«Jawad T. nahm Tötung der Opfer in Kauf»
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Blick-Reporterin berichtet:«Jawad T. nahm Tötung der Opfer in Kauf»

Pakistaner (20) nach Messer-Attacke auf Betreuerinnen verurteilt – Blick analysiert
Warum die Staatsanwältin von gescheiterter Integration spricht

Jawad T. (20) hat gestanden, zwei Sozialarbeiterinnen ins Gesicht geschnitten und sie entstellt zu haben. Sein Verteidiger fordert, er solle bald wieder freikommen und die Schweiz nicht verlassen müssen. Nun hat das Gericht entschieden.
Publiziert: 23.07.2025 um 19:50 Uhr
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Aktualisiert: 23.07.2025 um 22:01 Uhr
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Jawad T. griff zwei Sozialarbeiterinnen seines Jugendheims mit einem Messer an.
Foto: Tiktok

Darum gehts

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Helena GrafReporterin

Fünf Jahre lang lebt Jawad T.* (20) völlig isoliert – inmitten der Schweizer Gesellschaft. Er lernt wenig Deutsch, zieht von einem Heim ins nächste, doch zieht sich selbst stets zurück. Freunde hat er keine. Pausenlos spielt er auf dem Handy, schaut Serien manchmal 20 Stunden am Tag. Er ist da – und hat doch kaum Einfluss auf das Leben anderer.

Bis zum 12. Februar 2024. Als das Jugendheim, in dem er wohnt, ihm das Handy entzieht und er zum Messer greift, zwei Betreuerinnen attackiert, auf ihr Leben unwiderruflich Einfluss nimmt: Narben zeichnen seitdem die Gesichter von Eliane F.* und Hanna M.*.

Am Mittwoch steht der Pakistaner in Bülach ZH vor Gericht. Er blickt ins Publikum, ohne die Gesichter zu kennen. Die beiden Frauen, die er attackiert hat, sind nicht gekommen. Ebenso wenig seine zwei Brüder. «Integration gescheitert», sagt die Staatsanwältin zu Beginn ihres Plädoyers – und fordert sogleich einen Landesverweis.

Sein Alltag in der Schweiz

Jawad T. hat in Pakistan nie eine Schule besucht. Er war noch ein Kind, als seine Mutter ihn und die Brüder Richtung Westen schickte. Und er war noch eines, als er hier ankam.

Vorstrafen hat er keine. Es gab einmal einen Vorfall in einem früheren Heim. Dort soll er den Leiter mit einer Glasscherbe bedroht haben. «Das war nicht als Drohung gemeint», stellt er vor Gericht klar. Das Verfahren damals wurde eingestellt.

Im Landheim Brüttisellen absolvierte Jawad T. (20) eine Lehre als Metallbauer.
Foto: zVg

Er kam ins Landheim Brüttisellen, begann eine Lehre als Metallbauer. Doch wegen seiner Handysucht schaffte er es oft nicht zur Arbeit. «Ich war so in dieser Welt, dass ich manchmal tagelang vergessen habe zu essen», erzählt Jawad T. Also nimmt man ihm das Handy zeitweise weg. Wie auch am Tag der Tat.

Die brutale Tat

«Ich wollte nur mein Telefon zurückholen», erklärt der Beschuldigte am Prozess. «Also ging ich zu Eliane F. und wollte mit ihr sprechen. Wenn man nicht bekommt, was man möchte, wird man wütend. Ich zumindest wurde wütend. Dann ist mir das passiert.»

Jawad T. holte gemäss eigenen Aussagen aus der Küche im Nebenzimmer ein Messer. Er stürzte sich auf Eliane F., fixierte sie, schnitt ihr ins Gesicht.

Als Kollegin Hanna M. ihr zu Hilfe eilte, rang er auch sie zu Boden, schnitt auch ihr ins Gesicht. Er hörte erst auf, als es dem Praktikanten Alex K.* gelang, ihn zu überwältigen.

«Ich habe nicht realisiert, was ich mache, habe mich vor Wut nicht mehr gespürt», erklärt er. «Doch ich habe sie auf keinen Fall töten wollen. Ich bin doch nicht verrückt.» Diese Aussage wiederholt er unzählige Male.

Streitpunkt: Tötungsvorsatz

Das ergibt Sinn. Denn die Tötungsabsicht wird ihm von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen. Zumindest soll er eine Tötung bewusst in Kauf genommen haben, heisst es in der Anklage.

In einem solchen Fall spricht man von einem «Eventualvorsatz». Kann ihm dieser nachgewiesen werden, reicht das für eine Verurteilung wegen versuchter Tötung. Neben Landesverweis fordert die Staatsanwaltschaft 12½ Jahre Haft.

Jawad T.s Verteidiger hingegen plädiert auf drei Jahre Gefängnis, teilbedingt. Das würde bedeuten, dass der Beschuldigte in ein paar Monaten frei käme.

Der Verteidiger bestreitet entsprechend den Eventualvorsatz. «Herr T. ging zielgerichtet gegen das Gesicht vor, weil er wusste, dass diese Verletzungen nicht tödlich sind», so der Verteidiger. Seine Darstellung – ein Widerspruch zu T.s Aussage, in blinder Rage gehandelt zu haben.

Mitinsasse als Zeuge

Die Staatsanwältin hält mit folgenden Hauptargumenten entschieden dagegen. Erstens: Jawad T. habe das Messer von seinem Studio mitgenommen, als er Eliane F. aufsuchte.

Zweitens: Als Alex K. ihn überwältigt hatte, habe er geschrien: «Ich töte diese Schlampe!»

Und drittens: Im Gefängnis habe er seinem Mitinsassen erzählt, dass er Eliane F. habe töten wollen.

10 Jahre Gefängnis und Landesverweis

Das Gericht entscheidet sich für die Darstellung der Staatsanwältin – und spricht Jawad T. wegen versuchter Tötung, schwerer Körperverletzung und Drohung schuldig: Der Pakistaner wird zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und für zehn Jahre des Landes verwiesen.

Jawad T. blickt auf die hölzerne Tischplatte vor sich. Er wolle nicht zurück in Heimat, in dieses «kaputte Leben», sagte er am Prozess. Wenn er gehen müsse, wolle er lieber nach Afghanistan.

Zunächst bleibt der 20-Jährige aber in der Schweiz. Von den zehn Jahren hat er erst eineinhalb Jahre abgesessen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

* Namen geändert

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