Reusser kämpft für Gleichheit
Schweizer Vize-Weltmeisterin verdiente keine 4000 Franken!

Marlen Reusser (29) ist auf dem Rad eine der Weltbesten. Doch auch abseits des Velos kämpft sie für mehr Gerechtigkeit.
Publiziert: 19.11.2020 um 17:51 Uhr
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Die schweizer Radrennfahrerin Marlen Reusser (29)
Foto: Getty Images
Mathias Germann

Sie schuften bis zur totalen Erschöpfung, quälen sich über Berge, riskieren bei Abfahrten Kopf und Kragen. Trotzdem verdienen Radrennfahrerinnen nichts. Oder fast nichts – auch wenn sie Profis sind. «In dieser Saison erhielt ich etwa, was man sich in der Schweiz unter einem Mindestlohn vorstellen könnte», sagt Marlen Reusser. Also etwa 3500 Franken? «In diesem Bereich, ja», sagt Reusser. Dabei ist die 29-jährige Vize-Weltmeisterin im Zeitfahren und eine der grossen Schweizer Medaillenhoffnungen für Olympia 2021. Sie weiss dennoch: Reich wird sie in diesem Rad-Leben wohl nicht mehr – egal, wie viel sie gewinnt.

Frappante Unterschiede

«Wäre ich bei meinem ursprünglichen Beruf geblieben, hätte ich jetzt massiv mehr Geld auf dem Konto», so Reusser. Dennoch bereut sie es die Bernerin nicht, im letzten Jahr ihre Arbeit als chirurgische Assistenzärztin aufgegeben zu haben. Sie liebt den Radsport. Gleichzeitig findet es Reusser «absurd», wie wenig die Frauen im Vergleich zu den Männern verdienen. Tatsächlich ergab zuletzt eine Umfrage, dass 25 Prozent aller weiblichen Rad-Profis gar nichts verdient. Reusser relativiert das Ganze («es haben wohl vor allem die Unzufriedenen mitgemacht»), ist sich dem Problem aber bewusst. Und sie kämpft dagegen an. «Nur schon unsere Preisgelder sind lächerlich. Und das, obwohl wir im Vorfeld der Eintagesrennen der Männer auf den gleichen Strecken fahren und grosses Spektakel bieten», so Reusser.

Dabei seien viele ihrer Berufskolleginnen auf solche Prämien angewiesen, weil ihr Fixlohn so gering ist. «Das ist bei den Männern ganz anders. Und dennoch kassieren sie viel höhere Preisgelder.» Nun mag man einwenden: Die Leistungsdichte bei den Frauen ist längst nicht so gross wie bei den Männern. Ist der finanzielle Unterschied also doch berechtigt? «Dieser Unterschied in der Leistungsdichte hat stark abgenommen und genügt längst nicht mehr zur Begründung der frappanten Lohn- und Preisgeldunterschiede», so Reusser.

21'400 Franken – pro Jahr

Ein grosses, neues Problem ist derweil Corona. Wegen der Pandemie stiegen zuletzt viele Sponsoren aus – oder sie zahlen künftig noch weniger. Immerhin: Reusser ist mit ihrem neuen Vertrag beim World-Tour-Team Alé BTC Ljubljana happy. «Ich verdiene nächstes Jahr ca. so viel wie eine Pflegeassistenz», sagt sie. Und auch bei der UCI bewegt sich etwas. Mussten die Teams ihren Fahrerinnen 2020 noch einen Mindestlohn von 16’200 Franken bezahlen, sind es in der kommenden Saison 21’400 Franken. Dennoch ist ein Vergleich mit den Männern schockierend. Ein Beispiel? Während den drei Wochen an der Tour de France hamsterte Gesamtsieger Tadej Pogacar (22, Sln) allein an Preisgeldern 670’000 Franken.

Marlen Reusser schnappt sich Silber
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WM-Zeitfahren:Marlen Reusser schnappt sich Silber
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