Darum gehts
Ein ganz klein wenig Freude könnte da ja schon sein. Oder zumindest ein bisschen Genugtuung. Schliesslich wehrt man als Goalie nicht jeden Tag einen Elfmeter einer zweimaligen Weltfussballerin auf der ganz grossen Bühne ab. Aber Livia Peng (23)? Die lässt das an diesem Freitag reichlich kalt.
Es ist kurz vor Mitternacht, als sie im Bauch des Wankdorfstadions vor die Medien tritt. Über ihre Parade gegen die Spanierin Alexia Putellas (31) meint sie lapidar: «Am Ende hilft es auch nicht viel. Das einzige Ziel, das wir hatten, war weiter zu kommen.» Und das haben die Schweizerinnen mit dem 0:2 gegen die Weltmeisterinnen verpasst.
Sie bereitete sich aufs Penaltyschiessen vor
An Peng liegt es nicht, dass die Sensation ausgeblieben ist. Sie wehrt Claudia Pinas (23) Freistoss vor der Pause im Flug ab. Sie hält sich bei Putellas' Penalty an den Plan, den sie sich für das Elfmeterschiessen zurechtgelegt hat. Denn natürlich war der Glaube an die eigenen Fähigkeiten so gross, dass sich die Schweizerinnen auf einen möglichen Showdown vorbereitet haben.
Vor allem aber ist Peng ein Anker, der der Schweizer Defensive im spanischen Sturm und Drang Halt verleiht. Ihre ruhige Ausstrahlung fällt schon zum Turnierbeginn trotz eines Patzers gegen Norwegen ins Auge. Danach hat sie während der Euro von Spiel zu Spiel noch mehr an Postur gewonnen. Und möglicherweise hat sie sogar etwas von Norwegens Cecilie Fiskerstrand (29) mitgenommen. Von jener Torfrau, über die sich die Schweizerinnen beim Auftakt so sehr aufgeregt haben. Weil sie sehr gekonnt etwas Zeit von der Uhr nehmen kann, wenn das eigene Team gerade eine Verschnaufpause braucht.
Peng ist an diesem Turnier in eine Rolle gewachsen, von der sie lange nicht wusste, ob sie sie überhaupt spielen darf. Erst kurz vor dem Turnier hat sie erfahren, dass sie die Nummer 1 sein darf. Das Trainerinnenteam hat lange beratschlagt, ob Peng die Richtige sein kann für diese Heim-EM. Nun haben sie Gewissheit: Ja, sie haben richtig entschieden.
Und Peng weiss jetzt, dass sie genau das will, was sie an der Euro erlebt hat: Matches unter Druck, in vollen Stadien. «So macht es einfach extrem viel Spass, Fussball zu spielen», sagt sie, «für genau solche Momente haben wir alle doch als Fünfjährige mit Fussball angefangen.»
In ihrem neuen Klub ist die Konkurrenz riesig
Natürlich hofft sie, dass die Welle, auf der die Nati gerade geritten ist, nicht so schnell abebbt. Oder besser – sie erwartet es: «Ich glaube definitiv, dass etwas hängenbleibt. Wir haben uns gegenseitig angesteckt, das Team und die Schweiz. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Land so hinter einem Team steht.»
Und Peng selber kann vielleicht etwas von der Euphorie mit in ihren neuen Klub nehmen. Chelsea hat derzeit gleich vier Goalies unter Vertrag. Die englische U19-Nationaltorhüterin, Hollands U20-Goalie, Jamaikas Nationalgoalie, Englands Nationalgoalie – und neuerdings Livia Peng, die aktuelle Nummer 1 der Schweiz. Der Konkurrenzkampf ist riesig. Aber Peng weiss jetzt ja, dass sie in solchen Situationen bestehen kann.