Mit ihrem grandiosen Lauf zu WM-Gold verewigte sich Ditaji Kambundji (23) als erste Weltmeisterin in der Geschichte der Schweizer Leichtathletik. Aber der Hürdensprint-Coup von Tokio ist auch aus einem anderen Grund besonders geschichtsträchtig in der Schweiz. Auch bei Sportartikelhersteller On geht dieser September-Montag als Meilenstein in die Annalen ein. Der Grund: Kambundji ist die erste Leichtathletik-Outdoor-Weltmeisterin überhaupt in Schuhen der Zürcher Firma.
Mitgründer Olivier Bernhard sagt zu Blick: «Didi hat mit ihrem Goldlauf in Tokio ein ganzes Land verzaubert – und uns bei On riesig stolz gemacht. Die Stimmung im Stadion war einfach unglaublich. Wir haben 15 Jahre auf diesen Moment gewartet – und nur 15 Minuten später konnten wir die nächste Goldmedaille feiern. Das zeigt, was passiert, wenn Athlet:innen und Schweizer Ingenieurskunst mit Leidenschaft und Herzblut zusammenfinden.»
Eine Schweizerin in Schweizer Schuhen ganz oben
Dazu muss man wissen: Kambundji ist die erste Frau und die erste Sprint-Vertreterin – denn keine 20 Minuten vor ihr läuft in Tokio der Neuseeländer Geordie Beamish (28) im Steeple-Rennen zu Gold. Auch in On-Schuhen. Doch für das eigentlich international aufgestellte Unternehmen ist es verrückt, dass ausgerechnet eine Schweizerin für die Premiere sorgt. «Die Verpflichtung von Ditaji war ein klares Bekenntnis zum Heimmarkt Schweiz», sagt Flavio Calligaris dazu, noch etwas müde vom Jetlag, er ist erst am Vorabend spät aus Tokio zurückgekehrt.
Calligaris empfängt Blick in einem Übergangsbüro im Nebengebäude – On baut sein Hauptquartier in Zürich einmal mehr um und aus. Mit steten Veränderungen kennt sich der Ostschweizer aber bestens aus. Er ist «Senior Director of Athlete Strategy & Partnership», auf gut Deutsch Athleten-Chef. Calligaris leitet ein Team von 26 Personen, das sich um die Athletinnen und Athleten kümmert, die beim Ausrüster unter Vertrag sind.
Es sind mittlerweile hunderte, die sich auf die Sparten Bahn, Strasse, Triathlon, Tennis und Trailrunning aufteilen. «Nun an der WM in Tokio haben wir bereits 63 Sportler:innen am Start. Vor zwei Jahren waren es noch 38», schildert Calligaris.
Nun war es ausgerechnet die einzige Frau im Schweizer Aufgebot (der einzige Mann ist Dominic Lobalu), die der Schweizer Marke den ersten WM-Titel im Sprint bescherte. Denn als On von einem Start-up der drei Gründer David Allemann, Olivier Bernhard und Caspar Coppetti verblüffend schnell zu einem grossen Player wuchs, passierte das vor allem auf Basis der klassischen Laufschuhe.
Doch Schuhe für Sprints auf der Bahn sind eine andere Welt. Nicht nur wegen der Spikes, also den Nägeln in den Sohlen. «Vor vier Jahren, als ich hier angefangen habe, hatten wir noch kein Produkt mit echter Glaubwürdigkeit im Spitzensport», schildert Calligaris. Auch deshalb gab es letzten Winter hochgezogene Augenbrauen in der Szene, als Kambundji von Puma zu On wechselte. Der Tenor: Sind diese Schuhe überhaupt gut genug für die Weltklasse?
Doch Kambundji testete die Produkte zunächst im Geheimen, ehe sie sich für einen langfristigen Vertrag entschied. Die Weltmeisterin zu Blick: «Ich habe schnell gemerkt, dass es passt. Schon im März konnte ich an der Hallen-EM den ersten Titel mit den neuen Spikes holen. Es ist cool, eine Schweizer Marke zu repräsentieren.»
On redete mit Kambundji bereits über Jobs nach der Karriere
In der Sportszene ist es ein schlecht gehütetes Geheimnis, dass On bei der Athletenanwerbung auch mal üppige Gagen bietet. Auch bei Kambundji? Athletenboss Calligaris: «Natürlich muss das Finanzielle immer für beide Seiten stimmen. Viel wichtiger ist uns jedoch eine ganzheitliche Zusammenarbeit. Etwa ein gemeinsames Markenverständnis, das Interesse für die Produktentwicklung oder Optionen, über die aktive Karriere hinaus zusammenzuarbeiten.»
Was alle Beteiligen betonen: Die enge Zusammenarbeit mit den Sportlerinnen und Sportlern sei aussergewöhnlich. Kambundji und Co. werden in die Entwicklung der Serienmodelle eingebunden, eigene Prototypen für einzelne Sportler sind reglementarisch gar nicht erlaubt. Die Bernerin sagt: «Der Austausch ist sehr speziell, wir arbeiten extrem nahe und extrem direkt zusammen. Ich spüre, dass meine Meinung wichtig ist.»
Video-Call nach Tokio. Dort sitzt Jaime Garcia Romo einen Kilometer vom Nationalstadion entfernt in der On-Hospitality. Das ist der Ort, den die Zürcher für seine WM-Läuferinnen und -Läufer als Wohlfühloase eingerichtet hat.
Garcia Romo sagt: «Wir sind nicht hier, um den Athleten ein Paar Schuhe zu überreichen und zu sagen: Jetzt läuft damit und gewinnt Rennen. Wir wollen eine echte Partnerschaft und einen engen Austausch mit ihnen. Das haben wir auch Didi am Anfang gesagt.»
Die Zürcher reisen Kambundji ins Trainingslager hinterher
Der frühere Mittelstreckenläufer aus Spanien kam vor drei Jahren von Nike zu On und ist als Athleten-Produktverantwortlicher das Bindeglied zwischen den Sportlern und der Denkfabrik daheim. Garcia Romo filtert die Meinungen und Wünsche, dann geht er in Zürich damit auf die hauseigenen Designer, Sportwissenschaftlern und so weiter zu.
Garcia Romo und seine Leute reisen deshalb den Athletinnen und Athleten hinterher. «Wir wollen die Eindrücke direkt im Training abholen», schildert er. Als etwa Kambundji im Frühling im Trainingslager in Belek weilt, ist auch Garcia Romo in der Türkei. Es wird an zukünftigen Modellen herumgetüftelt. «Didi ist begeistert davon, dass ihr Feedback die zukünftige Profi-Linie prägen wird», so der Spanier und berichtet über die denkwürdige Nacht in Tokio: «Ihr Titel war sehr emotional für das ganze Team, denn hinter dem Schuh steckt jede Menge Arbeit.»
Wohlgemerkt: An ihrem Schuh vom Goldlauf hat Kambundji nicht selber mitgewirkt, dafür ist sie noch zu wenig lange unter Vertrag. Ihre Tüfteleien mit Garcia und Co. betreffen die Zukunft, die Vorlaufzeiten sind lang, bis Verbesserungen in die Serienproduktion gehen. Garcia: «Für unsere Arbeit ist Los Angeles 2028 nicht mehr weit weg.»
Nicht gerade unwahrscheinlich, dass dann On auch den ersten Leichtathletik-Olympiasieg feiern kann. Calligaris schildert, dass sich immer mehr Athletinnen und Athleten nach den Schweizer Schuhen erkundigen. Und immer mehr Athletinnen und Athleten kaufen sich die On-Spikes, auch wenn sie keinen Ausrüstervertrag haben. Wie an der WM die Fribourger 800-Meter-Läuferin Veronica Vancardo (24).