Das Gesicht total zertrümmert. Ein Monat Koma. Mehr als zwanzig Operationen. Dass er noch lebt, kann Dino Kalender (26) selber kaum glauben. Doch die Schmerzen erinnern ihn daran – jeden Tag. Seit dem 18. Februar 2014 ist nichts mehr, wie es einmal war. «Diese Nacht hat mein Leben zerstört», sagt der Zürcher zu BLICK.
Damals trifft er an der Tramhaltestelle Milchbuck auf Theo D.* (damals 25), einen ETH-Doktoranden aus Deutschland. Auf dem Papier ein Musterschüler. Doch in dieser Nacht wird der Informatiker zum irren Dr. Faust.
Plötzlich schlug der Deutsche zu
Aufnahmen der Überwachungskameras zeigen, wie sich die zwei Männer um 3.52 Uhr an der Haltestelle zufällig begegnen. Sie kommen ins Gespräch. Es scheint alles normal. Doch als sich Dino Kalender um 4.10 Uhr kurz wegdreht, springt Theo D. auf, wirft den Überraschten auf die Gleise und schlägt erbarmungslos zu. Immer wieder.
Selbst als der Zürcher wehrlos am Boden liegt, tritt der 120-Kilo-Mann mit voller Wucht gegen den Kopf seines Opfers. Unfassbar: Das Profil seiner Schuhsohle ist noch 24 Stunden später zu erkennen. Die Prügel-Orgie dauert mehr als zwanzig Minuten.
Wieso der Deutsche austickte, ist bis heute unklar. Auch worüber die zwei vor dem brutalen Angriff sprachen. Beide können sich nicht daran erinnern, hatten eine Menge Alkohol getrunken. Vor Gericht behauptete Theo D., in Notwehr gehandelt zu haben.
Immer denselben Albtraum
Jetzt, sechs Jahre später, steht Dino Kalender wieder genau an der Stelle, wo ihn der Deutsche angriff und wie wild auf ihn einprügelte. «Ein unheimliches Gefühl, hier zu stehen. Beängstigend. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, was hier passiert ist. Mit einem Schlag wurde mein Leben zur Hölle.»
Erinnerungen hat er kaum noch an die Nacht. An die Attacke. Die Schläge. Nur ein Albtraum verfolgt ihn seitdem. «Ein Mann verfolgt mich. Ich versuche wegzurennen, werde aber immer langsamer und dann niedergeschlagen. Es ist schrecklich», so Dino Kalender.
Fall liegt beim Bundesgericht
Eigentlich müsste der Amok-Akademiker vier Jahre in den Knast wandern. Zwei Instanzen sprachen Theo D. bereits wegen versuchter vorsätzlicher Tötung schuldig. Er legte Widerspruch ein. Jetzt liegt der Fall beim Bundesgericht.
Doch die Chancen, dass Theo D. überhaupt bestraft wird, stehen schlecht. Sehr schlecht. Der Informatiker lebt wieder in seiner Heimat. «Er müsste wieder in die Schweiz kommen, um die Strafe anzutreten», erklärt Martin Schnyder, der Anwalt von Dino Kalender. Im Klartext: Theo D. kommt wohl davon.
Um das zu verhindern, hatte Schnyder eine hohe Kaution gefordert. «Weil ich ahnte, dass er nach Deutschland fliehen wird. Aber das Gericht sah das damals anders.»
«Will endlich ein normales Leben»
Ob er wenigstens die 40'000 Franken Genugtuung zahlt, ist unklar. Eigentlich müsste er. Sein Widerspruch wurde abgelehnt. «Ich habe seine Anwälte schon wegen der Genugtuung angeschrieben, aber keine Antwort bekommen», so Schnyder. Auch auf Anfrage von BLICK schweigen seine Anwälte und Theo D. selbst.
Dino Kalender ist das inzwischen egal. «Für mich muss er nicht ins Gefängnis. Ich möchte nur, dass er schuldig gesprochen wird.» Viel wichtiger für den 26-Jährigen: nach vorne blicken. «Ich will endlich ein normales Leben führen. Eine Ausbildung machen, arbeiten, eine Freundin finden.» Dafür kämpft Dino Kalender – jeden Tag.
* Name der Redaktion bekannt