Schiri-Boss Wermelinger zur VAR-Problematik in der Schweiz
1:29
«Machten Fehler in Volketswil»:Wermelinger zur VAR-Problematik in der Schweiz

Warnung von Blick-Experte Urs Meier
«Der Schiri ist nur noch da, um zu moderieren»

Urs Meier ist Buchautor, Dozent und vor allem scharfzüngiger Schiedsrichterexperte von Blick. Der frühere Top-Referee befürchtet, dass die nächste Generation der Spielleiter vom VAR immer mehr in eine Nebenrolle gedrängt werden.
Publiziert: 13.06.2025 um 07:07 Uhr
|
Aktualisiert: 13.06.2025 um 07:26 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/8
Schiedsrichterexperte Urs Meier gefällt die Tendenz in seiner Branche nicht: «Es wird viel zu lange gewartet, bis ein Signal kommt, bis die Technik hilft.»
Foto: TOI

Darum gehts

  • Kritik am VAR-System: Schiedsrichter sollen selbst entscheiden
  • Ex-Schiri Urs Meier fordert mehr Spielverständnis und Mut zur Entscheidung
  • Meier lobt François Letexier, 36, für seine Leistung am EM-Final über den Klee
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Schoch&Raz07.jpg
Sven SchochReporter Sport

Von einem schwärmt der frühere Topschiedsrichter Urs Meier (66) ohne das geringste Zögern: «Schaut mal, wie François Letexier den letzten EM-Final gepfiffen hat. Er übernimmt Verantwortung, er kämpft um seine Position auf dem Feld. Der Franzose tut, was wir früher auch gemacht haben: Er entscheidet.» Experte Meier findet, der 36-Jährige verkaufe seine Entscheide auch gut, «weil er auf dem Feld kommuniziert». Bei vielen Berufskollegen von Letexier vermisst Meier den Mut, sich innerhalb von Sekundenbruchteilen für Schwarz oder Weiss zu entscheiden: «Es wird viel zu lange gewartet, bis ein Signal kommt, bis die Technik hilft.»

Eigentlich ist es paradox: Wohl nie zuvor seit Einführung des Profi-Fussballs ist mehr kommuniziert worden als in der letzten Saison. Die Vernetzung mit dem Video Assistant Referee (VAR) in der TV-Produktion ist enger denn je. Vor Ort findet ebenfalls ein ständiger Austausch statt. Das Kopfkino der Spielleiter wird immer komplexer, die Absprachen werden intensiver. Das Bildmaterial ist umfassender, der Anspruch zur perfekten Auflösung der Szenen wird grösser. Man könnte auf die Idee kommen, die Weltfussballbehörde Fifa strebe den klinisch reinen Fussball an – und die nationalen Profi-Ligen haben dem internationalen Takt zu folgen. 

«Die Zuschauer erwarten beim VAR eine Null-Fehler-Kultur. Das ist zwar nachvollziehbar, aber man kann sie nie erbringen. Wir haben es nicht richtig eingeschätzt», gesteht Daniel Wermelinger im Rahmen eines Round-up-Gesprächs ein. Der Ressortchef der Schweizer Spitzenschiedsrichter beschäftigt sich in der Saisonanalyse intensiv mit dem VAR. Ihm schwebt ein einheitlicher Kurs vor, «eine rote Linie, eine Unité». Von nicht klaren Videosequenzen solle man künftig die Finger lassen, gibt Wermelinger die Doktrin vor. 

Meiers Schiri-Herz blutet

«Die Referees im Stadion sollen entscheiden.» Wermelinger denkt in diesem Punkt gleich wie Kritiker Meier. Die Entwicklung, der Trend, sich vermehrt auf die Aussensicht abzustützen, benennt Urs Meier, der sieben Champions-League-Halbfinals und 2002 ein Endspiel geleitet hat, ohne Umschweife: «Es gibt systembedingt eine verschiedene Linienwahl. Zwei vom gleichen Fach beurteilen sich gegenseitig. Der Schiri vor Ort lässt es laufen, der VAR findet: Das schauen wir uns an. Es ist nichts klar, dabei braucht es Berechenbarkeit. Im Autofahren vertraue ich dem Airbag zu 100 Prozent. Beim VAR weiss man nie. Wäre es ein Produkt auf dem freien Markt, hätte man es längst aus dem Regal genommen, weil es nicht funktioniert.»

Meier fordert mehr Spielverständnis: «Viele atmen den Fussball nicht mehr, dann kommt es zu nicht nachvollziehbaren Pfiffen. Man muss spüren und wissen, was passiert.» Der generell spürbare Hang, die VAR-Haltung noch mehr einfliessen zu lassen und auch das Bestreben der Fifa, im Rahmen eines Projekts mit der ETH dereinst KI-basierte Lösungen zu entwerfen, zielt in eine andere Richtung. Meier blutet das Schiedsrichterherz: «Ich kann mir vorstellen, dass wir in zehn Jahren keine Assistenten mehr haben und der Schiedsrichter nur noch da ist, um auf dem Rasen zu moderieren.»

Der Kampf um die Deutungshoheit könnte zum Systemkiller werden. Die Wahrheit auf dem Platz steht jener der Interpretation der TV-Bilder gegenüber. Meier, früher während 15 Saisons in der Super League aktiv und später jahrelang Vorsitzender der Schiedsrichterkommission SFV, befürchtet eine weitere Entwertung der Spielleiter: «So verläuft der Weg. Das alles wieder umzukehren, wäre mit einem enormen Verlust von Zeit verbunden. Das wird schwierig sein.»

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?