Diese Legende soll der nächste Nati-Trainer werden
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Häberli wählt grossen Namen:Diese Legende soll der nächste Nati-Trainer werden

Häberli lebt und coacht das Projekt Servette
«Die Deutschschweiz betrachtet uns als Selbstbedienungsladen»

Thomas Häberli (51) und das Projekt Servette. Der Ex-Nationalcoach von Estland will im engen Verbund mit Sportchef René Weiler eine neue Geschichte schreiben und den Exodus von Talenten stoppen. Mit Blick taucht er tief ein in die komplexe Genfer Materie.
Publiziert: 04.05.2025 um 12:41 Uhr
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Aktualisiert: 04.05.2025 um 12:56 Uhr
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«Und wenn ich etwas durchziehen will, dann mache ich das ohne Wenn und Aber. Verbiegen lasse ich mich nicht», sagt Servette-Coach Thomas Häberli zu Blick.
Foto: TOTO MARTI

Darum gehts

  • Thomas Häberli wird Servette-Trainer nach Anruf von René Weiler
  • Häberli und Weiler haben ähnliche Auffassungen in Kommunikation und Führung
  • Servette verlor in letzten Jahren mehrere Talente wie Boteli und Manzambi
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sven SchochReporter Sport

Im Juni vor einem Jahr sitzt Thomas Häberli (51) in Tallinn und macht sich nach dem Ende seiner rund dreieinhalbjährigen Amtszeit als Nationalcoach von Estland grundsätzliche Gedanken: «Soll ich noch bleiben? Wollen wir aus dem Haus ausziehen? Wie geht es nun weiter in meinem Leben?» Dann klingelt das Telefon. Am anderen Ende der Leitung: René Weiler. Wenige Tage zuvor hat der Zürcher Servette im Cupfinal zur ersten Trophäe seit 23 Jahren geführt. Und zur Verwunderung Häberlis bietet er ihm den Trainerjob an. Weiler selber zieht sich zurück, wird Sportdirektor. 

«Es ruft immer jemand an», sagt Häberli schmunzelnd im Gespräch mit Blick und gibt zu: «Dass es René sein würde, damit hatte ich natürlich nicht gerechnet. Er kontaktierte mich als erfolgreicher Coach und fragte, ob ich übernehmen wolle. Das war schon sehr speziell.» Der Luzerner seinerseits war abseits der Komfortzone engagiert und nicht mehr auf dem Radar der Schweizer Klubchefs. 2021 sucht Häberli nach über einer Dekade Knochenarbeit im Nachwuchs von YB, Basel und einem Super-League-Intermezzo beim FC Luzern ein neues Abenteuer, eine persönliche Frischluftzufuhr: «Ich wollte nicht einfach irgendeinen weiteren Job abstottern.» Im Osten Europas wird er fündig. «Ich ging hin und mit dem Kopf durch die Wand. Nach ein paar Monaten des Wahnsinns fragte ich mich: Was genau hast du hier eigentlich verloren?»

Dank den Stiftungs-Millionen tickt die Servette-Uhr wieder

Die Stadt Genf ist ein schwieriges Fussball-Pflaster. Am Lac Léman schwingt die Nostalgie der gloriosen Zeiten um die früheren Maestros Lucien Favre und Karl-Heinz Rummenigge mit, aber eben auch die Angst, wieder kolossal abzustürzen wie einst unter dem französischen Ex-Agenten Marc Roger oder den masslos wirtschaftenden Präsidenten Majid Pishyar und Hugh Quennec. 

Erst Monsieur Didier Fischer hat die Servette-Lage nach dem Aufprall in der Drittklassigkeit nachhaltig beruhigt. Mit seiner Fondation 1890 beseitigt der in wohlhabenden Kreisen exzellent vernetzte Winzer seit bald zehn Jahren die chronischen Defizite der Fussball-Abteilung – im abgelaufenen Jahr schoss er gegen 17 Millionen Franken ein. Wer die Stiftung von Präsident Fischer alimentiert, ist offiziell nicht bekannt. Die Nähe zur Fondation Hans Wilsdorf, welche den Gewinn des Milliarden-Unternehmens Rolex verwaltet, ist allerdings ein offenes Geheimnis. Gegen 300 Millionen schütten die Hans-Wilsdorf-Räte jährlich aus – für Genfer Projekte und Einrichtungen; der lokale Sportverein ist nur einer von vielen Bittstellern. 

Fischer hält sich nach Möglichkeit vornehm im Hintergrund. Seine diplomatische Zurückhaltung ist Teil des Modells. Ihm geht es primär darum, die stolze Institution Servette vor weiteren Insolvenzen und Imageschäden zu bewahren: «Was den Sport angeht, haben die Jugendlichen hier für ein paar Jahre ihre Identität verloren.» Der Wind hat inzwischen gedreht: Fischer hat auf der Chef-Etage angesehene Persönlichkeiten installiert; im Sport garantiert Direktor René Weiler für seriöse Geschäftspraktiken.

Die Stadt Genf ist ein schwieriges Fussball-Pflaster. Am Lac Léman schwingt die Nostalgie der gloriosen Zeiten um die früheren Maestros Lucien Favre und Karl-Heinz Rummenigge mit, aber eben auch die Angst, wieder kolossal abzustürzen wie einst unter dem französischen Ex-Agenten Marc Roger oder den masslos wirtschaftenden Präsidenten Majid Pishyar und Hugh Quennec. 

Erst Monsieur Didier Fischer hat die Servette-Lage nach dem Aufprall in der Drittklassigkeit nachhaltig beruhigt. Mit seiner Fondation 1890 beseitigt der in wohlhabenden Kreisen exzellent vernetzte Winzer seit bald zehn Jahren die chronischen Defizite der Fussball-Abteilung – im abgelaufenen Jahr schoss er gegen 17 Millionen Franken ein. Wer die Stiftung von Präsident Fischer alimentiert, ist offiziell nicht bekannt. Die Nähe zur Fondation Hans Wilsdorf, welche den Gewinn des Milliarden-Unternehmens Rolex verwaltet, ist allerdings ein offenes Geheimnis. Gegen 300 Millionen schütten die Hans-Wilsdorf-Räte jährlich aus – für Genfer Projekte und Einrichtungen; der lokale Sportverein ist nur einer von vielen Bittstellern. 

Fischer hält sich nach Möglichkeit vornehm im Hintergrund. Seine diplomatische Zurückhaltung ist Teil des Modells. Ihm geht es primär darum, die stolze Institution Servette vor weiteren Insolvenzen und Imageschäden zu bewahren: «Was den Sport angeht, haben die Jugendlichen hier für ein paar Jahre ihre Identität verloren.» Der Wind hat inzwischen gedreht: Fischer hat auf der Chef-Etage angesehene Persönlichkeiten installiert; im Sport garantiert Direktor René Weiler für seriöse Geschäftspraktiken.

Corona umschlingt die Welt, die Tage in Estland werden lang und einsamer. Die Familie hält den vierfachen Vater über Wasser: «Es braucht eine super Frau, die alles mitmacht, die weltoffen ist.» Und Häberli geniesst seinen Status immer mehr, liebt es, in Sachen Fussball ein ganzes Land zu vertreten. Er beginnt, tief in die Herausforderungen einzutauchen. Ihm wird klar, wie sehr der Krieg in der Ukraine im estnischen Alltag mitschwingt. Häberli erinnert sich an «stundenlange Debatten und gewaltige Emotionen. Die Geschichte wird dort an jedem Küchentisch besprochen, es gibt unheimliche Spannungen und Abgrenzungen, mit denen ich auch im Nationalteam zu tun hatte».

In Estland habe er auch ausserhalb der 36 Partien wichtige Momente aufsaugen können, sagt Häberli ein knappes Jahr nach dem Abschied. Die Eindrücke und Kontakte sind noch da. Seine Tochter schliesst im Juni in Studium in Tallinn ab. «Die Erinnerungen an den Schnee, an die trockene Kälte in der Stadt, die totale Ruhe am Abend. Herrlich, das bleibt ebenso wie die Leidenschaft der Menschen dort für den Sport. Eigentlich spielt es keine Rolle, wo du arbeitest. Es geht um die Passion, um die Qualität, um die Intensität der sozialen Beziehungen.»

Wenn man sich mit Häberli unterhält, ist eine gewisse Seelenverwandtschaft mit René Weiler nicht von der Hand zu weisen. Beide sind Macher ohne Berührungsängste. Menschen mit Haltung und Ideen. Touchiert haben sich die Wege der 51-Jährigen gleichwohl nur marginal. Vor über 20 Jahren hat sich der damalige St. Galler Sportchef Weiler für den früheren YB-Stürmer Häberli interessiert. «Ich kannte René eigentlich nicht, hörte nur die eine oder andere Story über ihn.» Aber Tratsch und Drama hätten ihn nie ernsthaft interessiert. «Ich habe René anders kennengelernt, als er beschrieben worden ist. 

Kein Blatt Papier zwischen Häberli und Weiler

Das Duo hat sich am Lac Léman sofort gefunden: «Seine Klarheit passt mir. Wir verstehen uns, weil wir eine ähnliche Auffassung haben, wie man intern und extern kommuniziert. Da passt kein Blatt Papier zwischen uns.» Die gegenseitige Akzeptanz ist spür- und hörbar: «Manchmal genügt ein gegenseitiger Blick: Ja, so machen wir es, und fertig.» Von einem Austausch «auf Augenhöhe» spricht Häberli. 

Dass der populäre Vorgänger sein Chef ist, schränkt Häberli nicht ein: «Ich bilde mir immer selber ein Urteil und habe meine eigene Meinung. Und wenn ich etwas durchziehen will, dann mache ich das ohne Wenn und Aber. Verbiegen lasse ich mich nicht, mein Daumen geht nach oben oder nach unten. René findet daran Gefallen.» Die Gewaltentrennung funktioniert in Genf, der Ex-Trainer Weiler hält sich an die ungeschriebenen Gesetze: «Er redet mir nicht rein, ich nicht bei ihm. Es gibt einen Konsens, weil René als Ex-Coach genau weiss, was geht und was nicht. Ich habe Vertrauen in ihn. Er weiss, was es braucht, damit ein Team funktioniert.»

Der seit bald zwei sehr guten Jahren wirkende Chef-Stratege Weiler vertritt Werte, die für Häberli stimmen. Und er kennt die Vorgaben, er weiss, wie gross die Erwartungshaltung nach der sehr guten letzten Servette-Saison mit dem europäischen Höhenflug und dem Gewinn der Cup-Trophäe ist. «Die Ergebnisse müssen dem Potenzial der Mannschaft entsprechen. Dabei musst du immer ehrlich sein zu dir und zum Umfeld, in den Spiegel schauen. Du darfst als Coach nie in die Spülmaschine geraten. Teil sein, aber nicht in der Emotion. Das ist die Kunst. Und manchmal tut es auch weh.»

«Nach wie vor eine Geschichte, die fragil ist»

Seit seiner Ankunft bei Servette hat Häberli die Basis Weilers gepflegt und das Genfer Rad nicht neu erfunden. Ihm sei klar gewesen, dass bei einer derart eingespielten Equipe primär Optimierungen ein Thema sein würden. Der Stamm blieb bestehen. «Es geht immer darum, die Balance zu finden – zwischen Unruhe schaffen und Kontinuität wahren. Das ist mir wichtig gewesen und auch gut gelungen.» Das Out im europäischen Wettbewerb sei angesichts der Gegner (Braga und Chelsea) verkraftbar. Nur das Scheitern im Cup gegen Schaffhausen war ein Rückschritt: «Oft sind wir nicht unter unser normales Niveau gefallen, da hingegen ist es passiert.»

In der Liga will Häberli zusammen mit Weiler die Genfer Organisation weiter etablieren und Perspektiven schaffen. Es gehe primär darum, auf verschiedenen Ebenen Strukturen zu schaffen, um den Top-Vereinen YB und Basel näher zu rücken. «Der eingeschlagene Weg ist der richtige, die Resultate stimmen. Wir müssen versuchen, unseren guten Status zu halten. Aber es ist nach wie vor eine Geschichte, die fragil ist.»

Häberli weiss im Detail, wovon er spricht. Als Spieler erlebte er den Aufstieg der Berner zur nationalen Grösse hautnah mit, in Basel gehörte er als U21-Verantwortlicher und enger Begleiter der FCB-Talente zum inneren Zirkel des langjährigen Branchenprimus. «Der FCB war bis zum Führungswechsel 2017 (Bernhard Burgener nach Bernhard Heusler) das Mass aller Dinge, mit einer gewaltigen Qualität – auf dem Platz und in der Teppichetage.»

Er erwähnt die DNA, die man mittelfristig auch bei Servette implementieren müsse, von der grossen Aufbauhilfe, die von der Stiftung 1890 um den Genfer Monsieur Didier Fischer in den letzten zehn Jahren geleistet worden sei: «Die finanzielle Lage hat sich stabilisiert. Diese Leute stammen aus der Stadt und tragen Verantwortung. Man steht hin und bekennt sich.» In diesem Umfeld sei sportliches Wachstum möglich und nötig, so Häberli. «Servette kommt von weit unten, vor zehn Jahren war der Verein in der 1. Liga. Der Flickenteppich ist bei der Infrastruktur im Trainingsbetrieb noch immer spürbar. Das kann ein Grund sein für einen Spieler, nicht bei Servette zu unterschreiben.»

Die Genfer Geschichte mit den Jungen

Es gehe nicht nur um jenen französischen Perspektiv-Spieler, der sich im letzten Sommer lieber für einen Transfer zum Ligue-Abstiegskandidaten Le Havre entschieden hat als zu einem Wechsel in die Romandie. «Wir verlieren immer noch zu viele Talente. Noch immer glauben zu viele nicht an den Genfer Weg», legt Häberli den Finger auf einen wunden Genfer Punkt. Winsley Boteli (18) spielt in der U23 von Borussia Mönchengladbach, Johan Manzambi (19), ein weiteres Juwel aus der SFC-Abteilung, startet beim SC Freiburg durch; Felix Tsimba (18) wählte YB als Sprungbrett. 

«In der Deutschschweiz und weiter nördlich wird Servette seit Jahren als Selbstbedienungsladen betrachtet. Das müssen wir ändern.» Häberli weiss, dass der Spagat zwischen Tagesgeschäft in der Liga und Zukunftsplanung gross ist: «Es braucht immer einen Stamm von fertigen Spielern und den grössten Talenten. Aber auf den Positionen 16 bis 22 müssen mehr Junge sein, die bereit sind für die Liga. Und es braucht immer jemanden, der bereit ist, das wirtschaftliche Risiko aufzufangen, falls etwas schiefgeht.» 

Häberli redet von den Geschichten, «die wir erzählen und kreieren müssen in Zukunft. Wir müssen den Jungen und ihren Eltern mit erfolgreichen Beispielen aufzeigen können, dass sich der Genfer Weg lohnt. Daran müssen wir arbeiten. Da entstehen Dynamiken. Wenn sich Spieler wie Keyan Varela (19), Tiemoko Ouattara (19) und Loun Srdanovic (18) oder ein Théo Magnin (21) entwickeln und einen Sprung machen, haben wir Argumente, diese Perlen zum Bleiben zu überzeugen». Häberli und das Projekt Servette. Er ist tief eingetaucht, wie einst bei den Esten im Baltikum. Und er wird seine Überzeugungsarbeit auch in der nächsten Saison fortsetzen: «Ja, darauf haben wir uns geeinigt.»

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