Auf den Spuren von Pia Sundhage
«Ich war schon als Kind anders als die anderen»

In zehn Tagen beginnt die Heim-EM. Im Fokus: Nati-Trainerin Pia Sundhage, die in den letzten Wochen aufgrund der sportlichen Misere in die Kritik geraten ist. Blick hat sich auf Spurensuche begeben und die Schwedin in ihrer Heimat besucht.
Publiziert: 11:51 Uhr
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Aktualisiert: 15:58 Uhr
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Pia Sundhage beisst in einen Kanelbulle mit Vanillepudding.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Christian FinkbeinerStv. Fussballchef

Weltenbummlerin. Welttrainerin. Ikone des Frauenfussballs. Als der SFV im Januar 2024 bekannt gibt, dass Pia Sundhage (65) die Nati an die Heim-EM 2025 führen soll, sind die Hoffnungen gross. Wenn nicht sie – die erfahrene Schwedin mit ihrem ruhmreichen Palmarès –, wer dann soll die Schweiz in neue sportliche Sphären führen?

Zehn Tage vor Turnierstart ist die Euphorie der Ernüchterung gewichen. Als Sundhage die Nati übernimmt, ist diese in der Fifa-Weltrangliste die Nummer 14 Europas – auf diesem Platz liegt sie heute noch. Auf den Aufstieg in der Nations League folgt die neuerliche Relegation. Spielerischer Fortschritt? Nicht erkennbar. Und auch aus dem EM-Camp sind in den letzten Tagen einige kritische Voten zu vernehmen. Die Situation gleicht jener vor zwei Jahren vor der WM 2023, als Inka Grings (46) die Nati trainierte.

Auch in der Öffentlichkeit hat der Wind gedreht. Anstatt Vorfreude auf den Grossevent herrschen Zweifel. Einige haben in den letzten Wochen unter vorgehaltener Hand sogar die kurzfristige Absetzung der zweifachen Olympiasiegerin gefordert, die 2013 ihr Heimatland Schweden an der Heim-EM in den Halbfinal geführt hatte. Sundhage kennt solche Situationen: «Wenn man damit nicht umgehen kann, geht man besser nach Hause und macht etwas anderes.»

Schwierigkeiten vorausgeahnt

Eine bissige Bise weht Sundhage auch ins Gesicht, als Blick im Mai der Nati-Trainerin in Stockholm einen Besuch abstattet. In Gamla stan, der Altstadt der schwedischen Hauptstadt, lädt die Ikone des Frauenfussballs zum Gespräch bei Kaffee und einer Kanelbulle, dem typisch schwedischen Gebäck, ein. Im Stadtteil Hammarby hat sie zwar jahrelang gespielt und als Trainerin gearbeitet, Sundhage aber sagt: «Ich bin kein Stadtmensch.» Viel eher mag sie das Ländliche. Ausserhalb von Stockholm besitzt sie ein Sommerhaus.

Noch ist die EM an diesem kalten, später aber sonnigen Frühlingstag zwar erst am Horizont zu erkennen, doch Sundhage ahnt da bereits, dass der Weg der Nati ans Heimturnier kein einfacher sein wird. Es fallen Sätze wie: «Ich bin mit dem Team nicht da, wo ich sein will.» Oder: «In unserer Kabine fehlen die Emotionen.» Oder: «Wir haben nicht den Mut, Fehler zu machen.» Es ist die ihr eigene Direktheit, aber auch Gelassenheit, mit der Sundhage dies sagt. Von Frustration, Sorgen oder gar Zweifel keine Spur. «Es ist mein Job, damit umzugehen.»

In den nächsten Tagen liegt der Fokus vor allem auf ihr. Und über allem steht die Frage, ob sie auf den Tag X den Turnaround schafft. Doch wer ist Pia Sundhage überhaupt? Wo sind ihre Wurzeln? Und was hat sie zu einer erfolgreichen Spielerin und noch besseren Trainerin gemacht?

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Die Mutter verlieh ihr Flügel

Um sich der Europameisterin als Spielerin (1984) und der zweifachen Olympiasiegerin als Trainerin (2008/2012) anzunähern, lohnt sich ein Blick in ihre Kindheit. Dorthin, wo alles begann. 1960 wird sie in Ulricehamn in einer Kleinstadt im Inland Westschwedens geboren. Es ist das Jahr, als Armin Hary im Letzigrund mit 10,0 Sekunden über 100 m Weltrekord läuft. «It's Now or Never» von Elvis Presley ist die meistverkaufte Single und John F. Kennedy wird zum Präsidenten der USA gewählt. Frauenfussball existiert in vielen Ländern Europas praktisch nicht oder ist sogar verboten.

Sundhage wächst in einem 250-Seelen-Dorf als drittjüngstes von sechs Geschwistern auf. Der Vater ist Busfahrer, die Mutter arbeitet als Kellnerin und kommt oft spät nach Mitternacht nach Hause. «Ich hatte tolle Eltern», so Sundhage. Während der Vater, der über viel Humor verfügt, seiner dritten von vier Töchtern traditionelle Werte vermittelt und sie immer wieder daran erinnert, «keine verrückten Dinge zu tun», ist es die Mutter, die den Freigeist, der in der kleinen Pia schlummert, ermutigt, dem Herzen zu folgen und im Leben das zu machen, was sie will. «Sie hat mir Flügel verliehen», sagt Sundhage.

Der Altersunterschied zwischen ihr und der nächstälteren Schwester beträgt sechs Jahre, aber auch die Interessen der drei jüngeren Kinder sind verschieden. Pia ist die Einzige, die sich für Fussball interessiert, zum Leidwesen der beiden anderen. Die Mutter ist peinlichst genau darauf bedacht, dass die drei Kinder, wenn sie zusammen spielen, alle gleich lang ihr Bedürfnis befriedigen können. «Die Affinität meiner kleinen Schwester zu Pferden fand ich ebenso langweilig wie jene meines Bruders für Eisenbahnen und Busse», erinnert sich Sundhage. «Und als ich dann dran war, mussten die beiden halt herhalten, als ich mit dem Ball auf sie geschossen habe.»

Immer wieder kickt sie den Ball auch ans Garagentor, gelegentlich auch schon um 7 Uhr morgens– zum Ärger der noch schlafenden Mutter. «Ich konnte schon eine Nervensäge sein.» Später spielt sie mit den Nachbarjungen Fussball im Garten, sie nennt sich «Pelle», damit sie im lokalen Fussballteam mitmachen kann. Auch in der Schule spielt sie lieber mit Jungs als mit Mädchen. Eine Aussenseiterin ist sie deswegen aber nicht. «Ich war anders als die anderen», sagt Sundhage. «Aber gehänselt wurde ich nie.» Die Schule interessiert sie. Den Lehrern gehorcht sie. «Ich habe alles gemacht, was sie gesagt haben.»

Eine Stimme für den Frauenfussball

Nach Abschluss des Gymnasiums studiert Sundhage Sport in Stockholm. Ihre zweite Leidenschaft neben dem Fussball ist die Musik. Wo immer sie ist, darf eine Gitarre nicht fehlen – auch heute noch. Den Perfektionismus, den sie im Fussball anstrebt, lässt sie dabei links liegen. «Da spielt es keine Rolle, wenn es falsch tönt.» In jungen Jahren entdeckt sie die Platten von Simon & Garfunkel, Bob Dylan und Bruce Springsteen, von deren Musik sie noch heute schwärmt. Von Abba, der damals aufkommenden Pop-Band, hält sie nicht viel. «Alle haben sie gemocht – ich nicht.» Ihr lokaler Favorit ist die Hoola Bandoola Band. «Es waren Protestsongs gegen die Gesellschaft.»

Dass sie selbst einmal mithelfen wird, die Gesellschaft zu verändern und Barrieren abzubauen, ist damals noch nicht absehbar. Zwar steckt der Frauenfussball auch in Schweden in den Kinderschuhen, aber Sundhage ist mit ihrer Leidenschaft keine Exotin. «Es gab viele Frauen, die dieselben Ideen hatten. Es war eine Bewegung. Wir kämpften, natürlich. Aber wir fühlten uns auch wohl in der Umgebung, in der wir uns bewegten. Der schwedische Verband machte einen sehr guten Job, Schritt für Schritt ging es vorwärts.»

Heute nutzt sie ihre Bekanntheit, um den Frauenfussball weltweit zu promoten, seit 17 Monaten hauptsächlich in der Schweiz. Egal ob in der Fussballkneipe Didi Offensiv in Basel, an Podiumsdiskussionen im ganzen Land oder im Gespräch mit Journalisten, für Sundhage geht es um weit mehr als nur um die Ergebnisse auf dem Rasen, als sie sich entscheidet, das Angebot des SFV anzunehmen. «Je mehr Interviews ich gebe, desto besser. Denn das zeigt, dass sich die Leute für die Sache interessieren.»

Familie als Kraftort

Persönliches gibt Sundhage gerne preis, ihr Privatleben hält sie aber bedeckt. Der Familienbund ist ihr Kraftort, auch wenn sie selbst nie eine eigene Familie gründen wollte. Sie möge Kinder nicht besonders, sagt Sundhage. Eine Aussage, die ihr in ihrer Heimat auch schon Kritik eingebracht hat. Ihr Nein zum eigenen Nachwuchs ist ein Ja zur grossen (Fussball-)Welt. «Ich konnte machen, was ich wollte und musste keine Rücksicht nehmen.»

Bis heute gehören ihre Geschwister zu den engsten Vertrauten. Wenn sie auf Heimaturlaub ist, besucht sie regelmässig ihre jüngere Schwester Marita (62), die rund zwei Stunden südlich von Stockholm als Reitlehrerin arbeitet. Zusammen haben sie ein Pferd gekauft, das auf den Namen Flippan hört. Sundhage hat es hauptsächlich finanziert, weil sie finanziell mehr Mittel hat. «Das Wort Solidarität war in unserer Familie schon immer sehr zentral und wichtig – und dass man sich gegenseitig hilft. Das ist bis heute so.»

In den vergangenen Jahren hat sie das Reiten entdeckt. Die Erfahrung, selber wieder einmal Lernende zu sein, bringt sie auch in ihrem Alltag als Trainerin weiter. «Alles, was ich als Coach weitergebe, habe ich einmal gehört oder gelesen.» Oder erfahren, wie in den Reitstunden bei ihrer Schwester. «Entscheidend dabei sind Vertrauen, Kommunikation und Feedback», sagt Sundhage. Und: «Wenn du Fortschritte erzielst, dann motiviert dich das, noch mehr zu lernen.»

Ihr Führungsstil ist bis heute von ihrer Herkunft im sozialistischen Schweden geprägt. «Jeder Einzelne ist Teil von etwas Grösserem, von einer Gruppe.» Aber die Zeiten haben sich geändert. «Während der Teamgeist in meinen ersten Jahren als Trainerin selbstverständlich war, muss man heute daran arbeiten.» Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, das Sundhage feststellt. Die Menschen seien zwar individueller geworden, die Eigenverantwortung habe aber abgenommen. «Als wir als Kinder an den See gingen, waren keine erwachsenen Personen dabei. Wir haben gegenseitig auf uns aufgepasst.» Heute sei dies anders.

Sundhages Plan: Emotionen schüren

Auch ihre beruflichen Stationen in fremden Kulturen haben ihren Horizont erweitert. Von überall nimmt sie etwas mit. In den USA sind es das Selbstbewusstsein und die Siegermentalität, die ihr Eindruck machen, in Brasilien sind es die extremen Emotionen. «Beides kann ansteckend sein.»

Auch in der Schweiz lernt sie eine neue Kultur kennen. Als sie 2024 ihre Stelle beim SFV antritt, trifft sie auf ein Team, das sportliches Mittelmass ist und vor einem Umbruch steht. Die Routiniers um Captain Lia Wälti (32) kommen in den Herbst ihrer Karriere, eine junge, sehr talentierte Generation stösst nach. Schon früh fordert Sundhage: «Versucht, euch wohlzufühlen, wenn ihr euch unwohl fühlt. Ihr müsst aus eurer Komfortzone herauskommen.»

Den Mentalitätswechsel hat sie bislang aber nicht geschafft «Meine Spielerinnen sind korrekt, was ich einerseits mag, weil sie pünktlich, zuverlässig und verlässlich sind», sagt Sundhage. «Andererseits mag ich diese Korrektheit wiederum nicht, weil sie keine Fehler machen wollen und noch nicht aus ihrer Komfortzone gehen können.»

Der 2. Juli rückt immer näher. Nur wenige Tage verbleiben der Welttrainerin von 2012, um das Feuer in der Nati zu wecken. «Ich will und muss Emotionen schüren, bis es losgeht», sagt Sundhage, bevor sie sich beim Gespräch in Stockholm verabschiedet. Die Spielerinnen sollen sie überraschen und den Mut haben, etwas zu machen, was sie noch nie gemacht haben, fordert sie. «Aber es liegt an mir, die richtigen Knöpfe zu drücken.»

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