Formel 1 tüftelte auch in Hinwil
Die Geheimakte der neuen Technik umfasst 169 Seiten

Die Formel 1 legt 2022 einen kompletten Neustart hin. Red-Bull-Stardesigner Adrian Newey (63) spricht von der grössten Regeländerung seit 1983.
Publiziert: 15.03.2022 um 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 15.03.2022 um 06:11 Uhr
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Die Formel 1 startet mit komplett neuen Regeln in die Saison 2022.
Foto: Lukas Gorys
Mike Hammer aus Bahrain

Vor 39 Jahren schaffte die Formel 1 das Groundeffect-Prinzip (vom legendären Colin Chapman erfunden) ab und schrieb zwischen den Achsen einen flachen Unterboden vor. 2022 macht sie die totale Kehrtwende.

Zurück zu einem Unterboden, der aussieht wie ein Flügel. Vorne und hinten hoch, in der Mitte tief. Die neuen Autos generieren 40 Prozent ihres Abtriebs über den Boden. Vorher waren es nur 25.
Neu sind auch die 18-Zoll-Reifen. Ihr Durchmesser steigt von 670 auf 720 Millimeter. Die Motoren werden jetzt mit E10-Sprit gefüttert. Da in der Biomasse weniger Energie steckt, verlieren die Motoren rund 20 PS.

Das neue Management aus den USA wünscht sich mehr Zweikämpfe, bessere Chancengleichheit und geringere Kosten. Die alten Autos waren zum Problemfall geworden. Zu komplex, zu teuer und zu kritisch im Verkehr.

Bei den alten Autos wurde verwirbelte Luft zur Seite hin abgelenkt. Dummerweise traf sie hinter dem Auto wieder in Bodennähe zusammen. In diesem Wirbelsturm verlor das nachfolgende Auto bei zehn Meter Abstand bis zu 50 Prozent seines Abtriebs. Der Angreifer musste Abstand nehmen, was seine Überholchancen verringerte. Jetzt verliert das nachfolgende Auto nur noch 15 Prozent Anpressdruck.

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Drei Jahre Entwicklung und Corona-Aufschub

Der Einführung des neuen Reglements gingen drei Jahre Entwicklungsarbeit und ein Aufschub um eine Saison wegen der Corona-Krise voraus. Ein zehnköpfiges Designteam unter der Führung von Pat Symonds baute ein eigenes Formel-1-Auto nach den neuen Regeln und sicherte sich durch 7500 CFD-Simulationen und 100 Stunden im Windkanal des Schweizer Alfa-Sauber-Teams ab.
Damit ihnen die Ingenieure der Teams nicht wieder dazwischenfunken, wurde auch das Reglement selbst auf völlig neue Füsse gestellt. Es ist auf 169 Seiten in einer Art Geheimsprache verfasst. Die verstehen nur die Ingenieure, die es gewohnt sind, ihre Rennautos am Computer zu konstruieren.

Das gesamte Fahrzeug wird in 37 Legalitätsboxen unterteilt, in denen nicht nur die Dimensionen klar festgelegt sind, sondern auch die Form der Oberflächen. In kritischen Bereichen wie rund um die Vorderachse oder dem Heckflügel bekamen die Ingenieure wenig Spielraum, in anderen wie bei der Nase und den Seitenkästen mehr. Das führte dazu, dass wir jetzt zehn unterschiedliche Autos im Feld sehen. Newey, seit Jahren der bestverdienende Konstrukteur im GP-Zirkus, verspricht: «Bis zum nächsten Jahr überleben nur noch zwei Konzepte.»

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«Wir wollten die Autos einfacher haben»

Ein Laie kann aus dem Regelwerk nicht mehr herauslesen, wie lang, breit oder hoch die einzelnen Komponenten sein müssen. An harten Fakten gibt es nur noch das neue Mindestgewicht von 795 Kilogramm und den maximalen Radstand von 3600 Millimetern. Der Rest wird mithilfe eines dreidimensionalen Koordinatensystems definiert, das sich an die Software der Designprogramme anlehnt.

FIA-Technikchef Nikolas Tombazis verteidigt die neue Paragrafenwelt: «Wir wollten die Autos einfacher haben. Dazu braucht man ein kompliziertes Regelwerk. Sind die Regeln zu offen, werden die Autos kompliziert.»

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