Darum gehts
- Frauen müssen beweisen, dass sie eine Frau sind
- In der Leichtathletik gibt es dafür neu einen verpflichtenden Gen-Test
- Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus
- Auch Donald Trump mischt sich in die Diskussion ein
Die Frage, wer in der Frauenkategorie starten darf, um faire Wettbewerbe zu gewährleisten, treibt den Sport und insbesondere die Leichtathletik seit Jahren um. Wer ist Frau? Wer ist Mann? «Es ist nicht so einfach, wie manche es darstellen wollen», sagte 2024 der damalige IOC-Boss Thomas Bach (71). «Dass XX oder XY die klare Unterscheidung zwischen Männern und Frauen ist. Das ist wissenschaftlich nicht mehr richtig.»
Die frühere Weltklasseläuferin Caster Semenya (33) ist das bekannteste Beispiel für eine Normvariante. Die zweifache Olympiasiegerin aus Südafrika besitzt männliche XY-Chromosomen, eine Vagina, aber keine Eierstöcke und keine Gebärmutter, dafür innere Hoden, die für einen erhöhten Testosteronspiegel verantwortlich sind. Solche Anomalien werden unter dem Begriff DSD-Syndrom oder Intersexualität zusammengefasst.
Semenya gelangte bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, weil von ihr verlangt wurde, für Starts eine Hormonbehandlung zur Senkung ihres natürlichen Testosteronspiegels durchzuführen. «Hell, no!», antwortete sie auf diese Forderung.
Was tun mit DSD-Athletinnen? Wie ist die Chancengleichheit im Frauensport zu gewährleisten? Einfache Antworten gibt es bei dieser Problematik nicht. Der Internationale Leichtathletikverband (World Athletics) prescht nun aber zusammen mit World Boxing vor. Seit dem 1. September müssen sich alle Leichtathletinnen und Boxerinnen einem einmaligen Geschlechtertest unterziehen, der das sogenannte SRY-Gen nachweisen kann, das Teil des Y-Chromosoms ist und die Entwicklung männlicher Merkmale bewirkt. Positiv Getestete bekommen Startverbot und müssen weitere medizinische Abklärungen treffen.
Unnötige Hektik vor WM-Start
Patrik Noack (51), Leiter des Medical Teams von Swiss Athletics, der diese Bluttests zusammen mit dem Zentrum für Labormedizin in St. Gallen für die Schweizer Leichtathletinnen organisiert hat und jetzt mit dem Team an der WM in Tokio weilt, kritisiert die kurze Umsetzungszeit: «Die Kurzfristigkeit ist ein Problem, weil die rechtliche Situation von Gentests je nach Land unterschiedlich sein kann. In einigen Ländern mussten zuerst Rechtsgutachten gemacht werden. Auch die Laborkapazitäten sind nicht überall gleich hoch wie in der Schweiz. Zudem braucht es ein umfassendes Beratungsangebot für die Athletinnen. Das alles nimmt Zeit in Anspruch. Man hätte das auch weniger hektisch per 1. Januar 2026 einführen können.»
Die Kosten für einen Test belaufen sich auf etwa 250 Franken. Swiss Athletics hat diese übernommen, andere Länder wälzen den Betrag auf die Sportlerinnen ab. Wie das künftig in der Schweiz gehandhabt wird, muss erst noch diskutiert werden. Noack sagt: «Wir wollten die Athletinnen so kurz vor der WM nicht noch mit diesem Problem belasten.»
Positive Rückmeldungen
Die Schweizerinnen haben diese Testpflicht durchwegs zustimmend aufgenommen. «Für mich war es kein Problem, einen DNA-Test zu machen. Es ist eine neue Regel, und wir müssen sie befolgen», sagt 800-Meter-Läuferin Audrey Werro (21).
Ähnlich klingt es bei den Kambundji-Schwestern. Ditaji sagt: «Grundsätzlich bin ich für einen fairen Sport. Wenn das die Anforderungen von World Athletics sind, dann halte ich mich daran und habe den Test selbstverständlich gemacht.» Und Mujinga: «Ich finde es gut, dass nun dadurch der Frauensport geschützt wird. In der Leichtathletik ist der Unterschied zwischen Mann und Frau enorm.»
Es gibt auch andere Stimmen. Die deutsche Olympiasiegerin und Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo (31) kritisiert die kurzfristige Einführung der verpflichtenden Gentests als «als juristisch fragwürdig, ethisch heikel und wissenschaftlich verkürzt». Patrik Noack findet, dass man mit diesem Test «einen Schritt vorwärtsmacht, zumindest, was die Fairness anbelangt».
Aber er sieht auch den ethischen Aspekt. «Es werden weltweit vielleicht zehn bis zwanzig Athletinnen positiv getestet, die davon zuvor keine Ahnung hatten. Gerade bei solchen Fällen kommt der beratenden Begleitung und Unterstützung grosse Bedeutung zu.»
Für positiv getestete Athletinnen muss das nicht das Ende der Sportkarriere bedeuten. Es gibt Ausnahmen. Noack hat von einem Fall aus dem Ausland gehört, wo eine Athletin, die das SRY-Gen hat, von World Athletics nach sorgfältigen Abklärungen seit fünf Jahren eine Ausnahmebewilligung bekommt. Diese Athletin hat erhöhte Testosteronwerte, die im Körper aber nicht reagieren (Androgen-Insensivitäts-Syndrom). Sie hat trotz SRY-Gen keine körperlichen Vorteile und darf an der WM starten.
Was passiert 2028 in Los Angeles?
Gäbe es im Schweizer Team einen positiven Fall, würde der Name nicht veröffentlicht, weil das nicht mit dem Persönlichkeitsschutz vereinbar wäre. Man kennt die dramatischen Fälle aus der Vergangenheit, wo Athletinnen mit Beschimpfungen und Anfeindungen konfrontiert wurden. Die frühere indische Mittel- und Langstreckenläuferin Santhi Soundarajan (44) etwa, deren Silbermedaille bei den Asienspielen 2006 nachträglich aberkannt wurde, da sie als Fall von weiblichem Hyperandrogenismus (körperlicher Überproduktion männlicher Hormone) in einem Geschlechtsbestimmungstest nicht als Frau klassifiziert wurde. 2007 versuchte sie sich das Leben zu nehmen.
Bei Olympia 2024 löste die Boxerin Imane Khelif ebenfalls eine heftige und hasserfüllte weltweite Diskussion aus, als bekannt wurde, sie sei vor den Spielen bei einem Test des umstrittenen Boxverbands IBA durchgefallen, was nie belegt wurde. Das IOC zweifelte das weibliche Geschlecht der Algerierin nicht an und zog ein Startverbot gar nicht in Betracht. Gegen Khelif waren die Gegnerinnen chancenlos.
Was folgte, glich einer digitalen Lynchjustiz. Die Olympiasiegerin wurde zum Politikum. So befeuerten beispielsweise der Tech-Milliardär Elon Musk («Männer haben im Frauensport nichts zu suchen») und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni («Wir müssen das Recht der weiblichen Athleten schützen») die Diskussion. Selbstverständlich auch Donald Trump, der höhnisch applaudierte: «Sie hat die Goldmedaille gewonnen, wir haben alle gesehen, dass er gewonnen hat.» Khelif reichte später Strafanzeige wegen Cybermobbings ein.
Per Dekret hat der US-Präsident inzwischen festgelegt, dass es in den USA nur noch zwei Geschlechter geben soll, männlich und weiblich, nichts dazwischen. Er will Transmenschen vom Sport ausschliessen und hat für die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles bereits «sehr, sehr strenge Geschlechtertests» angekündigt, die er dem IOC auferlegen will.
Ziehen andere Verbände nach?
Die neue IOC-Präsidentin Kirsty Coventry, die am 16. September 42 wird, erklärte den Schutz der weiblichen Kategorie zur Priorität, und zeigte sich offen für die Anwendung des SRY-Tests in allen Sportarten. Allerdings delegierte das IOC die Handhabung an die internationalen Verbände. Jeder Verband solle im Rahmen der vorgegebenen Leitplanken weiterhin seine eigenen Regeln aufstellen können.
Sportarzt Noack glaubt, dass der Test, wie er nun für die Leichtathletik gilt, Signalwirkung haben wird. «Ich denke, dass bei den Sportarten, wo ein erhöhter Testosteronwert einen klaren Leistungsunterschied macht, diese Kontrollmethode bald flächendeckend eingeführt wird.»
Ob das die goldene Lösung des Problems ist, das den Frauensport seit den Sechzigerjahren durchschüttelt? Der frühere Mittelstreckenläufer Noack wiegelt ab: «Das muss sich noch herausstellen.» Mujinga Kambundji gibt zu bedenken: «Es ist mega schwierig, eine Lösung zu haben, die zu 100 Prozent für alle stimmt.»
Wäre eine zusätzliche Kategorie eine Alternative? Der Internationale Schwimmverband (World Aquatics) hatte 2023 beim Weltcup in Berlin eine dritte offene Kategorie eingeführt, um trans- und intergeschlechtliche Sportler zu inkludieren. Es blieb beim guten Willen, denn es hat sich wenig überraschend niemand geoutet und für diese Kategorie eingetragen.