«Das frisst dich als Coach auf»
Ex-Trainer Martin Schmidt ist nach Mainz-Abschied bereit für Neues

Nach dem endgültigen Ausstieg beim Bundesligisten Mainz ist vor dem Comeback in neuer Umgebung: Martin Schmidt (57) spricht mit Blick über Zukunftsmodelle im Fussball und sagt, «was einen Trainer auffrisst» und wo er nach der Sommerpause wieder auftauchen könnte.
Foto: Sven Thomann
Ex-Mainz-Sportchef Martin Schmidt über Zukunft und sein Comeback

Darum gehts

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Publiziert: 07.04.2025 um 12:24 Uhr
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Aktualisiert: 14.04.2025 um 15:18 Uhr

«Die Arbeit in Mainz war für mich getan. Ich durfte den Verein mit hoch erhobenem Kopf durch den Haupteingang verlassen, was nicht üblich ist im Fussballgeschäft – und dafür bin ich sehr dankbar.» Im Februar sagt Martin Schmidt (57) in Mainz endgültig Tschüss. Eine Ära endet, ein Lebensabschnitt ist fertig. Während zwölf Jahren hat der Schweizer auf verschiedenen Ebenen beim FSV seine Expertise eingebracht – zuletzt als Berater, vorher als erfolgreicher Sportchef und lange als Coach. Den Mainzer Bundesliga-Höhenflug verfolgt der Walliser entspannt aus der dritten Reihe: «Ich wollte ganz bewusst Distanz schaffen – auch bildlich. Deshalb sitze ich auch nicht mehr im Stadion.»

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Martin Schmidt in seinem Walliser Kraftort Blatten: «Hier schmiede ich neue Pläne. Hier finde ich zur Ruhe.»
Foto: Sven Thomann

Schmidt pendelt intensiv. Seine Partnerin lebt mit dem gemeinsamen Sohn in Deutschland. Die Hälfte der Woche verbringt er in Blatten, in einem winzigen Walliser Bergdorf oberhalb Naters. Alte Speicher, umgebaute Scheunen, urchiger Ortskern. Das Panorama ist märchenhaft. Die letzten Wintersportler lassen sich von der Belalp zur Talstation transportieren. Ski-Abo-Besitzer Schmidt schwärmt: «Bessere Bedingungen hatten wir im März seit Jahren nicht mehr.» Früher fuhr er Rennen und verbrachte den Sommer als Hirte auf der Alp, heute steht die aktive Erholung im Vordergrund: «In meiner Heimat lade ich meine Batterien auf. Hier schmiede ich neue Pläne. Hier finde ich zur Ruhe und zur Kraft.»

In den Bergen öffnet sich für den Ex-Bundesliga-Coach Schmidt auch der eigene Horizont.
Foto: Michael Kreft

Wenn er sieht, mit wie viel Wucht und Intensität der frühere FCZ-Dirigent Bo Henriksen in der Bundesliga die Seitenlinie beackert, wenn er an seinen eigenen Führungsstil denkt, wird die Energie zum Thema: «Die Grösse meines Trainerteams 2016/17 in der Europa League beansprucht heute die U19 von Mainz. Heute sind dreimal so viele Leute um ein Team. Der Chef hingegen ist immer noch allein. Führen, coachen, unterhalten, analysieren, motivieren, Aufgaben delegieren, besprechen. Der Energiebedarf hat sich verdoppelt bis verdreifacht.» Entsprechend sei der eigene Akku schneller leer. «Und vergessen wir eines nie: Der Trainer ist der Motor des Vereins. Er ist Frontmann. Was er sagt, ist Gesetz.»

«Ich will mich nicht einengen»

Der Fulltime-Job in der deutschen Elite-Liga sei ohnehin kaum noch zu bewältigen: «Man ist 24 Stunden dran, täglich. Ich habe es selber erlebt bei mir. Da braucht es Ausdauer, Erfahrung und Persönlichkeit.» Das Umfeld braucht viel Aufmerksamkeit: «Die umfassende Analyse mit den Spezialisten braucht Zeit. Es reden viel mehr mit als früher. Man muss sich auf alles einstellen und vorbereiten. Hinter der Medienarbeit steht mehr Geschwindigkeit, die Konsumenten wollen sofort Infos. Es gibt viel mehr Kanäle. Die Härte der Social-Media-Reaktionen nimmt zu», sagt Schmidt und beschönigt nichts: «Ist man nicht gerüstet, frisst es einen auf als Trainer.»

«Manchmal störte ich mich als Trainer daran, dass ich nur im Jetzt leben musste», sagt Martin Schmidt zu Blick.
Foto: imago/Eibner

Auf Dauer würden dieses Pensum nur noch Trainer-Grandseigneurs wie Carlo Ancelotti bewältigen können, die in der Lage seien, das Gros zu delegieren, vermutet Schmidt. Deshalb stellt der Trainer ausser Dienst eine These auf: «Mich würde interessieren, wie lange es noch mit nur einem Chefcoach geht im Fussball. Bei anderen Sportarten ist das bereits nicht mehr so – da gibt es Defensiv- und Offensiv-Trainer, darüber ein Headcoach. Ich glaube, die Entwicklung wird auch im Fussball in diese Richtung gehen, oder man wechselt alle neun Monate den Trainer, was für den Verein sportlich wie wirtschaftlich sicher nicht zuträglich ist.»

Für Schmidt ist das eigene Gedankenspiel mehr als ein Luftschloss: «Das ist die Zukunft. Warum sollte nicht ein etwas kleinerer Klub damit starten?» Beim Schweizer Verband habe er während der letzten EM ein ähnliches Konzept gesehen: «Murat Yakin und Giorgio Contini funktionierten nach einem vergleichbaren Prinzip. Der eine war das Gesicht, der andere eher der Tüftler. Aber mit klarer Rollenverteilung – mit Yakin als Headcoach.» Zwei Alphatiere an der Spitze einer Equipe? An wem orientieren sich die Spieler? Wer verantwortet die taktische Richtung? «Diese Fragen sind berechtigt, zumal der Fussball unglaublich hierarchisch strukturiert ist. Disharmonie ist möglich. Darum eine klare Rollenverteilung. Die Spieler brauchen einen Chef, das ist klar. Aber sie brauchen Bosse mit Feuer.»

In seiner Walliser Heimat lädt Schmidt seine Batterien auf.
Foto: Sven Thomann

Martin Schmidt sitzt auf einer Terrasse. Brauner Teint, weisser Fünftagebart. Schneebedeckte Felswände vor den Augen, offener Horizont, Kopfkino in freier Natur: «Hier kommen mir die besten Ideen – nicht unter einer dicken Nebeldecke wie in Deutschland.» Inspirieren lässt er sich auch vor dem TV-Gerät im eigenen Ferienchalet: «Ich schaue mir sehr viele Spiele an. Vor ein paar Tagen Atlético gegen Barcelona. Die Fussballwelt ist heute überall. Auch im Oberwallis.» In welcher Form er wieder eine Rolle spielen will, ist derzeit offen: «Ich will mich in der sportlichen Ausrichtung nicht einengen. Ich komme in ein Alter, in dem auch meine die Erfahrung wichtig sein könnte.»

Schmidt auf den Spuren von Völler?

Sechs Saisons lang steht der Trainer Schmidt in Mainz, Wolfsburg und Augsburg unter Strom. Danach wechselte er auf die strategische Ebene: «Manchmal störte ich mich als Trainer daran, dass ich nur im Jetzt leben musste. Als Sportdirektor konnte man vermehrt planen und gestalten. Das war unheimlich erfüllend.» Und doch seien immer mehr Themen auf dem Tisch gelandet, «die mich als Vollblutsportler zu weit vom wichtigsten Schauplatz weggeführt haben». Derweil fegt Bo Henriksen durchs Stadion und löst bei Schmidt etwas aus: «In Sitzungen mit ihm dachte ich mir: Ich war auf dem Trainerposten ja das gleiche Energiebündel.» Motivator Henriksen lässt Schmidt wieder vibrieren. 

Der Menschenfänger braucht die Menschen, Garderobenluft. Die Nähe zur Spielfeldlinie könnte ihm guttun. «Jeder Spieltag in der Bundesliga hat sich wie Champions League angefühlt. Maximaler Fokus, volle Aufmerksamkeit. Keine halben Sachen! Ein hoher Pulsschlag muss sein.» Schmidts Augen glänzen. Und doch kommt für ihn auch ein Jobprofil in Frage wie jenes von Rudi Völler – den Sportdirektor der DFB-Auswahl bewundert er: «Er steht voll im Leben und lenkt mit Charisma.» Ein Posten beim Verband, passt das? «Dort spielt auch die Sozial- und Unternehmenskompetenz eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ich bringe dafür sicher viele Erfahrungswerte mit. Klar, eine solche Rolle zu bekleiden, ist schon auch irgendwo im Hinterkopf. Ich bin offen und entspannt, kann mir vieles vorstellen.»

In seiner Heimat macht sich Martin Schmidt grundsätzliche Gedanken zum Profifussball: «Mich würde interessieren, wie lange es noch mit nur einem Chefcoach geht.»
Foto: Sven Thomann

Im internationalen Fahrwasser fühlt sich der Oberwalliser wohl. Lose Kontakte bestehen. Schmidt führt Gespräche. Und wenn das Schweizer Nationalteam in ein Camp einrückt, bekommt der 57-Jährige mit, wie gross und umfassend die mediale Bewirtschaftung ist. «Das ist nur an ganz wenigen Schweizer Klubadressen der Fall», gibt Schmidt zu bedenken und hat eine italienische Gebirgskette im Blick. Melancholie kommt auf: «Im Süden zu arbeiten, wäre auch noch ein Lebenstraum.» Gedankliche Schlangenlinien. Bis zum Sommer gibt er sich Zeit: «Es muss passen. Für beide Seiten.»

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