Darum gehts
Simonetta Cimmino ist frisch verwitwet, als ihr das Geld ausgeht. Sie wohnt an der Goldküste in Küsnacht am Zürichsee, in einer der reichsten Gemeinden der Schweiz. Doch als sie Ergänzungsleistungen zu ihrer AHV beantragt, erhält sie über fünf Jahre lang nichts.
«Es ist unglaublich, was mir passiert ist», sagt Cimmino. «Es hat mich ins Herz getroffen, wie Küsnacht mich behandelt hat.»
Gemeinde ignoriert Bundesgerichtsurteil zuerst
Cimmino ist 71 Jahre alt, heisst eigentlich anders und hat vor allen Gerichten gegen die Gemeinde Küsnacht gewonnen. Doch selbst als das Bundesgericht im Januar 2025 zu ihren Gunsten entschied, sprach die Gemeinde kein Geld.
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Stattdessen stellte ihr die Gemeindeverwaltung im März einen weiteren Fragenkatalog zu. Küsnacht wollte der Rentnerin noch immer keine Ergänzungsleistungen auszahlen.
Beobachter schaltet sich ein
Cimmino reichte deshalb beim kantonalen Sozialamt eine Aufsichtsbeschwerde ein und machte vor dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich eine Rechtsverweigerung geltend. Doch solche Sachen dauern. Deshalb meldete sich die Rentnerin beim Beobachter.
Als der Beobachter die zuständige Küsnachter Gemeinderätin Susanna Schubiger mit dem Fall konfrontierte, gings plötzlich schnell. Drei Arbeitstage nach dem Eingang der Beobachter-Anfrage versprachen die Küsnachter Behörden, einen Teil des Geldes sofort auszuzahlen.
Das Geld fliesst demnach 63 Monate nachdem Simonetta Cimmino ihr Gesuch um Ergänzungsleistungen (EL) eingereicht hat.
Wohnung verloren und Betreibungen
Das Gesuch hatte Cimmino bereits im Januar 2020 gestellt. Im April 2022 erhielt sie erstmals eine abschliessende Antwort: Die Gemeinde lehnte ihr Gesuch ab, zwei Jahre nachdem es eingereicht worden war.
Allein das wäre schon fragwürdig. Müssen doch Rentnerinnen und Rentner gemäss Gesetz «innerhalb von 90 Tagen über Anspruch und Höhe der Leistung» informiert werden, wenn sie Ergänzungsleistungen beantragen. Doch das Warten auf die EL sollte ab April 2022 noch weitere drei Jahre dauern.
Rentnerin Cimmino verlor in dieser Zeit ihre Wohnung, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen konnte. Sie wurde betrieben. «Freundinnen liehen mir Zehntausende Franken, die ich nun am Abzahlen bin», sagt sie. Aus der Not fing sie wieder an, als Psychotherapeutin zu arbeiten, obwohl sie das Pensionsalter längst erreicht hatte.
Ehemann angeblich reich
Die gebürtige Italienerin lebte seit 1996 mit einem Psychotherapeuten aus Küsnacht zusammen. «Ein bekannter Mann, von dem alle dachten, er sei reich.» Wahr ist: Er entstammte einer reichen Familie. Und das sollte für Cimmino zum Problem werden.
Cimmino lebte zuerst in Italien und in Küsnacht, betrieb in Rom ihre eigene Praxis. 2008 nahm sie Wohnsitz in Küsnacht, 2016 heiratete sie ihren Lebenspartner, dem es zunehmend schlechter ging. Sie pflegte ihn, bis er 2020 starb – und nur Schulden hinterliess, wie Dokumente belegen.
Gemeinde rechnet Rentnerin reich
Doch als Cimmino bei der Gemeinde Küsnacht ein Gesuch um Ergänzungsleistungen zur AHV stellte, argumentierte die Gemeinde: Der Ehemann habe wohl freiwillig auf Erbanteile verzichtet, bevor er Cimmino heiratete. Zumindest sei Geld nicht mehr da, das eigentlich da sein müsste.
Die Gemeinde verrechnete Cimmino eine «unbelegte Vermögensabnahme» von 116’000 Franken durch ihren Ehemann vor der Heirat. Und verfügte, dass sie deshalb 0 Franken Ergänzungsleistungen bekomme.
Ehefrau hängt mit, wenn Mann Geld verprasst
Tatsächlich muss der Staat niemanden mit EL unterstützen, der zuerst Unmengen Geld verschenkt oder verprasst – und dann die hohle Hand macht. Seit 2021 gilt zudem: Hat eine Person über 100’000 Franken Vermögen und gibt davon mehr als zehn Prozent jährlich aus, werden diese Ausgaben so behandelt, als ob sie nie stattgefunden hätten. Auf dem Papier bleibt das Geld als Vermögen vorhanden, obwohl es längst weg ist.
Sind zwei Personen verheiratet, darf der Staat die beiden als eine einzige Person betrachten. Denn das Vermögen gehört beiden. Der Staat darf das aber erst ab dann tun, wenn die beiden verheiratet sind. Eine Frau kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn ihr verstorbener Mann vor der Heirat auf Erbanteile verzichtet hat.
Gerichte gegen Gemeinde Küsnacht
So argumentierte auch das Bundesgericht im Fall von Simonetta Cimmino. Die überlebende Ehegattin könne «auf eine voreheliche Verzichtshandlung keinerlei Einfluss nehmen». Zum selben Schluss war davor bereits das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich gekommen.
Gemäss diesem sei es einer Ehefrau zudem nie möglich, zu beweisen, dass der verstorbene Ehemann vor der Heirat das Geld für etwas Sinnvolles ausgegeben hätte, wie etwa eine Weiterbildung. Eine überlebende Ehefrau dürfe aber nicht für etwas bestraft werden, für das sie keinen Entlastungsbeweis vorlegen könne.
Küsnacht habe Rentnerin schikaniert
«Küsnacht hat meine Mandantin schlicht schikaniert», sagt Anwalt Felix Frey. Er ist auf Sozialversicherungen spezialisiert und kennt sich im Kanton Zürich aus. «Die Gemeinde hat mit immer neuen Fragen und Abklärungen den Erstentscheid zwei Jahre lang hinausgezögert, was dem Gesetz klar widerspricht.»
Den Gang ans Bundesgericht hätte es zudem nicht benötigt, so klar sei das erstinstanzliche Urteil gewesen, sagt Frey. Dass die Gemeinde nach dem Bundesgerichtsurteil erneut mit Abklärungen begonnen habe, sei stossend und komme einer Rechtsverweigerung gleich.
Gemeinderätin weist Schuld von sich
Die Küsnachter Gemeinderätin Susanna Schubiger stellt diesen Vorwurf in Abrede. Man habe Cimmino nicht schikaniert, sondern «bestmöglich beraten und unterstützt». Die erste EL-Verfügung sei erst nach zwei Jahren erlassen worden, weil die Gesuchstellerin Unterlagen zu spät eingereicht habe.
Beim Entscheid, den vorehelichen Vermögensverzehr des verstorbenen Ehemannes zu berücksichtigen, habe die Gemeinde Küsnacht sich auf eine Einschätzung des Bundesamtes für Sozialversicherungen gestützt. Den Fall habe man weiter ans Bundesgericht gezogen, «um in diesem Punkt für die Zukunft Rechtssicherheit zu schaffen».
Küsnacht: Alles korrekt
Dass Cimmino trotz Bundesgerichtsurteil im Januar bis im April kein Geld erhielt, sei kein Fehler der Gemeinde. Die zuständige Behörde habe «die notwendigen Schritte zur definitiven Prüfung und Berechnung des Anspruchs eingeleitet». Für die ersten acht Monate sei der EL-Anspruch nun berechnet und verfügt worden.
Für die Auszahlung der EL-Gelder in den restlichen 42 Monaten, in denen Cimmino in Küsnacht gelebt habe, müssten nun zuerst die Akten ergänzt werden. Dazu sei die Gemeinde von Gesetzes wegen verpflichtet. Die Aufsichtsbeschwerde an den Kanton von Cimmino sei unbegründet. Ob das so ist, wird allerdings erst noch entschieden – durch das kantonale Sozialamt.