Wann haben Sie das letzte Mal in den Spiegel geschaut?
Jeff Tomlinson: Heute Morgen.
Was sehen Sie da?
Die Umrisse und eine dunkle, vernebelte Version von mir.
Trotzdem schauen Sie in den Spiegel?
Ja, mein Badezimmer ist so klein, ich kann nicht anders hinstehen. Aber um ehrlich zu sein, weiss ich nicht, warum ich in den Spiegel schaue. Aus Gewohnheit vermutlich.
Erinnert sich Ihr Gehirn daran, wie Sie aussehen?
Ja, ich denke schon. Das ist vielleicht das Positive daran. Ich sehe mich nicht altern (lächelt).
Mittlerweile können Sie den Schicksalsschlag ab und zu mit Humor nehmen.
Das hat lange gedauert. Mental bin ich an einem besseren Ort als damals. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr gewöhnt man sich an die Situation. Manchmal vergesse ich sogar für ein paar Stunden, dass ich nicht sehen kann. Es ist normal für mich geworden. Ich habe es akzeptiert. Und ich habe gelernt, besser damit umzugehen.
Bereits seit vier Jahren sehen Sie auf beiden Augen praktisch nichts mehr. Warum erst jetzt das Coming Out?
In den ersten zwei Jahren lag es daran, dass ich als Trainer gearbeitet habe. Ich wollte nicht, dass irgendetwas nach aussen dringt. Ich wollte nicht, dass jemand davon erfährt. Ich wollte meine Rolle spielen. Danach wusste ich einfach nicht, wie ich damit rausrücken soll. Ich hatte keine Ahnung, welcher Weg der richtige wäre. Als das Buch zum Thema wurde, wurde mir klar, dass es viel länger dauern würde, als wir ursprünglich dachten. So blieb mir nichts anderes übrig, als weiterhin ein Schauspieler zu sein, weiter so zu tun, als ob alles normal ist. Für mich war es unheimlich schwer, Geschichten zu erfinden und Menschen etwas vorzumachen.
Die ständige Lügerei.
Ja, ich war es so leid, nicht ehrlich zu den Menschen zu sein. Es hat mich erschöpft, nicht zeigen zu können, dass ich vielleicht jemanden gar nicht erkannt habe, und stattdessen so tun zu müssen, als wüsste ich genau, wer vor mir steht, obwohl ich es nicht wusste. Ich tat das fast jeden einzelnen Tag.
Beginnen wir von vorne. Praktisch blind über Nacht. Wie ist das passiert?
Ich hatte zwei Sehnerv-Infarkte. 2020 zuerst im rechten Auge. Ich wusste nicht, was mit mir geschah. Plötzlich konnte ich im unteren Sichtfeld nichts mehr sehen und es wanderte immer höher. Die damalige Masseurin der Lakers riet mir, zu einem Optometristen zu gehen und die Augen überprüfen zu lassen. Nach einigen Tests sagte er mir, dass ich sofort ins Krankenhaus müsse. Er erkannte, dass am Sehnerv etwas nicht stimmt und befürchtete, dass ich erblinden könnte. Das war 2020, als ich deswegen erstmals ins Unispital Zürich fuhr. Ich denke heute, die Spezialisten dort erzählten mir nicht sofort alles, um mich nicht zu erschrecken. Trotzdem hat es mich getroffen. Ich dachte: Was zum Teufel geht hier vor? Aber auf dem anderen Auge konnte ich ja immer noch sehen. Darum war ich noch nicht tief erschüttert.
Bei einem Sehnerv-Infarkt – er wird auch als Augen-Infarkt oder Sehsturz bezeichnet – werden Sehnerv und Netzhaut nicht mehr ausreichend durchblutet. Das führt zu einer plötzlichen, aber schmerzlosen und deutlichen Sehverschlechterung, die auf Dauer sogar zur Erblindung führen kann. Deshalb sollte innerhalb von vier Stunden ein Arzt aufgesucht werden. Denn das Gewebe kann im Ernstfall absterben. Ein weiteres häufiges Merkmal sind Gesichtsfeld-Ausfälle.
Die mangelnde Durchblutung wird häufig durch ein Blutgerinnsel verursacht. Dabei verstopfen die Blutgefässe im Auge. Durch den Verschluss des Gefässes kommt es zum Augen-Infarkt. Risikofaktoren und Ursachen sind: Arteriosklerose, Gefässverengungen, Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder entzündliche Gefässerkrankungen. Da diese Augenerkrankung so selten ist, gibt es kaum eine Statistik über die Anzahl der Fälle.
Bei einem Sehnerv-Infarkt – er wird auch als Augen-Infarkt oder Sehsturz bezeichnet – werden Sehnerv und Netzhaut nicht mehr ausreichend durchblutet. Das führt zu einer plötzlichen, aber schmerzlosen und deutlichen Sehverschlechterung, die auf Dauer sogar zur Erblindung führen kann. Deshalb sollte innerhalb von vier Stunden ein Arzt aufgesucht werden. Denn das Gewebe kann im Ernstfall absterben. Ein weiteres häufiges Merkmal sind Gesichtsfeld-Ausfälle.
Die mangelnde Durchblutung wird häufig durch ein Blutgerinnsel verursacht. Dabei verstopfen die Blutgefässe im Auge. Durch den Verschluss des Gefässes kommt es zum Augen-Infarkt. Risikofaktoren und Ursachen sind: Arteriosklerose, Gefässverengungen, Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder entzündliche Gefässerkrankungen. Da diese Augenerkrankung so selten ist, gibt es kaum eine Statistik über die Anzahl der Fälle.
Sagte man Ihnen, dass es auch im zweiten Auge passieren könnte?
Ja, das sagten die Ärzte. Und dass sie alles versuchen würden, um es zu verhindern. Ich war regelmässig zu Kontrollen dort, aber es war dann nicht aufzuhalten.
Hat Sie die Zeit, das bange Warten zwischen den Infarkten nicht fast wahnsinnig gemacht?
Ich habe es verdrängt und im Moment gelebt. Ich bin nicht der Typ Mensch, der ständig an das Schlimmste denkt. Stattdessen sagte ich mir, dass mit einem Auge alles in Ordnung ist. Ich wollte coachen und mein Leben leben. Doch dann bemerkte ich, dass es in den Trainings auf dem Eis in Übungen, an denen ich beteiligt war, nicht mehr so lief wie davor. Ich konnte zum Beispiel harte Pässe nicht mehr annehmen. Dann passierte es: Fast auf die Woche genau ein Jahr später war auch das linke Auge betroffen.
Da haben Sie sofort gewusst, was los war?
Ja, eines Morgens schaute ich die Nachrichten und konnte den unteren Teil des TV-Bildschirms nicht mehr sehen. Ich dachte nur «Scheisse» und machte mich sofort auf den Weg ins Unispital.
Aber da haben Sie die Nerven verloren?
Ich habe versucht, nicht auszuflippen, weil ein kleiner Teil in mir immer noch die Hoffnung hatte, dass man es in den Griff bekommt. Obwohl, ob ich wirklich daran geglaubt habe… ich habe es mir einfach einzureden versucht.
Erinnern Sie sich an Ihre ersten Gedanken nach der Gewissheit?
Ich hatte Angst, so grosse Angst. In diesem Moment dachte ich nur: Wenn sie das nicht aufhalten können, dann ist das kein gutes Zeichen. Tief in mir wusste ich schon, dass sie es wie beim anderen Auge nicht stoppen können. Sie behielten mich im Spital und machten etliche Untersuchungen, weil auch ihnen klar war, wie dringlich die Situation war. Nach zwei Tagen war es vorbei. Ich konnte nicht mehr sehen.
Wenn Sie jetzt zurückdenken, war es 2020 beim ersten Auge schon eine Extremsituation, aber nicht zu vergleichen damit, als das zweite Auge betroffen war?
Da hatte mich die Hoffnung verlassen. Ich hatte schon viele medizinische Herausforderungen in meinem Leben. Mit dem Sehverlust im ersten Auge konnte ich noch irgendwie umgehen. Aber mit dem zweiten nicht mehr. Ich spürte eine Verzweiflung und Panik wie noch nie zuvor in meinem Leben.
Jeff Tomlinson kam vor zehn Jahren in die Schweiz, als er 2015 die soeben in die damalige NLB abgestiegenen Lakers als Cheftrainer übernahm. Drei Jahre später führte der gebürtige Kanadier den Klub zurück ins Oberhaus. Der 55-Jährige wechselte 2021 zum EHC Kloten, wo ihm noch in der selben Saison das gleiche Aufstiegs-Kunststück gelang. Seit er sich 2023 als Headcoach zurückzog, ist er im Klub als sportlicher Berater tätig.
Tomlinsons Leidensgeschichte ist bekannt. Er leidet an familiären Zysten-Nieren (medizinisch: polyzystische Nieren-Erkrankung), die eine der häufigsten genetischen Erkrankungen, lebensbedrohlich und zudem eine der Hauptursachen für chronisches Nierenversagen sind. 2019 spendete ihm sein Bruder Darryl eine Niere, und er unterzog sich einer Transplantation. Davor hatte er lange regelmässig selbstständig eine Bauchfell-Dialyse durchgeführt. 2016 überlebte er einen Herzinfarkt, ihm wurden drei Stents eingesetzt.
Der Doppelbürger (Ka/De) pendelt zwischen Düsseldorf, wo seine Frau Andrea (39) und die Töchter Olivia (8) und Ivy (3) leben, und Kloten. Die zwei Söhne Conner (26) und Zac (25) aus erster Ehe leben in Nordamerika.
Jeff Tomlinson kam vor zehn Jahren in die Schweiz, als er 2015 die soeben in die damalige NLB abgestiegenen Lakers als Cheftrainer übernahm. Drei Jahre später führte der gebürtige Kanadier den Klub zurück ins Oberhaus. Der 55-Jährige wechselte 2021 zum EHC Kloten, wo ihm noch in der selben Saison das gleiche Aufstiegs-Kunststück gelang. Seit er sich 2023 als Headcoach zurückzog, ist er im Klub als sportlicher Berater tätig.
Tomlinsons Leidensgeschichte ist bekannt. Er leidet an familiären Zysten-Nieren (medizinisch: polyzystische Nieren-Erkrankung), die eine der häufigsten genetischen Erkrankungen, lebensbedrohlich und zudem eine der Hauptursachen für chronisches Nierenversagen sind. 2019 spendete ihm sein Bruder Darryl eine Niere, und er unterzog sich einer Transplantation. Davor hatte er lange regelmässig selbstständig eine Bauchfell-Dialyse durchgeführt. 2016 überlebte er einen Herzinfarkt, ihm wurden drei Stents eingesetzt.
Der Doppelbürger (Ka/De) pendelt zwischen Düsseldorf, wo seine Frau Andrea (39) und die Töchter Olivia (8) und Ivy (3) leben, und Kloten. Die zwei Söhne Conner (26) und Zac (25) aus erster Ehe leben in Nordamerika.
Was hat Sie am meisten mitgenommen?
Vieles ging mir durch den Kopf. Warum ich? Ich habe eine chronische Schmerzerkrankung im Knie, überlebte 2016 einen Herzinfarkt, hatte 2019 eine Nierentransplantation. Und dann die Augen. Wann hört das auf? Mir ging durch den Kopf, dass ich nicht mehr werde Autofahren können, kein Buch mehr lesen, meinen Kindern nicht mehr helfen, ich werde meinen Job verlieren. Ich hatte Existenzängste und vermutlich jede weitere Angst, die es gibt. Diese Emotionen überkamen mich in Wellen.
Trotzdem mussten Sie funktionieren.
Genau. Ich musste ein Schauspieler sein und es verdrängen. Ich war ein Trainer und Hockey immer mein Leben. Auch in dieser Phase habe ich Hockey vor alles gestellt. Das war schwierig. Irgendwann hinterfragte ich mich, was falsch mit mir läuft, dass ich selbst jetzt noch zuerst ans Hockey denke statt daran, was gerade mit mir passiert. Ich realisierte, dass ich etwas ändern muss. Vor der Pre-Playoff-Serie (2:0 gegen Biel) versuchte ich, mit der Situation Frieden zu schliessen und mir zu sagen: Egal wie sie endet, es ist okay so. Trotzdem wollte ich nichts sehnlicher, als bei der Mannschaft sein.
Aber?
Ich musste aufhören, ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich Trainings oder ein wichtiges Spiel verpasste wie das erste der Viertelfinal-Serie gegen Lugano, weil dringende Arzttermine bei Augenspezialisten anstanden. Gleichzeitig brauchte ich Hockey und das Team, um es durch diese schwierige Zeit zu schaffen. Manchmal versuchte ich noch, Arzttermine nach dem Spielplan zu verschieben, doch dann rückte mir meine Frau Andrea die Perspektive zurecht.
Das hört sich nach einem inneren Kampf an.
Ich habe in zwei Parallelwelten gelebt. Da war auch die Angst, dass ich mit dem Hockey-Leben, das für mich immer an erster Stelle stand, nicht mehr zurecht komme. Deshalb musste ich mich selbst schützen und an mich denken. Am Anfang brauchte ich Schutz – auch vor mir selbst.
Nur wenige Jahre, nachdem die Öffentlichkeit Ihre Nierenkrankheit mitbekommen hat, schränkten Sie erneut gesundheitliche Probleme in Ihrem Job, in Ihrem Leben ein. Haben Sie gehadert?
Oh ja. Vieles kam Schlag auf Schlag, doch das war mein K.o.-Schlag. Es war einfach zu viel für mich. Ich war kein Mensch, der um Hilfe bitten kann und sich welche sucht. Oder der sagt, dass er einfach mal eine Umarmung braucht. Doch da bin ich an meine Grenzen gekommen. Und ich hatte Angst davor, was als Nächstes passiert. Sogar als ich komplett verloren war, hatte ich noch ein Problem damit, Hilfe anzunehmen.
Warum?
Vielleicht, weil ich in einer Hockey-Welt aufgewachsen bin in Kanada, in der es keine Tränen gab. Oder in der man seine Gefühle und Schwäche nicht zeigen durfte. Aber in diesem Fall habe ich es fast zu weit kommen lassen. Darum bin ich froh, habe ich es geschafft, mir Hilfe zu holen.
Gab es dafür einen Schlüsselmoment?
Mehrere, die Phase dauerte Monate. Ich erkannte Spieler nicht mehr, sah mein Baby nicht, konnte den Fahrplan nicht lesen. Gleichzeitig erkannte ich, dass mich meine Frau, meine Kinder und Freunde brauchen, als ich Angst hatte, ich könnte etwas Unüberlegtes tun. Es wäre ein einfacher Ausweg gewesen. Einerseits fühlte es sich egoistisch an. Andererseits dachte ich, ich würde zu einfach aufgeben. Das wollte ich meiner Familie, meinen Kindern aber nicht antun.
Sie hatten Ihren Lebenswillen verloren?
Ja, ich wollte niemandem zur Last fallen oder ein Pflegefall werden und von jemandem abhängig sein. Ich wollte meinen geliebten Job machen und für meine Familie sorgen können. Für einige Monate war es eine Option, diese Welt zu verlassen, weil ich nicht wusste, wie und ob ich mit dieser Situation umgehen kann. Ich war plötzlich nicht mehr unverwundbar. Und hatte nach allem in der Vergangenheit vielleicht auch einfach keine Kraft mehr, mich auch da noch durchzukämpfen.
Welche Situationen haben Sie am meisten vor den Kopf gestossen?
Morgens nach dem Aufwachen, wenn ich das Gesicht meiner Tochter nicht sehen konnte. Der Gedanke, die Veränderungen in ihrem Aussehen nicht wahrnehmen zu können, hat mich gequält. Oder auch, nicht wie alle Eltern den Kindern aus einem Buch vorlesen zu können. Wenn einem solche Dinge bewusst werden, werden die Gedanken immer dunkler, das ist wohl menschlich. Man stellt sich das schlimmste Szenario vor. Es braucht Zeit, diese Phase zu überwinden, um wieder Positives zu erkennen und dankbar für kleine Dinge zu sein. Dazu ermuntere ich meine Töchter immer vor dem Einschlafen. Dann musste ich es selbst tun. Aber es war ein langer Prozess.
War es frustrierender, sich im alltäglichen Leben zurechtzufinden als im Hockey-Umfeld?
Ja, da gäbe es so viele Geschichten dazu. Es fängt beim Wechseln der Windeln an, bei dem mich Panik überkam, als ich dachte, ich hätte irgendwo etwas übersehen. Deshalb musste ich alles putzen. Täglich gab es Situationen, die mich verzweifeln liessen. Darum habe ich zeitweise das Haus nicht mehr verlassen, weil ich mich ihnen nicht stellen wollte.
Ihre Familie wusste Bescheid, aber im Hockey weihten Sie nur den kleinsten Kreis, Ihren Staff ein, wie schlimm es um Ihre Augen steht. Wie haben Sie den Trainer-Alltag bewältigt?
Mit viel Unterstützung. Alle haben alles für mich gemacht, um ihn irgendwie möglich zu machen. Am Anfang war ich hauptsächlich für die moralische Unterstützung da, meinen eigentlichen Job konnte ich nicht ausüben.
Sie machten ihn aber trotzdem. Wie muss man sich das vorstellen?
Ich habe mich auf meine früheren Instinkte verlassen. Und war abhängig von meinem vorherigen Wissen sowie den Informationen, die mir meine Assistenten oder auch Spieler gaben. Aber natürlich habe ich am Anfang Spieler verwechselt, den falschen Namen gerufen oder ihnen auf dem Video eine Sequenz ohne sie gezeigt. Manchmal musste ich dann improvisieren oder wieder mal etwas vorspielen und Ausreden erfinden. Die Spieler waren so geduldig mit mir, obwohl sie nicht das ganze Ausmass meiner Sehschwäche kannten.
Was waren für Sie die grössten Probleme?
Mein Sichtfeld nach unten ist stark eingeschränkt. Ich hatte ständig Angst, über etwas zu stolpern oder jemandes Kaffee umzustossen. Wenn sich Kontraste zeigen, weiss ich zwar, dass da etwas liegt. Aber ich sehe nicht, was es ist. Deshalb lief ich immer sehr langsam durch die Garderobe. Aber trotzdem bin ich über alles Mögliche gefallen, auch zu Hause.
Die Herausforderungen dort?
Zum Beispiel der Kühlschrank. Ich konnte nicht sehen, wenn Esswaren verdorben waren oder was es ist. Der Einfachheit halber ass ich sehr oft ein Müesli. Mittlerweile habe ich Tools für Sehbehinderte, eine Lupe, und kriege mehr auf die Reihe. Der Hockey-Alltag war irgendwann leichter zu bewältigen, aber das Private oder an der Öffentlichkeit blieb es schwierig. Wenn ich mich in Rappi oder in Kloten bewegt habe, wo man mich kennt, war es sehr unangenehm für mich. Was, wenn mich jemand anspricht und ich ihn nicht erkenne? Ich war immer sehr vorsichtig und zurückhaltend.
Jetzt müssen Sie das nicht mehr.
Ja, jetzt kann ich ich selbst sein. Obwohl, ich weiss schon gar nicht mehr, wie das ist, mich selbst zu sein und nichts vorspielen zu müssen.
Es war quälend für Sie, hilfsbedürftig zu sein. Wie lernt man das?
Ich hatte keine andere Wahl, weil es sonst schlimm für alle Beteiligten geworden wäre. Ich musste täglich um Hilfe bitten und muss es auch heute noch bei gewissen Dingen, weil ich es alleine nicht schaffe.
Der Moment des Aufwachens am Morgen war schlimm für Sie. Ist er es noch?
Nein, darüber bin ich hinweg. Aber damals war die Nacht, der Schlaf die einzige Flucht vor der Realität. Ebenso das Meditieren. Waren meine Augen geschlossen, war ich wie alle anderen, die das tun. Ich war normal und fand meinen Frieden. Beim Aufwachen traf es mich jedes Mal hart.
Als Sie 2021 von den Lakers nach Kloten wechselten, sahen Sie also nichts…
Medizinisch würde man sagen, dass ich blind bin. Oder sehr stark sehbehindert, ja. Man fragt mich immer wieder, wie und was ich sehe. Das ist schwierig zu beschreiben oder in Prozenten auszudrücken. Denn es ist abhängig vom Licht und den Kontrasten. An bewölkten Tagen bin ich verloren. Und mein Sichtfeld ist stark eingeschränkt.
Darüber wusste Kloten Bescheid und trotzdem haben Sie den Job bekommen?
Ja, ich habe von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Zunächst habe ich ihnen gesagt, dass ich den Job nicht machen kann.
Sie wollten das Angebot ablehnen?
Ja, zu jenem Zeitpunkt wollte ich nichts machen. Weder mein Haus verlassen, geschweige denn ein Hockey-Team trainieren. Schon gar nicht eine Mannschaft mit Aufstiegsambitionen. Ich dachte, wenn ich denen sage, dass ich blind bin, will man mich sowieso nicht mehr. Doch der CEO (Pascal Signer, heute SCB, die Red.) reagierte ganz anders als ich erwartete. Man bot mir Hilfe und Unterstützung an, er war sehr enthusiastisch, dass ich das schaffe und coachen müsse. Als ich das meiner Frau erzählte, ermunterte sie mich, es zu versuchen. Kloten wollte mich trotzdem – und ich habe Kloten gebraucht. Mehr als sie mich.
Aber der Anfang war herausfordernd.
Ja, im ersten Training war ich verloren. Ich erkannte die Spieler nicht, sah die Schüsse nicht kommen. Auch dort waren meine Assistenten eingeweiht und halfen mir. In Rappi jedoch kannte ich die Bewegungen der Spieler noch von vorher, in Kloten nicht. Als nach dem Training das Feedback der Spieler aber positiv war, dachte ich erstmals, dass es wirklich funktionieren könnte. Wieder über Hockey zu sprechen und es zu erleben, hat sich so gut angefühlt. Und ich hatte Spass, wieder in der Garderobe zu sein.
Sie schafften als blinder Coach den Aufstieg in die National League. Wie hört sich das heute für Sie an?
Quasi, ja. Wow. Aber was viele Leute nicht verstehen, dass es nicht nur der Verdienst des Headcoachs ist, sondern des gesamten Trainer-Staffs. In diesem Fall umso mehr. Ich hätte keine Chance gehabt ohne die Unterstützung meiner Assistenten. Hätte ich schwache Leute an meiner Seite gehabt, hätte es nicht funktioniert. Ich konnte die Spieler zwar coachen und führen, meine Philosophie, Vorgaben, Taktiken, Meinungen und Ideen weitergeben. Aber ich war angewiesen auf das Vertrauen meiner Assistenten. Es gäbe bestimmt Coaches, die ihren Vorteil daraus hätten ziehen und mir meinen Job abluchsen wollen. Aber wir alle hatten ein gemeinsames Ziel für den Klub, darum haben wir es geschafft. Manchmal kann ich es fast nicht fassen.
Warum war ein Weitermachen trotz des Erfolgs keine Option für Sie?
Weil mich die Arbeit als Headcoach, wenn ich sie richtig und so machen möchte, wie ich es gewöhnt war, viel Energie kostet. Alles braucht mehr Zeit. Das Analysieren einer Spielszene zum Beispiel dauert für mich ewig. Ich muss sie zig-mal anschauen und zurückspulen, für alles brauche ich zehnmal länger. Ich muss mir ganz sicher sein, dass ich alles und jeden Spieler richtig gesehen habe. Mental und nervlich ist das extrem anstrengend für mich. Ich habe es zwei Jahre lang gemacht und weiss fast nicht mehr, wie ich das geschafft habe, crazy.