Darum gehts
Es war der aufsehenerregendste MeToo-Fall der Schweiz: Mehrere Frauen warfen dem Zürcher Influencer Travis the Creator (30) Vergewaltigung vor. Fünf zogen vor Gericht. Am Freitag der Knall: Freispruch!
Ein Urteil, das schockieren kann. Denn die mutmasslichen Opfer waren zahlreich. Ihre Aussagen deuteten auf ein Muster hin, auf ein System, in dem Travis gezielt Frauen anlockte und vergewaltigte. Alles schien gegen ihn zu sprechen. Warum kommt Travis trotzdem straffrei davon?
«Dieses Urteil ist kein Skandal», sagt der Fachanwalt Strafrecht André Kuhn. «Juristisch ist der Entscheid nachvollziehbar.»
Keine Anzeichen für Gewalt
Ein Argument der Verteidigung war für das Gericht besonders zentral. Die angeklagten Taten fanden zwischen 2017 und 2020 statt. Demnach müssen sie nach altem Sexualstrafrecht beurteilt werden. André Kuhn erklärt: «Dem Täter muss nachgewiesen werden, dass er das Opfer zum Sex genötigt hat. Beispielsweise durch Gewalt oder psychischen Druck.»
Und genau diese Anzeichen von Druck und Gewalt fehlten weitgehend in den Erzählungen der Frauen. Einige Opfer beschreiben zwar, Travis habe sie an den Handgelenken oder den Hüften festgehalten. Keine von ihnen konnte aber erklären, wie genau sie sich dagegen gewehrt hätte. Ohne erkennbare Abwehrhandlungen gelte die Tat nicht als Vergewaltigung, erklärte der Richter an der Urteilsverkündung.
Im heutigen Sexualstrafrecht wird Vergewaltigung als «Sex gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person» definiert. Die Frauen im Travis-Prozess schilderten, sie hätten «Nein» gesagt, als er sich ihnen sexuell näherte. Eine von ihnen erzählt, sie habe währenddessen geweint. Travis habe trotzdem weitergemacht. Dem Beschuldigten sei also klar gewesen, dass die Frauen die Handlungen nicht wollten, argumentierte die Staatsanwaltschaft vor Gericht.
Freispruch auch nach neuem Recht möglich
Würde Travis also nach heutigem Sexualstrafrecht verurteilt? André Kuhn sagt: «Es ist durchaus möglich, dass man ihn trotzdem freigesprochen hätte.»
Denn die Beweisführung sei bei Sexualdelikten besonders schwierig. Oftmals finden die Handlungen im Verborgenen statt. Dann steht es Aussage gegen Aussage. Kuhn: «An dieser Problematik ändert das neue Sexualstrafrecht nichts. Auch heute muss der fehlende Wille und dessen Erkennbarkeit bewiesen werden.»
Als Beweise konnte die Staatsanwaltschaft praktisch nur die Aussagen der Opfer vorlegen. Entsprechend untermauerte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer deren Glaubhaftigkeit: Die Frauen hätten präzise und detailliert ausgesagt, sich nicht selbst widersprochen und den Beschuldigten nicht unnötig belastet. Ihre Geschichten ähnelten sich, ohne dass sie sich abgesprochen hätten. Entsprechend unwahrscheinlich sei es, dass alle fünf Opfer lügen würden.
Verteidigerin überzeugte Gericht
Dieses Argument zerpflückte Travis' Verteidigerin bereits in den ersten Minuten. «Sie legte eine für das Gericht überzeugende Erklärung vor, warum das eben nicht so unwahrscheinlich sei», analysiert André Kuhn. «Und zwar indem sie erläuterte, wie genau es zu den Anzeigen gekommen ist.»
Die Opfer haben sich nämlich erst Jahre nach der Tat bei der Polizei gemeldet. Das, nachdem eine Frau in einem Artikel von «20 Minuten» Vorwürfe gegen Travis erhoben hatte. Über Social Media hätten sich die Betroffenen ausgetauscht und verbündet. «Sie waren enttäuscht, dass Travis sie nicht wie versprochen promotet hat, und deuteten ihre sexuellen Erlebnisse zu Vergewaltigungen um», erklärte die Verteidigerin am Prozess.
Von Travis' Schuld ist das Zürcher Bezirksgericht also nicht überzeugt. Ob das neue Sexualstrafrecht daran etwas geändert hätte, steht in den Sternen. Travis zeigt sich nach der Verkündung erleichtert und selbstbewusst – posiert gar für die Kamera. Definitiv vorbei ist es aber noch nicht: Das Urteil kann noch weitergezogen werden.