Nora Meister (17) ist ein ganz normaler Teenager. Etwas scheu, aber herzlich. Sie geht ans Gymnasium in Aarau und wohnt in Lenzburg AG. Und sie schwimmt für den Schwimmclub Aarefisch. So weit, so gut. Doch genau da hört die Normalität auf. Denn: Meister ist Weltrekordhalterin über 200 Meter Rücken. Und zweifache Europameisterin.
Warum ist sie dennoch fast unbekannt? Ganz einfach: Meister leidet seit ihrer Geburt an der Krankheit Arthrogryposis multiplex congenita (AMC), einer Versteifung der Gelenke. Sie ist eine Athletin mit Behinderung. Im Wasser bewegt sie die Beine gar nicht, alleine durch den Oberkörper und den Armzügen treibt sie sich vorwärts. Weil auch ihre Fussgelenke versteift sind, ist Meister neben dem Pool jeweils im Rollstuhl unterwegs, gehen kann sie nur mit durchgestreckten Beinen. Ungleich schneller unterwegs ist sie im kühlen Nass. «Da fühle ich mich völlig frei», sagt sie. Meisters grosses Ziel sind die Paralympics in Tokio 2021.
Ohne Schwimmen verkürzen sich Sehnen
Doch hier beginnt ihr derzeit grösstes Problem. Nicht, weil die Spiele um ein Jahr verschoben wurden. «Ich kann dadurch noch besser werden», sagt Meister. Die Schwierigkeit rührt vielmehr durch die monatelange Schliessung aller Hallenbäder – auch das Nationale Sportzentrum Magglingen ist geschlossen.
Das hat für die junge Athletin schwerwiegende Folgen, denn ohne die Schwimmbewegungen verkürzen sich die Sehnen in ihrem Körper. Bildlich gesprochen: Sie rostet ein. «Aktuell habe ich keine Schmerzen», sagt Meister. Das könnte sich noch ändern, sollte sie weiterhin aufs Schwimmen verzichten müssen. Zwar hat sie bei sich zu Hause einen kleinen Fitnessraum eingerichtet und fährt Handbike, doch das Landtraining belastet wegen der Schwerkraft ihre Gelenke. Auch Meisters Arme und Hände sind zwar von der Krankheit betroffen, jedoch weniger stark als die Beine. Mutter Sarah erklärt die Vorteile des Wassers: «Da kann Nora schwerelos an ihre Grenzen gehen und trotzdem richtet es keinen Schaden an. Im Gegenteil, das Training hilft, die Muskulatur am ganzen Körper zu stärken.»
Krankheit ist unheilbar
Klagen will Meister nicht, weder über ihr gesundheitliches Schicksal – die Krankheit ist nicht heilbar – noch über ihr sportliches Schicksal. «Ich mache das Beste aus der Situation», sagt sie. Meister gibt allerdings auch zu: «Es gab Momente, in denen auch ich haderte. Aber das ging schnell vorbei. Ich kenne kein anderes Leben, ich konnte nie richtig laufen. Es tönt komisch, aber das macht es einfacher, alles zu akzeptieren.»
Blöde Sprüche wegen ihrer Behinderung habe es nie gegeben, betont Meister. «Höchstens verwunderte Blicke. Aber das meinen die Leute nicht böse, ich falle halt auf.» Einzig beim Zugfahren gibts Komplikationen. «Obwohl ich mich frühzeitig anmelde, ist der gelbe Hubwagen, der mich auf die Türhöhe hochfährt, nicht immer da.» Gleichzeitig spürt sie in diesen Momenten oft auch die Freundlichkeit anderer Fahrgäste, die ihr dann helfen.
Noch muss Meister für die Paralympics 2021 erst selektioniert werden. Es wäre erstaunlich, wenn es nicht klappen würde. «Japanisch kann ich noch nicht. Aber Tokio würde ich gerne kennenlernen – auch ausserhalb des Schwimmbeckens», sagt sie schmunzelnd.