Uli Forte spaziert zielsicher durch das Winterthurer Kantonsschulhaus Im Lee, ein Monument der preisgekrönten Architekturgebrüder Pfister aus den 1920er-Jahren: «Der legendäre Brunnen im Schulhaus. Die Biologie-Zimmer, da ist der Sporttrakt. Alles wie früher!» Piekfein, gepflegt, Türen mit silbernen und goldenen Manschetten. Der FCW-Trainer strahlt und schnappt sich im Musikzimmer ein paar Drumsticks und überrascht mit einer Einlage am Schlagzeug: «Hammer, das wäre mein Instrument gewesen.»
Die Kraft der Worte, der Bilder. Darauf setzt Forte seit Jahren. Er hat früh in seinem Leben auch dem intellektuellen Teil viel Platz eingeräumt. Beim FC Brüttisellen drehte sich bei ihm im Teenageralter ebenfalls nicht alles um den Ball. Als stolzer Gymi-Schüler saugte der passionierte Kicker auf, was ihm viel später zur Einordnung von Abläufen im Profi-Fussball hilft: «Es war ein entscheidender Lebensabschnitt.»
Rund drei Jahrzehnte und tausend Erfahrungen später sitzt Uli Forte wieder im eindrücklichen Gebäude an der Rychenbergstrasse 140. Im Gespräch mit Blick schweift der Sohn italienischer Einwanderer zurück «in eine superschöne Zeit. Ich habe hier viele Freunde gefunden. In diesem Schulhaus wirst du geformt, gefördert und gefordert. Ich habe eine Allgemeinbildung genossen, die jeder Jugendliche erhalten müsste.» Sein Vater habe darauf gepocht, dass sich der Sohn seriös auf die Prüfungen vorbereitet: «Er sagte mir immer, dass der Fussball mir nicht das tägliche Brot bringen werde.» Erst nach dem Cupsieg mit GC habe Forte senior seine Meinung revidiert.
Als Schüler reihenweise Bücher verschlungen
Als Teenager ist die Kantonsschule Fortes Mittel- und Kraftpunkt: «Als Fussballer war ich hier manchmal ein bisschen der Aussenseiter und hangelte mich von Prüfung zu Prüfung. Ich erinnere mich noch, wie mich Red-Star-Sportchef Heinz Kost jeweils am Samstag direkt nach der Schule zum Sportplatz chauffierte.» Der Rektor habe ihm Freiheiten gewährt, die er mit Einsatz und Empathie verdankte: «Ich war in der Klasse einer, der versucht hat, alle Gruppen zu vereinen. Ich war immer schon ein integrativer Mensch.»
Ist Forte fernab der Rasenfelder zum Unaufhaltsamen geworden, als den er sich manchmal selber betiteln würde? Er habe gelernt, einen eigenen Weg einzuschlagen und ihn nach aussen zu vertreten. «Viel geht bei mir über die Sprache. Mir bringt es heute noch viel, dass ich als Schüler reihenweise Bücher verschlungen habe. Es war für mich immer ein guter Ausgleich, um etwas Distanz vom Sport zu gewinnen. Wenn du nichts anderes hast, kann es schwierig werden.»
Hinter Uli Forte liegen energieraubende Wochen, eine sportliche Herausforderung mit lange offenem Ausgang. «Die wichtigsten fünf Monate meiner Laufbahn? Das wird sich in der Zukunft weisen. Ich habe etwas riskiert, es war von einem Himmelfahrtskommando die Rede. Viele dachten: Der Uli steigt eh wieder ab.» Fortes Einblick lässt erahnen, welche Themen in den letzten Monaten die eigene Gemütslage beeinflusst haben. Verbiegen lassen habe er sich nie, «ich musste meiner Linie treu bleiben».
Forte schaffte, was dem FC Winterthur im düsteren Winter nahezu kein Experte mehr zugetraut hat: den Verbleib des Klubs in der Super League. Wenn man monatelang um die Existenz spielt, sich Runde für Runde aufreibt, schwierige interne Gespräche führt, hilft ein offener Geist. «Mein Selbstvertrauen hängt nicht von einem gewonnenen oder verlorenen Spiel ab. Das muss von anderen Faktoren kommen», sinniert Forte im alten Schulzimmer, in dem alles angefangen hat. «Sich nur über das Training, über den verpassten Torschuss zu definieren, ist auf Dauer schwierig.»
Bruder als harter Kritiker
Er vermittle auch seinen Spielern immer wieder die gleiche Botschaft: «Das Selbstbewusstsein eines Menschen darf nicht mit solchen Details korrespondieren. Es muss etwas Grösseres, Stabileres, Fundamentaleres sein! Freunde, Familie oder andere Bezugspunkte. Solche Dinge müssen einen ausmachen.» Für Uli Forte selbst ist sein Bruder Alfredo eine zentrale Anlaufstelle: «Er ist ein treuer Begleiter und ein harter Kritiker, der mir immer mal wieder den Spiegel vorhält.»
Der eloquente Super-League-Coach kennt die Mechanismen innerhalb der Spitzensportbranche: «Je höher man im Job aufsteigt, desto weniger sagt dir jemand ehrlich die Meinung. Dabei brauchst du jemanden, der dir reinen Wein einschenkt. Mein Bruder ist so einer.» So tickt der frühere Gymnasiast, der in Winterthur die Vergangenheit mit der Gegenwart vereint hat und auch in Zukunft den «Lee»-Geist leben will.