Darum gehts
Seit ein paar Jahren philosophieren sie zusammen über Fussball und spielen leidenschaftlich Golf. Begegnet sind sich die beiden Persönlichkeiten erstmals in einem Hotel am Wörthersee. Eher zufällig, quasi im Vorbeigehen. Arno Del Curto, der grosse FCZ-Sympathisant, sitzt an der Bar. Blerim Dzemaili, damals beim türkischen Verein Galatasaray engagiert, weilt in Kärnten im Trainingslager. Die Trainer-Legende erinnert sich.
Arno Del Curto: Ich nahm an einem Poker-Turnier teil und sass auf der Terrasse an der Bar des Schlosshotels. Da läuft plötzlich Blerim an mir vorbei und kehrt zurück mit einem Deutschen, den er mir vorgestellt hat.
Wollten Sie auch pokern?
Blerim Dzemaili: Nein, ich war im Trainingslager und top seriös (lacht). Wir haben uns ausgetauscht. Arnos Hingabe für den FCZ gefiel mir. Und ich habe ihn für seine erfolgreiche Arbeit im Hockey bewundert.
Del Curto: Blerim ist für mich immer ein FCZler geblieben – auch in Istanbul oder in Italien.
Blerim Dzemaili war ja lange der einzige Fussballer mit einer ausgeprägten Hockey-Affinität.
Dzemaili: Ich habe sogar die Regeln verstanden. Vom damaligen Zürcher Team war ich aber immer der Einzige mit einem Hockey-Herz. Inzwischen begleitet mich Alain Nef (FCZ-Talentmanager, Anm. d. Red.) an die ZSC-Partien.
Del Curto: Und ich habe sogar ein Buch gelesen über Fussball-Systeme. Und jeden Tag darf ich Blerim mit Fragen löchern. Mittlerweile bin ich ein halber Experte.
Dzemaili: Du könntest ins Business einsteigen, Arno.
Del Curto: Ach was, ich habe in Tat und Wahrheit keine Ahnung.
Del Curtos Küsnachter Kollege Rolf Eiholzer, der mit zur Golf-Runde gehört, unterbricht das Interview: «Doch, er hat Ahnung. Wir haben uns Arsenal gegen Liverpool angeschaut. Per Zufall sass der Sohn des Liverpool-Assistenten Sipke Hulshoff neben uns. Arno quetschte ihn pausenlos aus.»
Del Curto: Ich wollte von einem Fan hören, was genau der Unterschied zwischen Arne Slot und Jürgen Klopp ist. Er hat es mir erklärt, und ich habe es verstanden. Bei Klopp peitschten sie alle endlos nach vorne und waren am Ende der Saison komplett ausgelaugt. Slot dosiert die Kräfte mehr.
Dzemaili: Heute musst du die Team-Energie besser einteilen, weil viel mehr Spiele anstehen als früher.
Blerim Dzemaili debütierte 2003 mit 17 beim FCZ (2 Meistertitel und 1 Cupsieg). 2007 startete der 69-fache Natispieler seine Klub-Weltreise mit Stationen in England, Italien, der Türkei, den USA und China. 2023 beendete er seine Karriere – beim FCZ, arbeitet heute fürs Schweizer und italienische TV.
Blerim Dzemaili debütierte 2003 mit 17 beim FCZ (2 Meistertitel und 1 Cupsieg). 2007 startete der 69-fache Natispieler seine Klub-Weltreise mit Stationen in England, Italien, der Türkei, den USA und China. 2023 beendete er seine Karriere – beim FCZ, arbeitet heute fürs Schweizer und italienische TV.
Vermehrt jettet Del Curto nach London. Seine Passion für Arsenal lässt den 69-Jährigen nicht mehr los. Via Liverpools Goalie-Trainer und Ex-Weltmeister Claudio Taffarel bekam er von Dzemaili Tickets – aber für den falschen Sektor.
Del Curto: Plötzlich sagt einer: Ruhig, ruhig, sofort weg mit euren Arsenal-Schals! Da gehen die Liverpool-Fans rein. Ich sass mit Hüftschmerzen und geduckt auf meinem Stuhl. Aber diese Reds-Säcke standen 90 Minuten lang. Noch während der Partie rief ich Blerim an – aber es war trotzdem richtig geil.
Arsenal drücken Sie die Daumen, für Dortmund schlug Ihr Herz auch schon.
Del Curto: Wegen der Schweizer dort und wegen Favre. Er coachte super. Ich hoffte auf noch ein bisschen mehr Zug Richtung Tor. Es war wunderbar zum Zuschauen. Aber um den Titel zu holen, fehlte eine Prise. Nachdem sie Lucien abgesägt haben, wars fertig mit Dortmund. Aus, Schluss! Hummels und die Alten machten ihn kaputt. Sie würden Buben-Fussball spielen, sagte Hummels. Das kannst du nicht bringen!
Blerim, waren Sie überrascht, als Arno plötzlich über Fussball zu dozieren begann?
Dzemaili: Ich habe über Umwege davon erfahren, wie sehr Arno den Fussball liebt. Er weiss viel, er befasst sich damit. Arno schaut viele Spiele. Er hatte ja mal die brillante Idee, mit mir zusammen Trainer zu werden.
Aha?
Dzemaili: Er sagte mir immer: Wie wäre es, wenn wir zwei den FCZ coachen würden? (Alle lachen schallend.)
Arno Del Curto hat tatsächlich mehr als einmal behauptet, er würde sich eine Profimannschaft im Fussball zutrauen.
Del Curto: Einspruch! Das habe ich nie so gesagt! Ich würde mir das sicher nicht zutrauen.
Aber als Assistent?
Del Curto: Ja, das würde klappen. Blerim der Chef, ich der Assistent.
Für Arno Del Curto gingen die Spieler durchs Feuer. Er war 24 Stunden am Tag zu erreichen. Als Gegenleistung forderte der ewige HCD-Coach 100 Prozent Leistung ein. Kommt Ihnen ein vergleichbarer Fussball-Coach in den Sinn?
Dzemaili: Arno ist einer wie Diego Simeone (Atletico Madrid)! Er ist für mich immer noch einer der besten Trainer der Welt. Was er von den Spielern verlangt, ist unglaublich. Aber er gibt unfassbar viel zurück. Als Trainer war Arno auch so.
Del Curto: Der Unterschied ist: Er ist defensiv ausgerichtet, ich war offensiv orientiert.
Dzemaili: Aber du hattest mehr Erfolg.
Del Curto: Ich würde mit dem Ball mehr spielen, Dinge kreieren lassen.
In der Seele sind die beiden Heissblüter verwandt?
Dzemaili: Das meine ich. Deshalb würde ich ihn menschlich mit Arno vergleichen.
Del Curto: Heute sind viele so.
Dzemaili: Viele spielen diese Rolle, habe ich das Gefühl. Simeone spielt sie nicht. Er ist so. Er gibt enorm Gas.
Der Trainer muss die 100-prozentige Hingabe vorleben. Es gibt keine Bürozeiten. Gibt es ein solches Profil überhaupt noch?
Dzemaili: Es gibt die Namen noch. Ancelotti ist eine Vaterfigur. Es gibt die Typen, die immer erreichbar sind. Aber immer weniger, der Fussball hat sich entwickelt. Jeder hat drei, vier Assistenten. Dazu kommen zig Video-Analysten, Ernährungsberater. Menschenfänger wie Arno gibt es nicht mehr viele. Simeone ist einer davon.
Arno Del Curto übernahm 1996 mit 40 den HCD. Nach 22 Jahren, 6 Meistertiteln und 5 Spengler-Cup-Triumphen nahm er Abschied in Davos, trainierte ab Januar 2019 für wenige Monate die ZSC Lions. Ab 2021 war der Engadiner drei Jahre lang Assistenztrainer von Österreichs Nationalteam.
Arno Del Curto übernahm 1996 mit 40 den HCD. Nach 22 Jahren, 6 Meistertiteln und 5 Spengler-Cup-Triumphen nahm er Abschied in Davos, trainierte ab Januar 2019 für wenige Monate die ZSC Lions. Ab 2021 war der Engadiner drei Jahre lang Assistenztrainer von Österreichs Nationalteam.
Haben Sie selber einen Coach dieser Prägung erlebt?
Dzemaili: Auf dem Platz war Walter Mazzarri ähnlich. Er war ein Arbeiter, ein harter dazu. Aber neben dem Platz schaltete er ab. Als Trainer bist du während 24 Stunden beschäftigt. Das ist ein Grund, weshalb ich diesen Job zurzeit nicht anstrebe. Nach 20 Jahren im Business als Spieler fühle ich mich nicht bereit für einen solchen Posten. Ich will mein Töchterchen aufwachsen sehen. Wenn du nur einen Millimeter abrückst von deiner Trainerlinie, ist es vorbei mit dem Erfolg. Davor habe ich grossen Respekt.
Hat Dzemaili das Jobprofil des Trainers richtig beschrieben?
Del Curto: Das interessiert mich nicht mehr. Aber Blerim hätte ich gerne gecoacht.
Dzemaili: Ich war für jeden Trainer ideal. Ich habe mich nur über die Schiedsrichter und Aussenstehende geärgert (lacht).
Del Curto: Mit dir hätte ich Dinge analysieren können, Sachen besprechen können, Systeme diskutiert. Man holt so als Coach wichtige Infos ab. Inzwischen kennen wir uns – die Chemie hätte gepasst.
Eben: Arno Assistent, Blerim der Chef.
Del Curto: Ich ging mich in meinen Anfangszeiten in Davos in der gleichen Kabine wie die Spieler umziehen und ging auch mal in den Ausgang mit ihnen. Am nächsten Tag auf dem Feld kannte ich sie nicht mehr und zog die Schraube an. Sie wussten genau: Jetzt spinnt er, jetzt will er Power, jetzt wird nicht mehr diskutiert. Danach konnte ich den Schalter wieder umlegen. Simeone könnte das auch machen, man sieht, wie er zu seinen Spielern steht.
Ist das so, Blerim?
Dzemaili: Gut möglich.
Del Curto: Simeone spielt immer wieder um einen Titelgewinn mit, obwohl er nicht die besten Spieler zur Verfügung hat. Wenn du siehst, wie er den Rasen seiner Coaching-Zone wie ein Büffel umpflügt, wie er Gas gibt, dann ist es gar nicht anders möglich, als ganz eng zu sein mit dem Team.
Dzemaili: Antonio Conte (Napoli) ist ein ähnlicher Typ. Er lebt auch von dieser Dynamik und verlangt sehr viel von seinen Spielern. Aber er ist viel weniger lang am gleichen Ort. Nach zwei, maximal drei Jahren geht es unter ihm nicht mehr weiter. Heute funktionieren die Spieler anders. Arno hat sich früher in der Garderobe umgezogen, das ginge nicht mehr. Die Spieler würden sich dabei nicht wohlfühlen.
Del Curto: Ich bin da gleicher Meinung. Deshalb gebe ich auch meinen Senf nicht mehr ab zum Hockey. Ich verstehe, dass es heute anders läuft.
Im Eishockey werden die Stars wertgeschätzt, im Fussball werden sie vergöttert. Stimmt der Eindruck?
Del Curto: Wir golfen immer mal wieder in Apulien. Ich glaubte nach der Ankunft, wir würden auf den Golfplatz getragen werden. Blerim wurde verehrt. Wir mussten keinen Pass zeigen, das Gepäck wurde sofort abtransportiert. Er wird auf Händen getragen. Da habe ich richtig gesehen, wie es ist.
Dzemaili: Einmal Napoli, immer Napoli. Sie kennen dich das ganze Leben lang. Und ich war nicht nur ein paar Monate aktiv. Ich habe dort drei Jahre gespielt, machte 18 Tore als Mittelfeldspieler, holte zweimal den Cup.
Del Curto: Ich bin in Italien für Napoli. Ich habe Diego Maradona gesehen. Sein Ende hat mir wehgetan. Hast du ihn persönlich getroffen?
Dzemaili: Einmal habe ich Maradona in der Garderobe gesehen und reichte ihm die Hand. Ihn und Lavezzi haben sie angehimmelt. Wenn er rausgegangen ist, waren die Strassen blockiert. Sie sahen in ihm einen zweiten Maradona, auch vom Typ her.
Wo taucht Blerim wieder auf im Fussball?
Del Curto: Er hat es schon mal erwähnt: die Familie. Blerim weiss, wenn er in das Trainer-Metier wechseln würde, ist er 24 Stunden am Tag beschäftigt. Als Sportchef vielleicht ein bisschen weniger, aber die Verantwortung ist bei ihm. Blerim hat gecheckt: Es gibt auch noch ein Leben. Ich hatte jahrzehntelang 24 Stunden Hockey pro Tag. Lohnt sich das? Ich würde es an seiner Stelle nicht machen. Sportchef, Scout, in einem VR – ja, aber sicher nicht Trainer.
Dzemaili: Im Fussball gibt es schon mehr Optionen. Im Moment sehe ich mich nicht als Trainer, auch wenn es mir gefallen könnte.
Del Curto: Blerim hätte die Gabe, Coach zu sein. Nur frisst ihn der Job auf.
Dzemaili: Ich habe im Ausland sehr professionelle Strukturen gesehen. Die erkenne ich in unserer Liga ehrlich gesagt nicht überall. Von solchen Umständen würde ich nicht abhängig sein wollen. Mein TV-Job macht mir Spass. Es müsste eine Aufgabe kommen, in der ich mich zu 100 Prozent entfalten kann. Und der Zeitpunkt muss stimmen. Ich muss die Schlüssel in die Hand bekommen, nur meinen Namen gebe ich nicht her.
Del Curto: Beim FCZ hat er Kultstatus. Dort könnte er beginnen. Aber zum Thema Flick ab: Mich interessierte weder links noch rechts, ich habe mein Ding durchgezogen. Das wird Blerim am Ende auch tun.