Darum gehts
- Murmeltier-Fleisch: Traditionelle Alpenküche sorgt für Kontroversen und Shitstorms
- Koch Klaus Leuenberger verteidigt Verzehr als aktiven Tierschutz
- Leuenberger verkauft jährlich bis zu 90 Gläser Murmeltier-Gehacktes
Wüsste ich nicht, was da auf meinem Teller liegt – auf den ersten Blick hätte ich es für ein Rindsgeschnetzeltes gehalten. Doch der Geruch verrät mir: Hier wurde etwas anderes zubereitet.
Es riecht nach Wildtier, ganz eigen, aber fein. Die erste Gabel im Mund lässt keine Zweifel mehr übrig – das hier ist weder Rind noch Schwein. Es ist ein Gericht, das im Internet für Shitstorms sorgt, das Köche zur Verzweiflung treibt. Es geht um Murmeltierfleisch.
Traditionelles Gericht
Hirsch, Reh oder Wildschwein landen zur entsprechenden Saison regelmässig auf den Tellern der Wildliebhaber. Doch es geht auch ausgefallener. Zum Beispiel mit Murmeltier! Und genau das bin ich dabei, heute zu probieren.
Die Nager gehören zur traditionellen Alpenküche. In Ernen VS verarbeitet Klaus Leuenberger (62) das Fleisch der Tiere zu einem Murmeltier-Geschnetzelten. «Früher war es ganz normal, die Tiere zu essen», erklärt mir der Spitzenkoch und fügt an: «Erst in den letzten Jahren ist man davon abgekommen.»
Denn die Zubereitung von Murmeltierfleisch ist aufwendig. «Man muss die Drüsen und das Fett sauber wegschneiden, sonst hat das Fleisch einen sehr starken Eigengeschmack», sagt Leuenberger. Zudem müssen die vielen kleinen Knochen entfernt werden.
«Schmeckt nach Fuchs oder Dachs»
Wird das Fleisch aber fachgemäss zubereitet, so schmeckt Murmeltier ziemlich gut. Etwas eigen und kräftig, aber sehr fein. Wer gerne Wild isst oder sonst beim Essen experimentierfreudig ist, dem kann ich Murmeltier nur empfehlen. Mit einer feinen Sauce, wie der von Leuenberger, macht das Gericht richtig Spass.
Wonach schmeckt Murmeltier? Nach Murmeltier halt. Einen Vergleich zu ziehen, ist schwierig. Klaus Leuenberger sagt: «Murmeltier schmeckt nach Fuchs oder Dachs, sofern man weiss, wie das schmeckt.» Er lacht.
Auf jeden Fall ist Murmeltierfleisch eine seltene Spezialität. «Um es ganzjährig auf der Karte zu haben, bekomme ich zu wenig Tiere von den Jägern», sagt Leuenberger. Deshalb verkauft er Murmeltier-Gehacktes im Glas. «Wenn es hoch kommt, sind es 90 Gläser pro Jahr», sagt er. Leuenberger selbst isst die pelzigen Nager übrigens auch gerne. «Wenn sich die Gelegenheit bietet, greife ich zu», sagt er zu mir in der Küche des Restaurants St. Georg.
Kritik am Verzehr
Doch beim Essen von Murmeltierfleisch geht es längst nicht nur um die Frage: Schmeckt es oder schmeckt es nicht?
Die Tiere sind auch Symbole. Ihr süsses Erscheinungsbild, ihre Pfiffe: Das ist das Lebensgefühl der Berge. Für viele ist es daher nicht verständlich, dass man die pelzigen Nager essen kann. Diese Erfahrung machte unlängst der Walliser Koch Adrien Lopez aus Nendaz VS. Weil auch er Murmeltierfleisch in seinem Restaurant serviert, hagelte es Kritik im Internet, ein veritabler Shitstorm.
Das kennt auch Klaus Leuenberger. Er sagt: «Es gibt immer mal wieder Leute, die sich empören, dass die süssen Tiere gegessen werden. Aber auch Kälber oder Schweine sind süss, und da hagelt es ja keine Kritik, wenn die serviert werden.»
«Sollte mehr gemacht werden»
Der Koch findet ganz im Gegenteil, dass gerade aus Tierschutzgründen mehr «spezielles» Fleisch, etwa das von Murmeltieren, gegessen werden sollte. «Wir sollten das mehr machen. Die Tiere müssen bejagt werden und landen im Normalfall in der Verbrennungsanlage», so Leuenberger. «Sie zu essen bedeutet, dass weniger andere Tier geschlachtet werden müssen. Das ist aktiver Tierschutz.»
Das sehe ich auch so. Wenn die Tiere ohnehin geschossen werden müssen, warum soll man sie nicht auch essen? Doch es geht sogar noch mehr. Das Fett der Murmeltiere verkauft Leuenberger an einen anderen Betrieb. Der macht daraus dann Murmeltiersalbe.