Kurz zusammengefasst
- Respektlose Gäste bedrohen die Tradition der Schweizer Berghütten
- Hüttenwartin Edith Lehner fühlt sich manchmal ausgelaugt
- Der enorme Aufwand im Hochgebirge wird nicht von allen Gästen geschätzt
Edith Lehner (58) ist Hüttenwartin mit Leib und Seele. Seit sechs Jahren betreut sie zusammen mit ihrem Mann Martin und einem 14-köpfigen Team die wohl bekannteste Berghütte der Welt – die Hörnlihütte am Fuss des Matterhorns bei Zermatt VS. Ein Traumjob für Lehner, doch die Stimmung ist getrübt. «Die Respektlosigkeit ist teilweise unfassbar», sagt sie im Gespräch mit Blick.
Die Aussage ähnelt derer von Claudia Freitag, Hüttenwartin auf der Muttseehütte hoch über Linthal GL. Nach vier Jahren macht Freitag Ende der Saison Schluss. Auch in den Glarner Alpen sind die Gäste das Problem. Den Unterschied zwischen einer Beiz im Tal und einer Hütte würden sie nicht kennen, erklärte Freitag gegenüber den «Glarner Nachrichten». Auch sie beklagt den mangelnden Respekt der Gäste vor den speziellen Gegebenheiten im Hochgebirge.
Was auch immer möglich ist
Dabei versuchen die Hütten in der Schweiz, ihren Gästen den grösstmöglichen Komfort zu bieten. Auf der Hörnlihütte (3260 m.ü.M.) können 150 Berggänger in komfortablen Zimmern übernachten, die Zeiten vom Massenschlag mit durchgelegenen Matratzen sind lange vorbei. Es gibt Duschen, WLAN, Zweierzimmer, Lounges und viel Platz – das Flair der Hütte erinnert tatsächlich ein wenig an ein Hotel. «Wir lieben unsere Gäste, tun alles, damit sie sich so wohl wie möglich fühlen, gegebenenfalls den Gipfel des Matterhorns erreichen», sagt die Hüttenwartin. Man merkt: Sie ist stolz auf ihren Beruf, das Angebot und den Service, den sie und ihr Team anbieten können.
Dazu gehört auch das Eingehen auf die Essenswünsche der Gäste. Ob vegan, gluten- oder laktosefrei, ohne Schweinefleisch: Die Hörnlihütte machts möglich. «Wir beschäftigen ausgebildete Köche, damit bezüglich Ernährung alles passt», sagt Lehner. Auch in diesem Punkt soll dem Gipfelerfolg der Gäste nichts im Weg stehen. Bis zu 400 Essen kocht das Hüttenteam auf der Hörnlihütte pro Tag. «Das braucht Planung, motivierte Leute und viel Flexibilität.»
Nicht immer geschätzt
Wer allerdings glaubt, dass der enorme Aufwand von allen Gästen geschätzt wird, der irrt. Lehner sagt: «Natürlich ist der Umgang mit den meisten sehr angenehm. Aber es gibt auch die anderen – die, die nicht zu schätzen wissen, was wir hier oben leisten.»
Es sind diese Gäste, die Lehner meint, wenn sie von Respektlosigkeit spricht. Die Beispiele sind schockierend. «Jeden Tag gibt es Gäste, die ohne zu zahlen verschwinden», so die Hüttenwartin. Das betrifft vor allem jene, die für ein Mittagessen auf die Hütte wandern.
Aber auch in der Hütte geht es teilweise recht ungesittet zu. «Die Hinterlassenschaften auf den Toiletten sind manchmal einfach nur eine Frechheit», ärgert sich die Hüttenwartin. Ob Exkremente neben den Toiletten oder benutzte Damenbinden, die an die Wand geklebt werden: Das Hüttenteam muss immer wieder unnötige Verunreinigungen beseitigen. «Klar gehört Putzen zum Job, aber mutwillig Dreck zu machen, muss einfach nicht sein», sagt Lehner.
Auch in den Zimmern lassen einige Gäste eine gute Kinderstube vermissen. Müll wird nicht in die vielen Behälter entsorgt, obwohl es Pflicht ist, und einige Gäste nutzen keinen Hüttenschlafsack. «Die lügen uns ins Gesicht, wenn wir nachfragen.» Dabei hat der Hüttenschlafsack gute Gründe: Er dient einerseits der Hygiene und andererseits dem Schutz der Bettwäsche, da auf den Hütten keine Waschmöglichkeit besteht.
Keine gute Werbung für den Job
Auch nach den Essenszeiten gibt es immer wieder Probleme. Eigentlich sollten die Gäste ihre Tische selbst abräumen – auf den Hütten in der Schweiz ganz normal. «Vielfach wird das Geschirr aber ganz selbstverständlich stehengelassen. Das macht dem Personal das Leben sehr schwer», sagt Lehner und fügt an: «Wir sind eine Berghütte und kein Hotel.»
Dabei ist der Job auch ohne respektlose Gäste schon herausfordernd genug. Die Tage sind lang, die Nächte kurz. «Es ist eine wunderschöne Arbeit, die aber eine gehörige Portion Idealismus erfordert», so Edith Lehner. Die Familie ist weit weg, im Tal könnte man deutlich mehr verdienen.
Hinzu kommt, dass das Team auf der Hörnlihütte oft mit dem Tod konfrontiert ist. Immer wieder fordert das Matterhorn Menschenleben. Angehörige kommen dann auf die Hütte, um zu trauern. Oder die Teammitglieder kennen die Opfer gar persönlich, wenn zum Beispiel ein Bergführer betroffen ist. Lehner erklärt: «Das müssen auch wir verarbeiten, aber gleichzeitig unseren Job machen. Da braucht es keine zusätzlichen Probleme mit den Gästen. So etwas laugt einen aus.»
Dabei nehmen die Probleme zu. Mit fatalen Folgen. Edith Lehner macht sich Sorgen: «Wenn man zu viele negative Erfahrungen macht, hat man irgendwann keine Lust mehr auf den Job.» Die Hüttenwartin der Hörnlihütte glaubt, dass der Fall der Glarner Hüttenwartin nur der Anfang ist. «Weitere werden das Handtuch schmeissen, oder es lassen sich keine Nachfolger mehr finden.» Heisst: Respektlose Gäste bedrohen ganz direkt die Tradition der Schweizer Berghütten.