Darum gehts
- Schweizer Fussball-Nati hofft auf Wunder gegen Spanien im EM-Viertelfinal
- Sundhages Masterplan und Spaniens mögliche Überheblichkeit als Hoffnungsschimmer
- Über 30'000 Fans unterstützten die Schweizerinnen in den Gruppenspielen
Es ist bis heute eine der grössten Überraschungen der Fussball-Geschichte. Am 4. Juli hat sich diese zum 71. Mal gejährt. An der WM 1954 schlug Deutschland im Wankdorf vor 60’000 Fans das zuvor über vier Jahre ungeschlagene Ungarn im Final mit 3:2. Das Wunder von Bern war geboren.
Ein solches braucht heute Freitag auch die Nati gegen Spanien. Der FC Barcelona, der dominante Klub im Frauenfussball der letzten Jahre, stellt das Gerüst dieser von Superstars gespickten Auswahl. Und nach dem WM-Titel 2023 und dem Triumph in der Nations League zählt für die «Furja Roja» in der Schweiz nur etwas: der erste EM-Titel der Geschichte.
Und trotzdem: Es gibt es Gründe, warum sich die Nati Hoffnungen auf ein zweites Wunder von Bern machen kann:
Sundhages Masterplan
Seit ihrem ersten Arbeitstag Mitte Januar 2024 hatte Pia Sundhage diesen einen Moment im Kopf: ein K.o.-Spiel gegen die Besten des Kontinents. Auch deshalb testete sie im letzten Herbst gegen Frankreich, Deutschland und England und tüftelte am System, um herauszufinden, welches die grösste Chance bietet, den Coup zu schaffen. «Ja, es wird zu taktischen Änderungen kommen», kündigt die Schwedin am Tag vor dem Duell gegen Spanien selbstbewusst an. Ihr seit Monaten ausgeheckter Masterplan soll nun, am Tag X, aufgehen.
Spaniens Überheblichkeit
Die letzten drei Duelle zwischen der Schweiz und Spanien als «klare Sache» zu bezeichnen, wäre noch untertrieben. 1:5, 0:5 und 1:7 so die desaströsen Ergebnisse aus Nati-Sicht. Hinzu kommt, dass die Ibererinnen in den vergangenen zwei Wochen problemlos durch die Gruppenphase spaziert sind und trotz zahlreichen Wechseln und Rotationen den Gegnern Portugal, Belgien und Italien insgesamt 14 Treffer eingeschenkt haben. Ob es die Spanierinnen da überhaupt verhindern können, die Schweiz nicht auf die leichte Schulter zu nehmen?
Das Schweizer Hotel
Während der EM logiert die Nati im Thuner Seepark Hotel. Dieses liegt gerade einmal ein paar Kilometer Luftlinie vom Strandhotel Belvédère in Spiez entfernt. Dort wurde während der WM 1954 die deutsche Nationalmannschaft der Männer beherbergt. Das Ufer des Thunersees als Kraftort für ein Fussball-Wunder hat sich also schon einmal bewährt, nach dem «Geist von Spiez» könnte auch der «Geist von Thun» in die Geschichte eingehen.
Die Fans
Über 30'000 Fans in Basel und Bern, über 26'000 in Genf. In den drei Gruppenspielen konnte sich die Schweizerinnen auf eine zuvor nie dagewesene Heim-Kulisse verlassen. Doch nicht nur während den Spielen hat das Team von der Unterstützung profitieren können. Vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Island (2:0) haben die Spielerinnen Videos vom Fan-Marsch durch Bern vorgeführt bekommen. Die geflossenen Freudentränen dürften ihren Anteil an dem ein paar Stunden später eingefahrenen ersten EM-Sieg gehabt haben. Vor knapp zwei Wochen zogen insgesamt 14'000 Menschen durch die Berner Altstadt in Richtung Stadion. Möglich, dass heute Freitag diese Marke noch einmal übertroffen wird.
Die Fitness
Pia Sundhage hat in der knallharten Vorbereitung viel Wert auf den konditionellen Bereich gelegt. In der ersten Camp-Woche in Magglingen liess die Schwedin ihre Spielerinnen sogar einen Yo-Yo-Test absolvieren. Aus dem Nati-Umfeld war Kritik am strengen Programm zu vernehmen. Doch der Gruppenphase hat sich die harte Arbeit ausgezahlt. Die beiden Tore gegen Island (2:0) gelingen der Nati in der Schlussviertelstunde, der viel umjubelte Ausgleichstreffer gegen Finnland (1:1) sogar erst in der Nachspielzeit. Während nach dem WM-Achtelfinal 2023 gegen Spanien (1:5) mehrere Spielerinnen von Defiziten im physischen Bereich gesprochen haben, scheint die Nati dieses Mal zumindest körperlich bereit, den Weltmeisterinnen Gegenwehr zu leisten.
Unsere Spanierinnen
Alexia Putellas, Aitana Bonmati oder Mariona Caldentey – die Namen der spanischen Superstars sind jeder und jedem im Frauenfussball ein Begriff. Doch die Nati verfügt gleich über mehrere Spielerinnen, welche die Spanierinnen noch etwas genauer kennen. Ana-Maria Crnogorcevic spielte bei Barcelona jahrelang mit dem gefühlt halben spanischen Kader zusammen. Das Gleiche gilt für Sydney Schertenleib, die seit letztem Sommer beim Weltklasse-Klub unter Vertrag steht. «Ich kenne einige ihrer Schwächen», verriet das Nati-Juwel vergangene Woche. Auch Laia Ballesté, die schon ihre ganze Karriere in Spanien spielt, und Viola Calligaris kennen die spanische Liga und deren Spielerinnen bestens.
Der Teamgeist
Die Bilder sprechen für sich. Wer sich die Schweizer Torjubel aus der Gruppenphase noch einmal ansieht, der entdeckt dabei unter anderem Elvira Herzog oder Coumba Sow an vorderster Front. Dabei gehören beide zu den sechs Spielerinnen, die noch ohne EM-Einsatzminute sind. Wenn man sich im Team umhört, wird einem schnell klar: In dieser Nati ordnet jede Spielerin ihr eigenes Ego dem Teamerfolg unter. «Wir sind in den letzten Wochen noch enger als Einheit zusammengewachsen. Wir haben einen super Teamgeist», sagt auch Noelle Maritz.