Schwierig zu sagen, ob der «Thrilla in Manila» als grösster Boxkampf der Geschichte gelten soll. Aber eigentlich ist das auch egal, denn gross und bedeutend war das dritte Duell zwischen Muhammad Ali und Joe Frazier sowieso. Und auch heute, fünfzig Jahre später, lohnt sich ein Rückblick auf diesen Fight, der viel mehr war als ein Boxkampf. Es war eine Schlacht, bei der es ums Überleben ging. Zwei Sportler, die dem Tod in die Augen sahen, aber nicht zurückstecken wollten. Das Duell zweier Rivalen für die Ewigkeit.
Heute sind Boxkämpfe inszenierte TV-Shows, die Rivalitäten der Kontrahenten erfundene Geschichten. Die Feindschaft zwischen Muhammad Ali und Joe Frazier hingegen war real. 1:1-Unentschieden stand es zwischen den beiden, als sie am 1. Oktober 1975 in Quezon City bei Manila auf den Philippinen in den Ring stiegen, um zum dritten Mal gegeneinander anzutreten. Der Kampf wurde zum ersten Mal live per Satellit ins Ausland übertragen, und Hunderte von Millionen Menschen verfolgten ihn im Ausland. Wer morgens um vier den Wecker stellte, um hautnah dabei zu sein, erzählt noch heute davon.
In Manila war es da zehn Uhr morgens. In der Halle glühte die Hitze, es herrschte eine Luftfeuchtigkeit von fast hundert Prozent. 30’000 Zuschauer drängelten sich schwitzend für die beste Sicht. Frazier schaute finster, entschlossen. Ali hatte ihn im Vorfeld des Kampfes bis aufs Blut provoziert, verspottete ihn als Gorilla, beleidigte seine Intelligenz, behauptete, er rieche schlecht, verfolgte ihn bis zum Training, lauerte ihm nachts auf, um seinen Schlaf zu stören. Das war Psychoterror weit unter der Gürtellinie, der seine Wirkung nicht verfehlte.
Der Kampf war politisch aufgeladen. Die USA mussten die Niederlage im Vietnamkrieg verarbeiten. Die TV-Bilder der flüchtenden letzten Amerikaner aus Saigon, Symbole tiefster Schmach. Das Land war im Wandel. Gerichte hoben die Rassentrennung in den Schulen auf. Schwarze Aktivisten wendeten sich zunehmend der Politik zu. Die Menschen fingen an, zu begreifen, dass Vietnam ein Fehler war und Ali, mit seiner Weigerung dahinzugehen, vorausschauend richtig handelte.
Ali wurde rehabilitiert
Ali war zu dieser Zeit einer der bekanntesten Menschen auf der Welt. Dem eben noch Verschmähten standen plötzlich alle Türen offen. Er wurde von US-Präsident Gerald Ford, der das Amt des skandalumwitterten Richard Nixon übernommen hatte, ins Weisse Haus eingeladen und lobend als «Mann mit Prinzipien» bezeichnet. «The times they are a-changin'» – so ändern sich die Zeiten. Noch 1967 wurde Ali wegen Wehrdienstverweigerung verurteilt und zur Hassfigur vieler weisser Amerikaner. Er musste zwar nicht ins Gefängnis, durfte aber drei Jahre nicht boxen, was ihm die Form, seine Leichtigkeit und den Weltmeistertitel kostete, den er sich 1964 gegen Sonny Liston erkämpft hatte.
Doch Ali kehrte ruhmreich zurück, besiegte 1974 sensationell den damals als unschlagbar geltenden George Foreman im legendären «Rumble in the Jungle» und setzte sich damit zum zweiten Mal die Boxkrone auf. Im Schnellzugstempo verteidigte er danach den Titel gegen Chuck Wepner, Ron Lyle und Joe Bugner, bevor er – bloss ein Jahr nach dem Foreman-Coup – mit Joe Frazier wieder einen ebenbürtigen Gegner vor sich hatte. In Manila trat Ali nicht nur als Sportler auf, sondern auch als inoffizieller US-Aussenminister, als Gesicht einer neuen postkolonialen Ära, eines geläuterten Amerikas.
Die Hoffnung des Diktators
Auf den Philippinen herrschten der selbstsüchtige Ferdinand Marcos und seine Frau Imelda. Im Namen des Kampfes gegen Terrorismus und Kommunismus hatte Marcos mit Unterstützung der USA das Land in einen Polizeistaat umgebaut. Mit der Ausrichtung des Kampfes hoffte der Diktator, sein internationales Ansehen zu verbessern und von seinen Gräueltaten abzulenken – so wie Mobutu Sese Seko in Zaire ein Jahr zuvor beim «Rumble in the Jungle».
Ali begann den Kampf voller Elan. Er schlug schöne Kombinationen, diktierte das Tempo. Die ersten Runden gehörten dem Champion. Doch Frazier arbeitete sich zurück. Als müsste er mit der Axt einen schweren Baum fällen, schlug und schlug er auf Alis Körper, die Arme, den Kopf. In der sechsten Runde traf er zweimal mit furchtbaren Haken, die jeden anderen entmutigt oder flachgelegt hätten. Später wird Frazier sagen: «Ich habe Schläge losgelassen, die eine Mauer zertrümmert hätten. Doch er steckte alle weg.»
Frazier wollte Ali töten
Der grösste Unterschied zwischen dem Champion in den Sechzigern, als er noch Cassius Clay hiess, und dem Muhammad Ali in den Siebzigern, ist die Geschwindigkeit, die sichtlich weniger wurde, die Leichtfüssigkeit, die Beweglichkeit. Ali musste seinen Stil an sein Alter anpassen. Statt um den Gegner zu tänzeln und blitzschnell die Position zu verändern, lernte er einzustecken, Schmerzen zu ertragen, sich in die Seile zu legen und den Gegner austoben zu lassen, um dann überraschend zurückzuschlagen. Mit dieser Taktik hatte er Foreman erledigt. Nun, mit 33 Jahren, wollte er auch den zwei Jahre jüngeren Frazier zermürben.
Doch dieser liess sich nicht überraschen. In der siebten Runde raunte Ali ihm ins Ohr: «Alter Joe Frazier, sie haben mir gesagt, dass du am Ende bist.» Fraziers Antwort: «Sie haben gelogen, Schönling.» Jahre später gab Frazier zu, dass er Ali damals töten wollte. Diese Wut, dieser Hass, verlieh ihm enorme zusätzliche Kräfte. Am Ende der achten Runde war Ali nahe am Aufgeben, entschied sich in der Pause aber offenbar dagegen. Der Schlagabtausch ging weiter. Nach zehn Runden sagt Ali in der Ringecke zu seinem Trainer Angelo Dundee den Satz, der bis heute diese Schlacht am treffendsten zusammenfasst: «Mann, das hier kommt dem Sterben am nächsten.»
Das allerdings war weniger Resignation als ein letztes Hurra des Champions. Ab der 12. Runde übernahm Ali den Kampf. Aus dem Mund von Frazier tropfte Blut, sein linkes Auge war so zugeschwollen, dass er Alis Rechte nicht mehr kommen sah und gnadenlos wieder und wieder schwer am Kopf getroffen wurde. Am Ende der 14. Runde musste er vom Ringrichter in die Ecke geführt werden, die er selber nicht mehr gefunden hätte. Aber aufgeben wollte Frazier unter keinen Umständen. So brauchte es die Weitsicht seines Trainers Eddie Futch, um dem Wahnsinn ein Ende zu setzen. Dieser hatte schon vier Boxer im Ring sterben sehen. Er erlöste seinen Schützling mit den Worten: «Joe, es ist vorbei!»
Ali, tief versunken auf seinem Hocker, brauchte einen Moment, um die Situation zu erfassen. Dann stand er mit letzter Anstrengung auf und erhob matt seine Faust. Während seine Ecke feierte, sackte der Champion bewusstlos zusammen. Später resümierte er: «Von allen Gegnern war Sonny Liston der furchteinflössendste, George Foreman der stärkste, Floyd Patterson der versierteste, aber mein schwerster und härtester Gegner war Joe Frazier. Er hat das Beste aus mir herausgeholt und unseren besten Kampf hatten wir in Manila.»
Boxen in seiner grausamsten Form
Beide Boxer hatten sich aufgeopfert, hatten die letzten Kraftreserven mobilisiert, ihren Durchhaltewillen über die Grenzen hinausgeschoben, dem Tod furchtlos in die Augen geschaut. Das war Boxen in seiner grausamsten Form, gewalttätig, zwiespältig, elektrisierend. Frazier war am Abend nicht mehr imstande, am Empfang im Präsidentenpalast teilzunehmen. Ali hatte noch wochenlang Blut im Urin. «Wir kamen als Champions nach Manila», sagte er, «und wir gingen als alte Männer.»
30 Jahre nach diesem Kampf entschuldigte sich Ali für seine unsensiblen Entgleisungen von damals bei seinem Rivalen. Doch dieser hat ihm nie ganz verziehen. Frazier, der an Diabetes litt, starb 2011 pleite im Alter von 67 Jahren an Leberkrebs. Ali, der 1999 vom IOC zum «Sportler des Jahrhunderts» gewählt wurde, bekam 1984 die Diagnose Parkinson. Die Welt sah zu, wie er immer kränker wurde, aber seine Würde bewahrte. Er starb 2016 im Alter von 74 Jahren. Beide bleiben unvergessen.