«Die Leute wissen über alles Bescheid»
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Doping-Vergangenheit:«Die Leute wissen über alles Bescheid»

Gleich hinter der Schweizer Grenze
Rad-Fans feiern die alten Doping-Sünder Ullrich und Armstrong

Im Schwarzwald fand am Sonntag ein ganz spezieller Velo-Tag statt. Viele Ex-Rad-Stars gaben sich beim Jan Ullrich Cycling Festival die Ehre. Wie kommt es, dass dabei kaum kritische Worte fielen?
Publiziert: 15:42 Uhr
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Aktualisiert: 16:41 Uhr
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Schmerzen nach einer Operation, aber gut gelaunt und sehr sympathisch: Jan Ullrich in Bad Dürrheim. Bloss: Was machte der Tour-de-France-Sieger von 1997 da überhaupt?
Foto: Olaf Degenkolbe

Darum gehts

  • Jan Ullrich und Lance Armstrong sind seit jeher gute Freunde
  • Ehemalige Dopingsünder erhalten Vergebung und Unterstützung von Fans
  • 4000 Besucher beim Jan Ullrich Cycling Festival in Bad Dürrheim – Blick hörte sich um
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Mathias GermannReporter Sport

Sie waren Helden. Aber sie haben auch gedopt, betrogen, gelogen und geschwiegen. Jahrelang. Nun werden sie gefeiert: Jan Ullrich (51) und Lance Armstrong (53). «Es ist schön, mit solchen Legenden des Radsports hier zu sein», sagt Deutschlands Ex-Nationaltorhüter Timo Hildebrand (46).

Er ist nicht der einzige Sport-Promi, der die Einladung zum Jan Ullrich Cycling Festival angenommen hat. 4000 Leute sind nach Bad Dürrheim (D) gereist. Darunter auch Fabio. Er steht mit einem Trikot von US Postal, dem ehemaligen Team von Armstrong, am Strassenrand. «Es geht auch darum, dass man verzeihen kann. Dass sie gedopt haben, war vielleicht ein bisschen blöd gegenüber jenen, die sauber waren. Aber davon gab es wohl nicht viele.» 

Tatsächlich haben Armstrong und Ullrich noch während ihrer Karrieren mantraartig erklärt, sauber zu sein. Das trotz erdrückender Beweislast. Irgendwann, nach dem Rücktritt, brachen sie ein – Armstrong 2013, Ullrich zehn Jahre später. Dem Amerikaner wurden alle sieben Tour-de-France-Siege (1999–2005) aberkannt, Ullrich durfte seinen Triumph von 1997 behalten – obwohl er zugab, von 1996 bis 2006 illegal unterwegs gewesen zu sein. «Ich persönlich glaube, der Titel steht mir zu», sagte er unlängst. 

Hört man sich an diesem traumhaften Frühlingstag im Schwarzwald um, hat man den Eindruck, dass die meisten dies auch so sehen. Gabi, ein grosser Ullrich-Fan aus dem Hegau (D), meint: «Klar, es gibt einen bitteren Beigeschmack. Aber Jan war noch sehr jung. Im Leistungssport wirst du von überall gedrückt – das musst du zuerst verkraften. Was ist richtig, was nicht? Er war nicht Alleinschuldiger. Auch die Ärzte, Trainer und sein Umfeld trugen einen grossen Teil dazu bei.» 

Armstrong wirkt fit wie eh und je

Ullrich, der Täter – aber eben auch ein Opfer des Doping-durchseuchten Systems der 90er- und Nullerjahre. Doch was ist mit Armstrong? Er konsumierte nicht nur, sondern plante akribisch, organisierte, mobbte und drohte. «Er hatte sicher eine gewisse kriminelle Energie», findet Gabi. «Aber man vergisst im Laufe der Jahre auch und sieht eher das Schöne von früher.»

Die Stimmung unter Radsportbegeisterten in Bad Dürrheim ist gelöst und friedlich. Bevor er mit den Hobbyfahrern auf die 30-Kilometer-Runde geht, sagt Armstrong auf der Bühne: «Auf dem Rad bin ich an einem sicheren Ort. Das hat etwas Therapeutisches.» Der Texaner wirkt fit wie eh und je. Die Waden? Muskulös. Der Bauch? Nur im Ansatz erkennbar. Einzig die grauen Haare unter seinem Helm verraten sein Alter.

Armstrong und Ullrich, die Rivalen von früher, verbindet viel. Armstrong half seinem Freund mehrfach, als er nach dem Rücktritt in ein tiefes Loch fiel. Doch was heisst fiel? Er blieb lang darin stecken. Die Ehe zerbrach, er soff sich ins Koma, kokste wie verrückt und wurde in die Psychiatrie eingewiesen. «Noch ein bisschen tiefer, und ich wäre tot gewesen», gab Ullrich zu. Auch jetzt ist er angeschlagen – aber nur deshalb, weil er zuletzt bei einer Ausfahrt von einem Auto angefahren wurde, sich Schlüsselbein und drei Rippen brach. Aufs Velo kann Ullrich nicht. 

Ullrich: «Haben den Leuten reinen Wein eingeschenkt»

Auch Sir Bradley Wiggins (45), der zum Ritter geschlagene Tour-de-France-Sieger von 2012, ist gekommen. «Jan war nicht nur einer der talentiertesten Radfahrer der Geschichte, sondern ist auch einer der nettesten Menschen, denen ich je begegnet bin.» Wiggins hat, so wie Andreas Klöden (49) und Udo Bölts (58), die auch da sind, eine Doping-belastete Vergangenheit. Zuletzt sagte er über seine Kokain-Sucht: «Ich war jahrelang fast immer high.» Nun gehe es ihm aber besser, so Wiggins. 

Auch das ist in Bad Dürrheim weit weg. Während Kinder im Start- und Zielbereich auf einem Pumptrack und zwei Hüpfburgen ihre Energie loswerden, gönnen sich Väter ein Fleischküchele (4 Euro) mit Brezel (1.50 Euro) und ein kühles Rothaus-Pils (4.50 Euro).

Mittendrin ist Ullrich. Er geniesst, so hat man den Eindruck, wenige Schritte von seinem eigenen Museum entfernt, das Bad in der Menge. «Ulle» redet, gibt Autogramme, steht für Selfies bereit. Wie erklärt er es sich, dass ihm alle so wohlwollend begegnen? Ullrich zu Blick: «Wir haben den Leuten reinen Wein eingeschenkt. Sie wissen Bescheid, haben uns verziehen oder sind nach wie vor Fans. Wer wollte, ist gekommen und hat sich angemeldet. Jeder konnte selbst entscheiden – das ist das Schöne an der Demokratie.» 

Irgendwann zieht sich Ullrich zurück – er hat Schmerzen und muss sich nach der Operation schonen. Glücklich ist er trotzdem – so wie viele andere auch an diesem sonnigen Tag im Schwarzwald. 

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