Übernahme der Bergbahn-Infrastruktur sei «finanzielles Harakiri»
Heftige Kontroverse um Millionen-Deal in Graubünden

Die Einwohner von Flims, Laax und Falera entscheiden über den Kauf der Bergbahn-Infrastruktur der Weissen Arena Gruppe. Der umstrittene Deal wirft Fragen zur finanziellen Nachhaltigkeit und den Risiken für die Gemeinden auf.
Publiziert: 06:01 Uhr
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Aktualisiert: 09:23 Uhr
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Der nächste Schnee kommt bestimmt: Bergstation Crap Sogn Gion.
Foto: LAAX / Weisse Arena Gruppe

Darum gehts

  • Gemeinden stimmen über Übernahme der Bergbahn-Infrastruktur ab. Millionengeschäft sorgt für Diskussionen
  • Kritiker warnen vor hohen Schulden und unbekannten Risiken für Gemeinden
  • 94,5 Millionen Franken Kaufpreis, davon 50 Millionen durch Kredite finanziert
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Beat SchmidFester Mitarbeiter Blick

In Graubünden kommt es nächste Woche zum Showdown. Die Einwohner der drei Tourismusgemeinden Flims, Laax und Falera stimmen über ein Millionengeschäft ab. Sie müssen entscheiden, ob sie die gesamte Bergbahn-Infrastruktur der Weissen Arena Gruppe übernehmen möchten. Es geht um 28 Sessel- und Gondelbahnen, Schlepplifte, unzählige Schneekanonen und über zwei Dutzend Restaurants und Pistenbars. Kostenpunkt: 94,5 Millionen Franken.

Es ist ein Geschäft, das es in der Geschichte des Schweizer Schneesport-Tourismus noch kaum gegeben hat. Gross ist deshalb das Interesse von anderen Winterdestinationen an den Vorgängen zwischen Crap Sogn Gion, Vorab und Cassons. «Bergkönig» Reto Gurtner (70), Verwaltungsratspräsident und Grossaktionär der Weissen Arena, empfindet «den ausgearbeiteten Deal für beide Seiten als fair, für die Gemeinden gar als super». Die Offiziellen der Gemeinden widersprechen Gurtner nicht. Wie ein Mann stehen die Gemeindepräsidenten hinter dem Deal. Es sei eine Win-win-Situation für alle. So könne verhindert werden, dass ein ausländischer Investor die Bahnen übernehme. In den Abstimmungsunterlagen werden denn auch nur Vorteile aufgelistet. Keine Zeile zu den Nachteilen.

Als ob es die nicht gäbe! Einheimische warnen in den Leserspalten der Regionalzeitung «Südostschweiz» vor einem «Investitionsabenteuer», «hohen Schulden» und «unbekannten Risiken», sogar von einem «finanziellen Harakiri» und einem «Himmelfahrtskommando» ist die Rede. Die Drohung, die Bahnen könnten an «ominöse ausländische Investoren» verschachert werden, sei «purer, provinzieller Alarmismus».

«Irgendwann ist das Fass voll»

Auch der frühere Gemeindepräsident von Flims, Adrian Steiger (71), sieht das Geschäft kritisch: «Die Bonitäten der Gemeinden haben Grenzen. Instandhaltungskosten werden meistens unterschätzt, und hochtechnische Bauwerke haben heutzutage eine kurze Lebensdauer mit grossem Abschreibungsbedarf. Zudem stehen auch andere Aufgaben an. Irgendwann ist das Fass voll, und der Zinshammer schlägt zu.» Steiger wurde 2020 spektakulär abgewählt – verdrängt von Martin Hug (56), dem damaligen Bahnchef der Weissen Arena. Hugs Nachfolger, der amtierende Flimser Gemeindepräsident Christoph Schmidt (58), sass 16 Jahre im Management von Reto Gurtners Tourismusimperium.

Grundsätzliche Bedenken an dem 94,5-Millionen-Franken-Deal äussert ein Unternehmer von der Lenzerheide. Eine Gemeinde sei in erster Linie für Bildung, Sozialhilfe, Raumplanung, Infrastruktur und Sicherheit zuständig. Touristisches Unternehmertum zähle nicht zu den Pflichtaufgaben – und sollte es auch nicht werden. Als Mahnmal nannte er Chur, wo die Steuerzahler 15 Millionen Franken in die «marode» Brambrüeschbahn gesteckt hatten. Jetzt stünden weitere 40 Millionen Franken am Churer Hausberg an, wo die Frequenzen schlecht seien und sich kein Investor verirren würde.

Warum nicht alles übernehmen?

Auch auf dem Papier sieht der Deal nicht gut aus für die Steuerzahler. Für 94,5 Millionen Franken erhalten sie quasi die Hardware am Berg, die Bahnen und die Restaurants. Die Software, also der lukrative Betrieb der Anlagen und Beizen, bleibt im Besitz der Weissen Arena. Schaut man auf die Bewertung der Aktien der Weissen Arena, wird es noch offensichtlicher: Aktuell wird die gesamte Gruppe mit rund 140 Millionen Franken bewertet. Die Gemeinden könnten mit dem Geld, das sie aufwerfen, also genauso gut die Kontrolle über die gesamte Gruppe übernehmen – auch dann, wenn man den Aktionären eine saftige Prämie gewährt.

Doch stattdessen erhalten die Gemeinden lediglich die kapitalintensive Infrastruktur – ein riesiges Portfolio an Bahnen und Anlagen, die zum Teil in die Jahre gekommen sind und erneuert werden müssen. Hinzu kommen Erweiterungen der Beschneiungsanlagen und so weiter und so fort. Für die Finanzierung müssen die Gemeinden den Kopf hinhalten. Hier zeigt sich die ganze Schlitzohrigkeit des Deals: Die Gemeinden verfügen über eine höhere Bonität als die Weisse Arena – also können sie die nötigen Kredite günstiger beschaffen, da die Banken einen tieferen Zins verlangen.

Gemeinden spielen Bank

Sie geben quasi ihre gute Bonität her, um für die Betriebsgesellschaft eine intakte Infrastruktur zu finanzieren. Anders formuliert: Sie spielen Bank für die Weisse Arena und ihre schwerreichen Grossaktionäre, die sich mit einem Pachtvertrag über 30 Jahre langfristig abgesichert haben. Am Anfang dürfte es gut gehen für die Gemeinden, doch mit jedem zusätzlichen Franken, mit dem sie sich verschulden, verschlechtert sich auch ihre Bonität. Über kurz oder lang könnte genau das Szenario eintreten, vor dem der frühere Flimser Gemeindepräsident warnt. Bereits der Kauf der Anlagen wird die Schuldenlast erhöhen – von den 94,5 Millionen müssen 50 Millionen mit Krediten finanziert werden.

Als Entschädigung erhalten die Gemeinden einen Pachtzins. Wie genau dieser ausgestaltet ist, ist eine ziemliche Blackbox. Man weiss nur so viel, dass der Zins jährlich angepasst werden kann und die Schuldzinsen und die Abschreiber der Bergbahnen decken soll. Auf eine risikogerechte Entschädigung haben sie verzichtet – aus welchen Gründen auch immer. Was ebenfalls stutzig macht: Es wurde offenbar keine Drittmeinung eingeholt, eine sogenannte Fairness Opinion gibt es nicht. Auch die Aktionäre der Weissen Arena haben darauf verzichtet – ein Indiz, dass der Deal für sie wohl nicht schlecht sein kann.

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