Selten schlägt ein Interview eines Goalietrainers derart hohe Wellen. Die Reaktionen auf die heiklen Aussagen des Ungarn Zsolt Petry gipfeln in einem Nazi-Vergleich von Gergely Gulyas, dem Stabschef von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. Ausserdem bestellt Ungarn einen deutschen Botschafter in Budapest ein. Was ist passiert?
Aussagen zu Migranten und Homosexuellen führen zur Entlassung
Am Ostermontag veröffentlicht die ungarische Tageszeitung «Magyar Nemzet» ein Interview mit Petry, der zu diesem Zeitpunkt noch Goalietrainer bei Bundesligist Hertha Berlin ist. Zuerst geht es um Fussball – dann um Politik. Das Thema? Leipzig-Star und Ungarn-Nationalgoalie Peter Gulacsi (30) setzt sich für eine Kampagne ein, die homosexuellen Paaren die Adoption erlauben soll. Petry, von 1988 bis 1996 ebenfalls Nationalgoalie, nimmt Gulacsi zuerst in Schutz («Er verteidigt nur seine Ideen, es ist inakzeptabel, jemanden dafür zu verurteilen»), sagt dann aber: «Was hat Peter dazu veranlasst, schwule, trans- und andere geschlechtliche Identitäten zu unterstützen? Ich weiss es nicht.»
Als Petry darauffolgend gefragt wird, ob er ein Anhänger des konservativen Lagers sei, holt er aus: «Ja, das bin ich. Ich verstehe nicht, wie Europa moralisch so tief fallen konnte.» Ein weiterer Teil seiner Antwort: «Wenn man die Einwanderung missbilligt, weil eine beängstigende Masse von Übeltätern nach Europa strömt, wird man sofort als Rassist gebrandmarkt.»
Wegen diesen Äusserungen entlässt die Hertha Berlin ihren Goalietrainer Zsolt Petry am Dienstag. Im Gegensatz zur Politik danach äusseren sich beide Parteien respektvoll. Die Hertha sagt trotz Entlassung: «Man erlebte ihn stets offen, tolerant und hilfsbereit.» Petry respektiert die Entscheidung und stellt klar: «Ich möchte betonen, dass ich weder homophob noch fremdenfeindlich bin. Meine Aussage zur Einwanderungspolitik bedaure ich sehr.»
Ungarn reagiert mit Nazi-Vergleich
Gegessen ist das Thema längst nicht. Denn die Politik springt auf. Ungarns Aussenministerium nimmt am Donnerstag zur Entlassung Stellung: «Das schränkt die freie Meinungsäusserung ein.» Einen Schritt weiter geht Gergely Gulyas, der Stabschef von Ungarns Ministerpräsident Orban: «In einem Rechtsstaat kann man für eine Meinungsäusserung nicht bestraft werden. Ein totalitäres Regime startete in Deutschland im 20. Jahrhundert. Wir wollen im 21. Jahrhundert nicht nochmals eines sehen.»
Das Auswärtige Amt in Berlin versteht die Welt nicht, sagt auf Anfrage von «AFP»: «Die Äusserungen sind für uns in keiner Weise nachvollziehbar, das hat der Geschäftsträger im Gespräch auch der ungarischen Regierung mitgeteilt. Die Anspielungen auf den Nationalsozialismus weisen wir in aller Deutlichkeit zurück.»
Im Interview sagte Goalietrainer Petry, dass er sich an der Stelle von Star-Goalie Gulacsi lieber auf den Fussball konzentriert und keine Stellung zu politischen oder gesellschaftlichen Themen bezogen hätte. «Ich würde den Job machen, den mein Verein und die ungarische Nationalmannschaft von mir erwarten.» Genau das ist jetzt ihm statt Gulacsi zum Verhängnis geworden. (str)