
Remo Käser übers Trainingscamp:«Sonst musste man eine Runde zahlen»

Es ist eine der letzten Einheiten vor dem Start der Kranzfestsaison am 4. Mai. Käser tritt als Gast beim Solothurner Kantonalen an. Eine grosse Sache für ihn, denn im letzten Herbst hätte alles vorbei sein können. «Ich war sehr nahe am Rücktritt», gesteht der sechsfache Kranzfestsieger. Erstmals spricht der Berner öffentlich über seine dunkelsten Monate.

Alles begann mit einer Rippenverletzung am Oberländischen Schwingfest Ende Mai 2024. Wenige Wochen später musste der Sohn von Schwingerkönig Adrian Käser (53) die Saison vorzeitig beenden – wieder einmal. Mehr als drei Kranzfeste in einer Saison bestritt er letztmals 2019. «Die vielen Rückschläge verunsicherten mich. Ich begann, an mir und meinem Körper zu zweifeln.»

Schwinger Remo Käser und sein harter Kampf zurück ins Sägemehl.
Foto: Pius Koller

Einer wie Wicki und Giger

Dabei war Käser einst voller Selbstvertrauen. Mit 15 Jahren und 7 Monaten gewann er am Emmentalischen seinen ersten Kranz. Noch als Teenager bodigte er mit Kilian Wenger einen König. Und drei Monate vor seinem 20. Geburtstag wurde der gelernte Spengler am Eidgenössischen in Estavayer FR sensationell Dritter.

Danach waren sich die Experten einig, dass Käser zusammen mit Samuel Giger, Armon Orlik und Joel Wicki den Nationalsport dominieren würde. Während die anderen drei durchstarteten, wurde Käser von seinem Körper gebremst. «Ich wusste teilweise nicht, ob ich je wieder schwingen kann.» In ein so tiefes Loch wie im letzten Sommer fiel er nach einer Verletzung noch nie.

Die letzte Saison musste der Berner nach einer Rippenverletzung abbrechen. Einmal mehr bereitete ihm sein Körper Probleme.
Foto: Pius Koller

Käser schottete sich ab. «Ich mied die Öffentlichkeit. Am liebsten war ich für mich allein.» Der Schwinger fürchtete sich vor den Reaktionen der Leute. «Wenn ich jemanden sprechen sah, dachte ich, der redet schlecht über mich.» Solche Hirngespinste übertrugen sich auf sein Verhalten im Alltag. «Ich war viel unsicherer bei den Dingen, die ich machte.» Zudem fühlte sich Käser ungewöhnlich müde. Seine sonst so grosse Lebensfreude war weg.

Diese Phase dauerte mehrere Monate. Dabei lernte er nicht nur sich selbst besser kennen, sondern auch sein Umfeld: «Ich realisierte, wer meine wahren Freunde sind. Wenn du Erfolge feierst, melden sich alle. Aber wenn du am Boden liegst, kaum jemand.»

Danach fiel der frühere Shootingstar in ein tiefes Loch. Der sonst so lebensfrohe Sportler mied öffentliche Orte.
Foto: Pius Koller

Diese schmerzhafte Erkenntnis verarbeitete er lange allein. Auch seine Probleme behielt Käser lange Zeit für sich. «Ich habe nie darüber gesprochen. Wenn mich jemand aus der Familie gefragt hat, wie es mir geht, bin ich ausgewichen.» Nur das Wissen, dass sie immer für ihn da sein würden, half ihm durch diese schwere Zeit. Eine grosse Stütze fand er in einer Person ausserhalb der Familie. 

Einer, der lieber im Hintergrund bleibt

Auf die Frage, warum er nicht zurückgetreten sei, antwortet Käser mit einem Namen: Michel Olivari. Der Ex-Tennisspieler leitet am Montagabend das Schwingtraining der stärksten Berner. Viel mehr ist über den ehemaligen Physiotherapeuten des SC Bern nicht bekannt. Im Internet findet man kaum Bilder von ihm. «Die Athleten sollen im Mittelpunkt stehen. Nicht wir Betreuer», erklärt Olivari.

1/5
Voller Einsatz: Käser zeigt sein Training. Die harte Arbeit half ihm auch aus der Lebenskrise.
Foto: Pius Koller

Das gefällt den Schwingern. Etwas anderes schätzte Käser aber noch viel mehr. «Er war immer für mich da und hat an meine Fähigkeiten geglaubt.» Das von einem Aussenstehenden zu hören, sei für ihn entscheidend gewesen. Olivari steht in engem Austausch mit Athletiktrainer Lanz.

Gemeinsam haben sie Käser körperlich optimal auf die Saison vorbereitet. Gleichzeitig hat er die mentale Arbeit intensiviert. «Ich fühle mich sehr gut. Ihnen beiden wie auch meiner Familie und meinen Freunden bin ich unendlich dankbar für ihre Unterstützung.»

Nach dem Training bekocht er seine Familie. Die Salate brachten die Eltern mit. Käser lebt nach der Trennung von seiner Freundin wieder allein in seinem Haus.
Foto: Pius Koller

Bevor die Kranzfestsaison losgeht, tankt Käser noch einmal Energie bei seinen Liebsten. Nach der einstündigen Krafteinheit kauft er ein paar Steaks, die er in seinem Haus zubereitet. Dort wohnt er neuerdings allein. Vor einigen Wochen trennten sich Käser und seine langjährige Freundin Rebecca. Noch muss er sich an die neue Situation gewöhnen.

Die Antwort zum Schuh-Fauxpas

«Den Haushalt allein zu führen, ist eine Herausforderung.» Das zeigt ein Blick in den Kühlschrank. «Demnächst mache ich einen grösseren Einkauf», verspricht Käser lachend. Netterweise bringen Vater Adrian und Mutter Elisabeth zwei Salate mit. Einen besonderen Gast trägt Schwester Rahel auf ihren Armen. Marlon kam im Februar zur Welt. Käser ist stolzer Onkel und Götti.

Käser ist stolzer Götti des Kindes seiner Schwester Rahel. Sie hält Marlon auf dem Arm. Ihr gegenüber sitzt ihr Partner Fabian. Ebenfalls am Tisch sind Schwingerkönig Adrian Käser und seine Frau Elisabeth. Die neuerdings Grosseltern sind.
Foto: Pius Koller

Immer wieder drückt er Marlon liebevoll an seinen Körper. Oder versucht, das Baby mit einem Zaubertrick zu begeistern. «Schau, wie er lacht», sagt Käser begeistert. Kurz nach 21 Uhr löst sich das Familientreffen auf. Bleibt noch eine Frage: Wie konnte es passieren, dass Käser erstmals seine Schuhe vergass? Die Antwort liegt auf Teneriffa. Dort absolvierte Käser in der Woche vor dem Missgeschick ein Trainingslager. Unter anderem mit Schwingerkönig Joel Wicki. Zurück in der Schweiz, stellte er die Turnschuhe ins Schuhregal. «Das mache ich sonst nie. Normalerweise bleiben die Schuhe immer in der Sporttasche.» Prompt vergass Käser, sie wieder einzupacken.

Beim Solothurner Kantonalen will Käser endlich wieder jubeln.
Foto: Sven Thomann
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?