Darum gehts
Als am Abend des 15. Januars 2024 am Rand der Swiss Football Night im Casino Bern durchsickert, dass der SFV am nächsten Tag Pia Sundhage (65) als neue Nati-Trainerin präsentieren werde, ist das Wohlwollen gegenüber der Schwedin gross. «Ein starkes Zeichen des Verbandes», schreibt der Blick in seinem Kommentar. In anderen Medien ist von einem grossen Wurf die Rede. «Eine Welttrainerin für die kleine Schweiz», titeln die Zeitungen der CH Media-Gruppe.
Gut 16 Monate später ist der anfänglichen Euphorie Ernüchterung gewichen. Zwar gibt es noch immer kaum eine höher dekorierte Trainerin im Weltfussball als die Schwedin, die die USA zu zwei Olympiasiegen geführt hat und nebst in ihrer Heimat auch in China und Brasilien gearbeitet hat. Doch die Bilanz Sundhages und ihres Staffs ist mehr als durchzogen. Sieben Siege in 18 Spielen, nur der 2:1-Sieg im Oktober gegen ein allerdings ersatzgeschwächtes Frankreich sticht heraus. Seither ist die Nati in acht Spielen sieglos geblieben. Auf den Aufstieg in der Nations League folgt umgehend wieder der Abstieg.
Vier Wochen vor Beginn der Heim-EM werden deswegen die kritischen Stimmen immer lauter. Nicht nur in den Medien, sondern auch im Umfeld der Nati zweifeln einige inzwischen die Kompetenz Sundhages an. Viele fragen sich: Kommt das gut an der EM? Oder droht den Frauen der gleiche GAU wie den Männern 2008, als nach zwei Spielen und den Niederlagen gegen Tschechien und die Türkei das Turnier für den Gastgeber bereits vorbei war?
Der fehlende Plan B
Neben den fehlenden Resultaten gibt vor allem Sundhages System Anlass zur Kritik. Früh legt sie sich auf ein 3-5-2-System fest, an dem sie konsequent festhält – egal, wie der Gegner heisst. Das 0:1 gegen Norwegen hat gezeigt, dass das Team dieses noch nicht oder zumindest nur phasenweise verinnerlicht hat.
Vor allem in der ersten Halbzeit sind die Abstände zwischen den Linien zu gross, was dazu führt, dass in der Offensive die beiden Stürmerinnen Reuteler und Schertenleib auf sich alleine gestellt sind. Die Präsenz im Strafraum fehlt und wird erst besser, als die Nati höher steht, sie ihre taktischen Fesseln ablegt, mit Leidenschaft, Herz und Aggressivität agiert. Spielerisch bleibt aber vieles Stückwerk.
Dass es das System zu überdenken gilt, wird am augenfälligsten bei Iman Beney (18), die vor allem eines nicht ist: eine Verteidigerin. Das Talent wird auf der Aussenbahn ihrer grössten Stärken beraubt: ihrer Schnelligkeit, dem Eins-gegen-Eins und der Aggressivität gegen den Ball. Ihr bestes Länderspiel macht Beney im Dezember in Sheffield beim 0:1 gegen England – als sie als Stosstürmerin spielt. Die Frage, ob die beste Position des YB-Talents jene der Aussenläuferin ist, wirft Sundhage gleich selbst auf. «Ich weiss es nicht. Aber ich bin stur. Und werde es hinkriegen», antwortet sie mit einem Lächeln.
Auch andere Personalien geben Anlass zu Diskussionen. Im Sturm ist nur Schertenleib fix gesetzt, während ihre Nebenspielerin von Spiel zu Spiel wechselt. Womöglich kämen aber die Qualitäten des Barça-Juwels hinter den Spitzen deutlich besser zum Tragen. Was passiert mit Ramona Bachmann, die offensichtlich noch nicht fit ist, aber über Qualitäten verfügt, auf die eine Nati zumindest als Joker nicht verzichten kann? Und wer steht im Tor? Nachdem Elvira Herzog im November zur Nummer 1 erklärt wurde, ist nun plötzlich wieder offen, ob sie oder Livia Peng an der EM im Tor stehen wird. Überzeugt haben beide nicht.
Im Juli wird abgerechnet
Sundhage hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass vor allem ein Datum für sie zählt: der 2. Juli, der Abend des EM-Auftaktspiels im ausverkauften St. Jakob-Park in Basel. Dann gibt es keine Ausreden mehr, dann wird sich zeigen, ob die einstige Welttrainerin es geschafft hat, die Nati tatsächlich einen Schritt weiter zu bringen. Oder ob sie wie bei ihrer letzten Station Brasilien scheitern wird.
Noch bleiben ihr vier Wochen Zeit, um das Puzzle zusammenzufügen und die dringend nötigen Anpassungen vorzunehmen. Auch dann heisst der Gegner Norwegen, trotz der grossen individuellen Klasse kein übermächtiges Team, was die beiden Duelle in der Nations League gezeigt haben. Bis dann muss Sundhage aus einem Verlierer-Team ein Sieger-Team formen. Als Blick sie in den Katakomben des Tourbillons fragt, ob dies eine der grössten Challenges ihrer über 30-jährigen Trainerkarriere sei, antwortet sie, ohne zu zögern: «Ja.»
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
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1 | Deutschland | 6 | 22 | 16 | |
2 | Niederlande | 6 | 1 | 11 | |
3 | Österreich | 6 | -11 | 6 | |
4 | Schottland | 6 | -12 | 1 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
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1 | Frankreich | 6 | 12 | 18 | |
2 | Norwegen | 6 | -1 | 8 | |
3 | Island | 6 | -3 | 4 | |
4 | Schweiz | 6 | -8 | 2 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
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1 | Spanien | 6 | 13 | 15 | |
2 | England | 6 | 10 | 10 | |
3 | Belgien | 6 | -7 | 6 | |
4 | Portugal | 6 | -16 | 4 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Schweden | 6 | 7 | 12 | |
2 | Italien | 6 | 4 | 10 | |
3 | Dänemark | 6 | -5 | 9 | |
4 | Wales | 6 | -6 | 2 |